Periphere arterielle Verschlusskrankheiten nehmen drastisch zu – doch wer bietet die beste Behandlung?

Inge Brinkmann | 14. August 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) breitet sich offenbar geradezu pandemisch länder- und kontinent-übergreifend aus. Eine aktuelle globale Metaanalyse eines Autorenteams um Prof. Dr. F. Gerald R. Fowkes vom Centre for Population Health Sciences der Universität von Edinburgh zeigt: Weltweit ist die Zahl der Patienten, die an den Durchblutungsstörungen leidet, binnen eines Jahrzehnts um fast ein Viertel (23,5%) gestiegen. Während im Jahr 2000 noch 164 Millionen Menschen an PAVK litten, waren es 2010 schon 202 Millionen [1].

 
„Wir verzeichnen an der Klinik in Speyer sogar einen jährlichen Patientenzuwachs von 5%.“
Prof. Dr. Gerhard Rümenapf
 

Die Autoren der Analyse fordern von den nationalen Gesundheitsbehörden nun verstärkte Anstrengungen, um das Problem in den Griff bekommen. Eine finnische Studie hielt jedoch bereits im Jahr 2000 fest: „In den nächsten zwei Jahrzehnten wird die Zahl der älteren Menschen so schnell ansteigen, dass – was auch immer mit der Inzidenz und Prävalenz der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit geschieht – das Arbeitspensum in der Gefäßmedizin signifikant steigen wird.“ [2]

Diese Entwicklung kann Prof. Dr. Gerhard Rümenapf, gefäßchirurgischer Leiter des Oberrheinischen Gefäßzentrums Mannheim-Speyer und Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses Speyer, nur bestätigen. Er bezeichnet die Gefäßmedizin im Gespräch mit Medscape Deutschland als „Boom-Branche“: „Wir verzeichnen an der Klinik in Speyer sogar einen jährlichen Patientenzuwachs von 5%.“

Genug Arbeit für alle in der Gefäßmedizin tätigen Fachrichtungen – so möchte man meinen. Tatsächlich herrscht jedoch mittlerweile ein harter Konkurrenzkampf zwischen Gefäßchirurgen, Angiologen und Radiologen. Denn wer welche Fälle übernimmt – und die Fallpauschale kassiert –, ist längst nicht mehr so klar wie noch vor einigen Jahren.

 

Prof. Dr. Gerhard Rümenapf
 

Die Wahl der Therapie hängt auch von den Lebensumständen ab

Die klinische Einteilung der PAVK erfolgt hierzulande üblicherweise nach der Stadieneinteilung von Fontaine:

Stadium I: keine Beschwerden (asymptomatische PAVK)
Stadium II: Beschwerden beim Gehen (Claudicatio intermittens)
bei Gehstrecke >200 Meter (Stadium IIa)
bei Gehstrecke <200 Meter (Stadium IIb)
Stadium III: Ruheschmerzen im Liegen
Stadium IV: Absterben des Gewebes (Nekrose); kleine Wunden heilen nicht mehr ab.

In den Anfangsstadien versucht man im Allgemeinen mit konservativen Maßnahmen, wie der Therapie von Risikofaktoren (z.B. Nikotinabstinenz, Behandlung der Hypertonie oder eines Diabetes mellitus), einem überwachten Gehtraining oder vasoaktiven Pharmaka, das Fortschreiten der Erkrankung zu stoppen und die Durchblutung zu verbessern.

 

Dr. Klaus Amendt
 

In den späteren Stadien können invasive Maßnahmen notwendig werden, wobei die wesentlichen chirurgischen Optionen die Ausschälungsverfahren (Thrombendarteriektomie, TEA) und Bypässe umfassen. Nicht-chirurgisch bzw. interventionell werden die Arterien vor allem mittels Ballonkatheterdilatation (perkutane transluminale Angioplastie, PTA) und/oder mittels Einbringen eines Stents wieder durchgängig gemacht.

Der Erhalt der Lebensqualität steht bei der Entscheidung für oder gegen einen invasiven Eingriff zunächst im Vordergrund. „Ob sich für einen Patienten die invasive Therapie lohnt, hängt auch mit den individuellen Lebensumständen zusammen“, erläutert Dr. Klaus Amendt, angiologischer Leiter des Oberrheinischen Gefäßzentrums und Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Diakoniekrankenhauses Mannheim.

 
„Auch den Patienten kommt die Bündelung der verschiedenen Kernkompetenzen zugute.“
Dr. Klaus Amendt
 

So leide etwa ein tanzbegeisterter Frühpensionär mehr unter den Gehbeschwerden als ein älterer Mensch, der es nur noch zum Kaffeetrinken in die Küche schaffen möchte. Drohe jedoch der Verlust einer Gliedmaße, müsse innerhalb der nächsten 24 Stunden die arterielle Strombahn durch invasive Therapien (Operation oder Katheterverfahren) wiederhergestellt werden.

