„Kennst Du eigentlich Deine Kondomgröße?“ Für gewöhnlich bekommt „Mann“ solche Fragen eher selten gestellt, noch seltener wohl am helllichten Tag in der Fußgängerzone einer deutschen Großstadt – und obendrein von einer fremden Frau mit Mikrofon in der Hand. Doch gerade mit einer derart unkonventionellen Ansprache gelingt es der in Köln ansässigen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) immer wieder, sich im Rahmen der jährlichen HIV/AIDS-Präventionskampagne „Gib AIDS keine Chance“ ihren Zielgruppen zeitgemäß zu nähern: den 16- bis 44jährigen Männern und Frauen.
Seit den 1980er Jahren hat die BZgA auf vielfältige Weise ein breites Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität geschaffen. „Mit der Kampagne ist ein allgemein gutes Schutzverhalten in der Bevölkerung erreicht worden“, bestätigt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der BZgA, gegenüber Medscape Deutschland. „Die gerade veröffentlichten Ergebnisse der Repräsentativstudie ‚AIDS im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland 2012´ zeigen, dass sich die Nutzung von Kondomen immer mehr etabliert hat.“
In der Tat: Mit 229 Millionen im Jahr 2012 haben die Kondomverkaufszahlen eine neue Rekordhöhe erreicht [1]. „Beispielsweise geben 85 Prozent der Frauen und 86 Prozent der Männer von den rund 7.000 Befragten an, zu Beginn einer neuen sexuellen Partnerschaft immer Kondome verwendet zu haben. 2002 waren es noch 74 Prozent bzw. 76 Prozent“, sagt Pott.
Der Schutz vor HIV ist etabliert, das Wissen um andere Geschlechtskrankheiten fehlt
Für 83% der Befragten dienen Kondome der Empfängnisverhütung, immerhin 55% verwenden sie zum Schutz vor HIV – und: „vor anderen Ansteckungen“. Der Wissensstand zu „anderen Ansteckungen“ tendiert allerdings gegen Null. Was Syphilis, Chlamydien, Gonorrhoe, Ulcus Molle, Trichomoniasis, Herpes genitalis, Hepatitis A/B/C, HPV, Bakterielle Vaginose, Candida und Scabies sind, und dass diese zur Gruppe der STI (sexually transmitted infections) gehören, ist nahezu unbekannt.
In ihrer neuen Kampagne „mach’s mit – Wissen & Kondom“ hat die BZgA deshalb die STI- in die HIV-Prävention integriert. Einerseits, weil STI die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung um das 2- bis 10-fache erhöhen können, andererseits weil die Ausbreitung der STI auch in Deutschland seit einiger Zeit eine beachtliche Dynamik entwickelt.
„Ein Anstieg der Syphilisrate von mehr als 50 Prozent von 2010 bis heute lässt nicht nur aufhorchen, sondern zeigt auch, wie dringend gehandelt werden muss“, verdeutlichte Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für sexuelle Gesundheit an der Bochumer Universitätshautklinik, und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG), 2012 auf dem Jahreskongress der Gesellschaft in Berlin [2]. Verkompliziert würde die Situation zusätzlich dadurch, dass Mundhöhle und Anus – auch bei heterosexuellem Verkehr – infolge geänderter Sexualgewohnheiten zu primären Manifestationsorten von STI werden.
„Gleichzeitig erleben wir bei immer mehr Erregern immer mehr Antibiotikumresistenzen: Eine empirische Therapie der Gonorrhoe droht demnächst unmöglich zu werden“, schreibt Brockmeyer im „Leitfaden STI-Therapie“ der DSTIG [3].
Erfolgreiche STI-Prävention ist mehr als Kondomnutzung
Angesichts der aktuellen Situation reiche ein Schutz durch Kondome allein folglich nicht aus – es müssten zusätzlich andere Maßnahmen angewendet werden, so Pott: „Erfolgreiche Prävention muss aus Schutzverhalten, Testung und Behandlung im Hinblick auf HIV und aus der Nutzung der zusätzlichen Schutzmöglichkeiten im Hinblick auf andere STI bestehen, zum Beispiel Impfen, Hygienemaßnahmen, frühzeitige Abklärung von Symptomen, gezielte Diagnostik, Beratung und Behandlung.“ Und: Erreicht werden müssen außer der Allgemeinbevölkerung auch spezifische Zielgruppen wie Jugendliche, nicht-monogam lebende Erwachsene und Männer, die Sex mit Männern haben.
