Im US-Bundesstaat Georgia haben Wissenschaftler in der Nähe von Industrieanlagen, die Benzol freisetzen, ein erhöhtes Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen festgestellt. Dies sei die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen Benzol-Exposition und der Inzidenz von Non-Hodgkin-Lymphomen auf Bevölkerungsebene in einem Bundesstaat untersucht, schreiben die Hauptautoren Catherine Bulka und Dr. Christopher Flowers vom Lymphoma Program der Emory Universität in Atlanta, USA, in der Online-Ausgabe des Journals Cancer [1].
„Die Studie allein reicht jedoch nicht aus, um ein erhöhtes Risiko für die Bevölkerung herzuleiten“, kommentierte gegenüber Medscape Deutschland Prof. Dr. Helmut Blome, Gefahrstoffexperte und ehemaliger stellvertretender Direktor des Berufsgenossenschaftlichen Instituts für Arbeitsschutz (BIA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.
Hämatologische Effekte aufgrund von Benzol-Exposition wurden bereits in den 1940er Jahren beobachtet, als man unter den Arbeitern von Gummifabriken eine Abnahme von Erythrozyten und weißen Blutkörperchen feststellte, schreiben die Autoren. Unter den neueren Studien listen sie eine Untersuchung aus China auf, wonach nach mehr als 10-jähriger Exposition das Risiko für ein Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) um das 4,2-fache erhöht war [2]. Eine Übersichtsarbeit zu 43 Fall-kontrollierten Studien ergab bei 40 Studien Hinweise auf ein erhöhtes Risiko und bei 23 dieser Studien eine statistisch signifikante Assoziation zwischen Benzol-Exposition und NHL-Risiko [3].
Bulka und Flowers erinnern daran, dass die Inzidenz des NHL seit den 1970er Jahren um jährlich 3 bis 4% zugenommen hat – ein Anstieg, der jedoch nur etwa zur Hälfte durch veränderte Diagnosekriterien, verbesserte Nachweismethoden und die HIV-Epidemie erklärt werden könne. „Die Zunahme an NHL-Diagnosen scheint auch der erweiterten industriellen Produktion in den Vereinigten Staaten zu folgen, was nahe legt, dass die berufsbedingte Exposition gegenüber Chemikalien ein Risikofaktor für NHL ist.“
Diesem Verdacht sind die Forscher nachgegangen, indem sie Daten aus 3 Quellen zusammengeführt haben: 1. Freisetzung von Benzol aus Produktionsstätten zwischen 1988 und 1998 gemäß dem Toxics Release Inventory (TRI) der Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency). 2. Inzidenz des NHL gemäß dem Krebsregister GCCR für Georgia für die Jahre 1999 – 2008, sowie 3. Populations- und demografische Daten aus der letzten Volkszählung der USA im Jahr 2000.
Distanz zu Raffinerien als Prophylaxe?
Es fanden sich in ganz Georgia 19 Raffinerien und sonstige Fabriken, die im Berichtszeitraum jeweils bis 1.740 Tonnen Benzol freigesetzt hatten, sowie über den ganzen Bundesstaat verteilt 12.716 Diagnosen eines NHL unter den Einwohnern ab 20 Jahren im Zeitraum zwischen 1999 und 2008. Darunter konnten 11.355 NHL-Diagnosen erfolgreich geocodiert werden, indem man sie spezifischen Verwaltungseinheiten der Volkszählung zuordnete.
Die statistische Analyse anhand standardisierter Inzidenzraten für NHL ergab Landkarten, bei denen die meisten Regionen mit hoher Inzidenz im Stadtgebiet von Atlanta lagen, niedrige Inzidenzen dagegen vorwiegend in den weniger industrialisierten südlichen Regionen des Bundesstaates.
Der Lawson-Waller-Test, der örtliche Häufungen eines Vorkommnisses nachweisen kann, ergab für 15 der 19 Benzol-produzierenden Orte einen statistisch signifikanten Zusammenhang mit einer erhöhten NHL-Inzidenz, darunter auch für alle Produzenten im Stadtgebiet Atlantas. Für den gesamten Bundesstaat beträgt die Inzidenz 17,4/100.000 Einwohner und Jahr, teilen die Forscher mit. In Bezug auf das möglicherweise erhöhte Risiko, wegen Benzol-Emissionen am NHL zu erkranken, werden aber weder absolute Zahlen noch Inzidenzraten genannt.
Hierzu findet sich in dem Fachartikel nur ein einziger Satz: „Eine Abnahme des NHL-Risikos um 0,31% wird für jede Meile (1,6 Kilometer) erwartet, um die sich die durchschnittliche Distanz zu Benzol-emittierenden Orten vergrößert.“ Wie Blome für Medscape Deutschland vorrechnet, liegt das relative Risiko demnach auch in 10 bzw. 20 Meilen Abstand noch bei 0,969 bzw. 0,939. „Diese Zahlen sprechen für sich“, so Blome. Zudem kritisiert der Experte, dass bei den Berechnungen von einer Latenzzeit für das NHL zwischen 1 und 10 Jahren ausgegangen wurde: „Das erscheint mir nicht realistisch.“ Weiterhin gelte es zu bedenken, dass die Beschäftigten der Benzol-emittierenden Betriebe sicherlich auch in deren Nähe wohnen. „Es ist also unklar, ob das Risiko durch berufliche oder nicht-berufliche Exposition zustande kommt.“
„Die Aussagekraft unserer Befunde ist ohne ähnliche bestätigende Studien begrenzt“, gesteht denn auch Bulka. „Wir hoffen aber, dass diese Forschung unsere Leser auf die potentiellen Risiken aufmerksam macht, in der Nähe von Einrichtungen zu leben, die Karzinogene in die Luft, in das Grundwasser und in den Boden freisetzen.“