
In den USA wird derzeit diskutiert, ob ein allgemeines Screening aller 16- bis 25-Jährigen auf eine Infektion mit Herpes-simplex-Viren 2 (HSV-2) sinnvoll ist. Dr. Anna Wald vom Department of Medicine, Laboratory Medicine, and Epidemiology der University of Washington in Seattle drückt in einem kürzlich in JAMA pediatrics erschienenen Artikel ihr Unverständnis darüber aus, dass zwar geplant sei, auf Humane-Immundefizienz- und Hepatitis-C-Viren zu screenen, HSV-2 aber bei den Überlegungen außen vor bleibe [1]. Und nicht nur das: „Es wird nicht nur nicht empfohlen, nein, es wird sogar davon abgeraten.“ Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) etwa empfehlen zwar ein Screening bei symptomatischen, nicht jedoch bei asymptomatischen Patienten [2].
Doch gerade mit einem Screening asymptomatischer Patienten ließe sich die Infektionskette durchbrechen, meint Wald. Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, der Vorsitzende der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit, sieht jedoch mehr Nach- als Vorteile.
Wissen um Erkrankung soll Verhaltensänderung bewirken
Herpes-simplex-Viren sind weit verbreitet: Die Seroprävalenz für HSV-2 in Deutschland zum Beispiel liegt zwischen 10 und 30%. Gegen HSV-1, das hauptsächlich Lippenherpes, jedoch immer häufiger auch Genitalläsionen verursacht, weisen 70% der Erwachsenen Antikörper auf. Wald räumt zwar ein, dass die Konsequenzen einer HSV-2 Infektion weniger lebensbedrohlich seien als bei Hepatitis C oder Humaner Immundefizienz, doch HSV-2 erhöhe die Wahrscheinlichkeit, sich mit HI-Viren zu infizieren um das 2- bis 3-fache. Sowohl die durch HSV-2 verletzte Haut im Genitalbereich als auch das durch die Herpesviren immer wieder stimulierte Immunsystem erleichtern es dem AIDS-Virus, sich festzusetzen.
Ein Screening sei schon deshalb geboten, weil alle 3 Infektionserkrankungen lebenslang existierten und medikamentös gut therapierbar seien. „Asymptomatische Patienten sind die Quelle neuer Infektionen“, betont Wald. Allein das Wissen darum, HSV-2 zu haben, erlaube dem Patienten, sich vorsichtiger zu verhalten und dadurch andere weniger zu gefährden, so die Expertin.
„Die Ressourcen wären besser angelegt“, widerspricht hingegen Dr. Mark D. Hayley von der Johns Hopkins University School of Nursing in Baltimore, USA, ebenfalls in JAMA pediatrics, „um Personen mit klinischen Symptomen einer HSV-2-Infektion zu testen und zu therapieren, oder auch, um den Status des Partners eines mit Genitalherpes-Viren Infizierten herauszufinden[3]. Hayley stellt dabei nicht in Abrede, dass es sich bei den von HSV ausgelösten Infektionen um ein wichtiges gesundheitspolitisches Thema handelt. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass ein Screening das eigentliche Problem nicht lösen kann. Und er steht damit nicht alleine.
„Relativ hohe Rate an falsch-positiven Befunden“
„Der Nutzen rechtfertigt den Aufwand in keiner Weise”, stellt Brockmeyer, Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit an der Klinik für Dermatologie, Venerologie der Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Deutschen STI-Gesellschaft auf Nachfrage von Medscape Deutschland klar [4]. „Selbst bei hoher Spezifität und Sensitivität des Tests bekommt man bei der relativ niedrigen Zahl an HSV-positiven jungen Erwachsenen eine relativ hohe Rate an falsch-positiven Befunden, zu deren Abklärung dann weitere Untersuchungen erforderlich sind“, so Brockmeyer. Haylay verweist in diesem Zusammenhang auf die nicht unerhebliche psychische Belastung in Folge eines falsch-positiven Befundes, denn HSV ist nicht heilbar.
„Die Alternative dazu ist, nicht zu wissen, dass man infiziert ist und dadurch das Virus dann immer weiter zu geben“, vertritt Wald zwar die offensivere Position. Doch das Wissen um die Ansteckung allein reicht nicht, wie Brockmeyer verdeutlicht: Was nämlich soll passieren, wenn ein positiv getesteter Patient keine Symptome hat? „Soll dieser sein Leben lang mit antiviralen Medikamenten behandelt werden oder nur zeitweise?“ fragt Brockmeyer.
Denn nach der Erstinfektion schlummern die Herpesviren lebenslang in den Nervenganglien und können durch Sonnenlicht, Immunschwäche, Stress, Menstruation, mechanische Reizung oder auch ohne besonderen Anlass immer wieder zum Ausbruch kommen. „Die Gefahr von asymptomatischen HSV-Infektionen ist, dass durch viral shedding zyklisch verlaufend immer wieder das Immunsystem stimuliert wird“, erklärt Brockmeyer. Als viral shedding wird die Fähigkeit des Virus bezeichnet, aktiv im Körper zu verharren, ohne Symptome auszulösen.
Als potentielle Zielgruppe eines Screenings kämen 16- bis 25-Jährige in Frage: „Wie oft sollen diese gestestet werden? Jedes Jahr, alle 2 Jahre? Eine Infektion mit HSV-2 kann ja jederzeit auftreten. Man müsste also immer viele potentielle Patienten testen“, gibt Brockmeyer zu bedenken. Da stelle sich natürlich auch die Frage der Kosten-Nutzen-Relation.
Erfolgsaussichten einer prophylaktischen Therapie sind fraglich
Und selbst wenn asymptomatische Patienten dieser Altersgruppe gescreent würden und diese bei positivem Befund antivirale Medikamente einnähmen – die Erfolgsaussichten, damit die Übertragungskette bei HSV-2-Infektionen zu durchbrechen, sind fraglich. Nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Menschen, die mit HSV-1 und HSV-2 infiziert sind, weist ausgeprägte genitale Probleme, meist verbunden mit Schmerzen, auf, berichtet Brockmeyer.
Dass der überwiegende Teil der Infizierten keinerlei Symptome hat, macht die Sensibilisierung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen sowie die Aufklärung über die Folgen einer HSV-Infektion nicht leichter: „Prophylaxestudien zu HIV zeigten, dass 50% der Nicht-HIV-Infizierten die antiretroviralen Medikamente nicht einnehmen“, gibt Brockmeyer zu bedenken. Gegen HSV-2 schützt ein Kondom nicht so gut wie gegen HIV, „doch selbst bei HIV ist der Kondomgebrauch noch nicht so konsistent wie es wünschenswert wäre.“