Transkript
PROF. GOLDSCHMIDT:
Guten Tag!
Mein Name ist Prof. Hartmut Goldschmidt. Ich bin Leiter der Sektion Multiples Myelom in der Medizinischen Klinik 5 der Universität Heidelberg und gleichzeitig am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg.
Zum heutigen Expertengespräch freue ich mich, Herrn Prof. Dr. Hermann Einsele begrüßen zu können. Herr Einsele ist Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Schönen guten Tag.
PROF. EINSELE:
Guten Tag.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Ich darf Sie herzlich willkommen heißen zu dieser medizinischen Fortbildung von Medscape Deutschland mit dem Titel: Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie beim multiplen Myelom: Was ist die Evidenz?
In diesem Programm werden wir folgende Themenbereiche ansprechen: Unterschiedliche Strategien zur Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie sowohl bei für eine Transplantation geeigneten als auch bei für eine Transplantation ungeeigneten Patienten. Wir werden den Einsatz bestimmter therapeutischer Kombinationen in der Konsolidierungs- und Erhaltungsphase für die differenten Patientengruppen besprechen und uns über die Evidenzlage und die Notwendigkeit von Konsolidierungs- und Erhaltungsstrategien beim Myelom-Patienten insbesondere in Deutschland unterhalten.
Sie sehen auf diesem Bild eine deutliche Verbesserung des Überlebens insbesondere von jüngeren Patienten. Der blaue Balken veranschaulicht die Patienten, die unter 50 Jahre alt sind. Sie sehen die 5-Jahres-Kohorten und Sie können hier in den Kohorten erkennen, dass eine Zunahme der Lebenserwartung zu sehen ist. Insbesondere die jüngeren Patienten unter 50 Jahre profitieren, was Sie am Anstieg der blauen Balken erkennen können. Wir sehen hier, dass die älteren Patienten, insbesondere im Alter von 70 bis 79 und 80 Jahre, fast keinen Profit in dieser Auswertung von 2008 haben. Hierbei ist hinzuzufügen, dass neuere Auswertungen zeigen, dass die neuen Substanzen auch dieser Patientengruppe verabreicht werden und daher eine gewisse Zunahme der Lebenserwartung für ältere Patienten festzustellen ist.
Wir werden uns jetzt über die Konsolidierungs- und Erhaltungstherapie unterhalten, und einführend möchte ich darauf hinweisen, dass in Deutschland weder die Konsolidierungs- noch die Erhaltungstherapie für das multiple Myelom derzeit eine zugelassene Indikation mit einem der Medikamente ist. Die Erhaltungstherapie mit Bortezomib wird insbesondere in den USA-Richtlinien der Mayo-Klinik für Hochrisiko-Patienten empfohlen.
Das ist die Empfehlung der Mayo-Klinik, mSMART genannt. Sie sehen, dass hier frühzeitig entschieden wird, welchen Weg der Patient gehen soll. Geht er in Richtung Hochdosis-Therapie, gefolgt von einer autologen Transplantation, oder ist diese intensive Therapie keine geeignete Form der Behandlung?
Wie Sie sehen können, nimmt die Mayo-Klinik Stratifikationen für Hochrisiko-Patienten, Intermediate-Risiko-Patienten und „Standard-Risk“-Patienten vor. Aus deutscher Sicht ist zu kommentieren, dass das Empfehlungen sind, die wesentlich auf den Experten-Analysen der Kollegen in der Mayo-Klinik beruhen und nicht auf randomisierten Phase-III-Studien. Es wird sicherlich versucht, diese mit großen Studiengruppen in Europa umzusetzen.
Sie sehen hier, dass die Hochrisiko-Patienten sehr intensiv behandelt werden, dass es eine ganz klare Empfehlung gibt, mit Kombinationstherapie zu beginnen, unbedingt die autologe Transplantation durchzuführen und auch eine Konsolidierung umzusetzen. Auf der anderen Seite, bei den Standard-Risiko-Patienten wird weniger intensiv behandelt, Zweier-Kombination oder Dreier-Kombination, es werden die Stammzellen gesammelt und eine autologe Transplantation in Abhängigkeit mit dem Patienten besprochen. Auch besteht in Nordamerika die Möglichkeit, langfristig mit der Zweier-Kombination zu behandeln.