Wenn schon invasiv, dann möglichst per Katheter

Grundsätzlich gilt: „Müssen invasive Maßnahmen ergriffen werden, wird man im ersten Schritt versuchen, das verengte Gefäß aufzudehnen“, sagt Rümenapf. Dieser Ansatz sei heute allgemein anerkannt und finde sich so auch in den Leitlinien wieder.

Wörtlich heißt es etwa in der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der PAVK, dass der interventionellen Therapie der Vorzug gegeben werden sollte, „wenn vergleichbare Kurz- und Langzeitergebnisse für beide Verfahren (interventionell und operativ) vorliegen“ [3].

Für die Patienten sind die endovaskulären Verfahren nicht nur mit weniger körperlicher und zeitlicher Belastung verbunden. Eine Studie vom Johns Hopkins Bayview Medical Center in Baltimore, USA, konnte überdies kürzlich zeigen, dass die Angioplastie sogar weniger Reinterventionen nach sich zieht als die Bypass-OP [4].

Gefäßchirurgen und Angiologen konkurrieren um jeden Patienten

Das heißt allerdings nicht, dass der Gefäßchirurg nur noch die besonders schweren Fälle zu sehen bekommt. Es stimme zwar, so Rümenapf, dass das gefäßchirurgische Patientenkollektiv zunehmend älter, multimorbider und endovaskulär ausbehandelt sei.

Die endovaskulären Eingriffe würden heute jedoch auch von Gefäßchirurgen beherrscht. „Wir konkurrieren deshalb in der interventionellen Behandlung mit den Angiologen und interventionellen Radiologen“, sagt er. Das berge natürlich erhebliches Konfliktpotenzial, denn die Fachrichtungen würden sich die Patienten heute regelrecht gegenseitig „abjagen“.

„Diesen Kampf haben wir auch dem heutigen Abrechnungssystem in den Krankenhäusern zu verdanken“, ergänzt Amendt. Wegen des 2004 eingeführten pauschalierenden Vergütungssystems (German Diagnosis Related Groups, G-DRG) müssten internistische und gefäßchirurgische Abteilungen heute um jeden Patienten konkurrieren. „Wer den Patienten behandelt, der kriegt auch das Geld und kann sein Budget erfüllen, das ihm in Zielvereinbarungen mit der Geschäftsführung vorgegeben wurde“, fasst Amendt zusammen.

Die Lösung: interdisziplinäre Gefäßzentren

Sowohl Rümenapf als auch Amendt sehen das Vergütungssystem deshalb sehr kritisch. Ihre Lösung: In einem überregionalen Gefäßzentrum teilen sie sich ein Budget. So konnte der interdisziplinäre Konkurrenzdruck entschärft werden.

„Aber auch den Patienten kommt die Bündelung der verschiedenen Kernkompetenzen zugute“, so Amendt, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA). Denn die Entscheidung für oder gegen ein Verfahren könne dort auf einer rein medizinischen Ebene – und ohne finanziellen Druck – erfolgen.

Für den Angiologen sind interdisziplinäre Gefäßzentren deshalb auch das einzige erfolgversprechende Zukunftsmodell. In den letzten Jahren seien bereits mehr und mehr solcher Zentren gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, der Deutschen Röntgengesellschaft und der DGA zertifiziert worden.

Leere Betten muss in solchen Zentren zumindest niemand mehr fürchten. Eine Reduktion der Belegungszahlen könnte höchstens noch von den Patienten selbst ausgehen: Sowohl Amendt als auch Rümenapf betonen, dass sich die überwiegende Zahl der Eingriffe gänzlich vermeiden ließe, wenn die Erkrankten sofort nach der Diagnosestellung mit einem konsequenten und gezielten Gehtraining begännen.

Das allerdings hat sich noch nicht genügend herumgesprochen.

Referenzen

Referenzen

  1. Fowkes FG, et al: Lancet (online) 1. August 2013
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)61249-0
  2. Heikkinen M, et al: Eur J Vasc Endovasc Surg. 2000;19(4):351-355
    http://www.ejves.com/article/S1078-5884(00)91074-8/abstract
  3. Leitlinien PAVK; Stand 27.4.2009
    http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-003_S3_Diagnostik_und_Therapie_der_peripheren_arteriellen_Verschlusskrankheit__PAVK__03-2009_05-2012.pdf
  4. Malas MB, et al: J Vasc Surg. (online) 26. Juli 2013
    http://dx.doi.org/10.1016/j.jvs.2013.05.100

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Fowkes FG: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in der Originalpublikation.

Rümenapf G, Amendt K: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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