Die BZgA verfolgt mit der Kampagne eine in 2 Phasen unterteilte Kommunikations- und Lernstrategie, erklärt Pott. Die erste Phase ist auf 2 Jahre angelegt und soll die Bevölkerung in Deutschland dafür sensibilisieren, dass es neben HIV noch andere sexuell übertragbare Infektionen gibt, für die das Kürzel STI steht. „Zudem soll Phase 1, die einzelne STI thematisiert und gezielte Schutzbotschaften übermittelt, diese breiter bekannt machen.“
Ab 2014 sollen dann in Phase 2 Schutzbotschaften zu einzelnen STI über Printmotive vermittelt werden. In beiden Phasen ist die Kampagnenhomepage machsmit.de die zentrale Informationsplattform. „Die BZgA arbeitet hierbei mit den Gesundheitsämtern, den Aidshilfen und den niedergelassenen Ärzten eng zusammen.“
Damit wird gezielt das vorhandene Informationsbedürfnis zu STI bedient, das insgesamt geringer ist als das zu HIV. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass die übrigen STI als weniger bedrohlich wahrgenommen werden, da sie in der Regel (noch) gut behandel- und heilbar sind. In der aktuellen Studie äußern 36% der Frauen und 31% der Männer ab 16 Jahren Interesse an weitergehenden Informationen. Bei den Jugendlichen ist es mit 61% deutlich stärker ausgeprägt.
Nicht nur die BZgA ist vom langfristigen Erfolg ihrer neuen Aufgabe überzeugt, die Veranstalter des STI-Weltkongresses, der Mitte Juli 2013 in Wien unter dem Motto Threatening Past – Promising Future stattgefunden hat, waren es wohl auch. Sie haben eine Delegation eingeladen, den Kampagnenansatz dem internationalen Fachpublikum vorzustellen, zumal in Europa nur die Schweiz eine vergleichbare Kampagne hat.
„Ergebnisse zu deren Wirksamkeit liegen derzeit noch nicht vor, da eine umfassende Evaluation erst nach einer Laufzeit von 5 Jahren geplant ist“, sagt Pott. In Deutschland werde die Wirksamkeit der Kampagne umfassend und kontinuierlich untersucht. „Im Zentrum stehen der Wissenstand und das Verhalten zu STI. Aus den Evaluationsergebnissen werden dann Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der Kampagne gezogen.“ Denn die derzeit stark diskutierten biomedizinischen Ansätze – z. B. Behandlung als Prävention – erfordern eine sehr differenzierte Aufklärung in den einzelnen Zielgruppen, um erfolgreich sein zu können.
Ärztliche Beratung zur sexuellen Gesundheit kommt zu kurz
Der Weg dorthin ist geebnet, man darf gespannt sein, wie sich die aktuellen Studiendaten prospektiv verändern werden. Zurzeit können weniger als die Hälfte der über 16-Jährigen etwas mit Erkrankungen wie Syphilis (45 %), Gonorrhoe/Tripper (48 %), Hepatitis (13 %), Candidosen (10 %) und Herpes (8 %) anfangen – und noch weniger mit Chlamydien, Kondylomata und Trichomoniasis (je 7, 3 und 1%). Wenig überraschend ist, dass Frauen die Leitsymptome für STI besser kennen als Männer: Juckreiz und Ausfluss werden im Jahr 2012 von 51% der Frauen als Symptome genannt, jedoch nur von 34% der Männer.
„Es gibt jedoch auch Infektionen, die völlig asymptomatisch verlaufen“, sagte Brockmeyer in Berlin. „Gerade diese Verläufe wie bei der Chlamydien-Infektion und der Gonorrhoe führen sehr schnell zu einer Ausbreitung von STI. Daher müssen wir verstärkt für regelmäßige ärztliche Präventionsuntersuchungen werben.“ Ein Problem hierbei sei allerdings, dass die Beratungsgespräche nicht abgerechnet werden könnten. Das führt dazu, dass in einigen Praxen die Beratung zur sexuellen Gesundheit zu kurz kommt.
Brockmeyer forderte, dass 3 Punkte auf der gesundheitspolitischen Agenda zeitnah umgesetzt werden müssten:
- Die Stärkung der HPV-Impfung,
- die finanzielle Absicherung zur Sicherstellung der Versorgung und Diagnostik im STI-Bereich und
- die Möglichkeit der Abrechnung von Behandlungsleistungen nicht versicherter Patienten.