Ich denke mit Herrn Prof. Einsele in Übereinstimmung zu sein, dass wir das in Europa anders sehen. Dass wir für die geeigneten Patienten gegenwärtig gleich eine intensive Therapie empfehlen. Wir sind der Meinung, dass eine intensive Therapie auch bei jüngeren Patienten mit “Standardrisiko“ zu einer Verbesserung führt, zu einer tieferen Remission und wir würden aus deutscher Sicht hier sicherlich die autologe Transplantation für geeignete Patienten generell empfehlen.
Auch hier in Europa besteht die Situation – und in Deutschland ist dies nicht anders –, die Entscheidung für oder gegen autologe Transplantation frühzeitig für Kandidaten zu treffen. Wie Sie sehen, wird in Mitteleuropa eine Dreier-Kombination – meist Bortezomib-basiert – empfohlen, Stammzellen werden gesammelt, mindestens einmal transplantiert und in Abhängigkeit von dem Ergebnis zur Stammzelltransplantation wird dann eine Konsolidierung durchgeführt.
Hier ist sicherlich der Punkt der Tandemtransplantation mit der zweiten Transplantation zu erwähnen, aber eben auch die Konsolidierungs- und die Erhaltungstherapie mit den Substanzen Thalidomid, Lenalidomid und Bortezomib.
Sowohl for Thalidomid, Lenalidomid als auch Bortezomib wurde nachgewiesen, dass sie in der Erhaltungstherapie die Progression verzögern und das Gesamtüberleben verbessern, insbesondere nach Transplantation und nach einer Einleitung dieser Therapieform.
Die Erhaltungstherapie, da glaube ich auch, dass wir die gleiche Sichtweise haben, sollte man nicht mit Chemotherapie durchführen. Sicherlich wurden vor 30, 40 Jahren Versuche durchgeführt, die zu keiner Verbesserung der Prognose geführt haben. Die Wirksamkeit von Interferon wurde in Meta-Analysen nachgewiesen, ist aber sicherlich mit starken Nebenwirkungen verbunden. Es gab auch entsprechende Publikationen zu den Corticosteroiden. Letztendlich muss man sagen, dass sich diese Substanzen nicht durchgesetzt haben, weder in Nordamerika noch in Europa. Thalidomid, Lenalidomid sind in Studien geprüft, und wir hatten auch gehört, dass Bortezomib in Subgruppen analysiert wurde.
Für Thalidomid sind 6 Studiengruppenergebnisse zusammengefasst und wir können alle Ergebnisse mit einem JA hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens bezeichnen. Die Auswertungen hinsichtlich des Gesamtüberlebens sind different. Das liegt sicherlich daran, dass Thalidomid in der Erhaltungstherapie einen Einfluss auf die Resistenz des Myelomklons oder auch einen Einfluss auf die Stromasituation haben kann, so dass die Einschätzungen hinsichtlich des Gesamtüberlebens nicht einheitlich sind.
Sehen wir uns die Lenalidomid-Erhaltungstherapie an: Zwei aktuelle Studienergebnisse von großen Studien aus Europa und Nordamerika zeigen zur Lenalidomid-Erhaltungstherapie wieder progressionsfreies Überleben und die nordamerikanische Studie weist einen Gesamtüberlebensgewinn für das Lenalidomid im Vergleich zum Placebo aus.
Diese Therapien sind mit Nebenwirkungen in Bezug auf die Verträglichkeit der Substanzen, aber auch das Auftreten von Zweittumoren verbunden. Insbesondere bei einer Lenalidomid-Behandlung liegt ein vermehrter Nachweis von Zweittumoren vor. Das wird gegenwärtig intensiv untersucht. Wir können aber auch ganz klar formulieren, dass der Gewinn hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens und auch die Einschätzung der amerikanischen Kollegen zum Gesamtüberleben das Risiko von Zweittumoren bei weitem überwiegt.
Zum Bortezomib [Studie HOVON 65 MM / GMMG-HD4: eine randomisierte Phase-III-Studie zur Beurteilung der Wirksamkeit von Bortezomib in Kombination mit Adriamycin, Dexamethason (AD) als Induktionsbehandlung, gefolgt von hochdosiertem Melphalan und Bortezomib allein während der Erhaltungsphase bei Patienten mit multiplem Myelom]: von der Erhaltungstherapie zur Hochdosistherapie, Daten der HOVON-Studiengruppe zusammen mit unserer GMMG-Studiengruppe. Bei dieser Studie muss man natürlich herausstellen, dass das Bortezomib als Erhaltungstherapie und als Induktionstherapie gegeben wurde.
In der Kurzform: Bortezomib vor und nach Hochdosistherapie verbessert das Outcome im progressionsfreien Überleben und in der Multivarianz-Analyse auch hinsichtlich des Gesamtüberlebens. Ähnliche Daten liegen von der spanischen Gruppe zur Erhaltungstherapie mit Bortezomib und Thalidomid vor. Diese Studie ist dreiarmig mit Thalidomid und Interferon als Vergleichsgruppen.
Wie ist die Evidenzlage, welche Faktoren sind entscheidend? Ist die Vorbehandlung entscheidend, nur nach Transplantation oder auch bei Nicht-Transplantations-Patienten, dazu würde ich ganz gerne Herrn Einsele fragen.
PROF. EINSELE:
Die Vorbehandlung spielt sicher eine entscheidende Rolle. Die Vorbehandlung erklärt möglicherweise auch die Ergebnisse der amerikanischen Studie, in der eine Lenalidomid-Erhaltungstherapie nicht nur eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens, sondern auch des Gesamtüberlebens gebracht hat. Dort wurden die Patienten initial, also vor Transplantation mit Lenalidomid behandelt. Man kann sich dementsprechend vorstellen, dass gerade die Patienten ausgewählt wurden, die auf Lenalidomid ansprachen und daher natürlich auch eine bessere Chance hatten, auf die Lenalidomid-Erhaltungstherapie hinterher wiederum anzusprechen.
Womöglich erklärt dies die Unterschiede zwischen der französischen und der amerikanischen Studie und belegt aus meiner Sicht sehr klar, dass die Vorbehandlung auch für eine nach der Transplantation oder nach der Induktionstherapie durchgeführte Konsolidierungstherapie und Erhaltungstherapie wichtig ist, so dass man diese Aussage sicher sowohl für die transplantierten als auch für die nicht für eine Transplantation geeigneten Patienten treffen darf.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Beim Thalidomid haben in vielen Studien insbesondere die Patienten mit einer Restaktivität nach der Transplantation von der Thalidomid-Erhaltungstherapie profitiert. Wie sehen Sie denn das bei Lenalidomid? Besteht hier eine ähnliche Voraussetzung?
PROF. EINSELE:
Für das Lenalidomid liegt in den Analysen vor allem der französischen Studie ein klarer Beleg dafür vor, dass das Ansprechen und die Verbesserung des progressionsfreien Überlebens unabhängig vom Ansprechen nach der Transplantation ist. D. h. auch Patienten, die eine komplette Remission erreichen, profitieren von der Erhaltungstherapie mit Lenalidomid. Dies trifft auch auf Patienten zu, die noch Resterkrankungen haben. Es trifft auch auf Patienten zu, auf die wir wahrscheinlich später noch zu sprechen kommen, die ungünstige zytogenetische Voraussetzungen für das Therapiekonzept mitbringen.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Wie würden Sie die Erhaltungstherapie von der Konsolidierungstherapie unterscheiden und würden Sie eine Wertung vornehmen?
PROF. EINSELE:
In Deutschland haben wir, wie Sie eingangs ja schon dargestellt haben, das Problem, dass weder die Konsolidierungs- noch die Erhaltungstherapie zugelassen sind. Wir führen im eigentlichen Sinne insofern eine Konsolidierungstherapie bei vielen Patienten durch, als wir eine zweite Transplantation anbieten. Das ist auch eine Form der Konsolidierungstherapie. Wir haben in Deutschland diese Möglichkeit, weil die Krankenkassen akzeptiert haben, für bestimmte Patienten Thalidomid in die Erhaltungstherapie mit einzubeziehen.
Für Lenalidomid haben wir das Problem, dies mit den Krankenkassen verhandeln zu müssen. Wir wissen aber aufgrund der französischen bzw. amerikanischen Daten, dass die Patienten in Bezug auf progressionsfreies Überleben extrem von der Lenalidomid-Erhaltungstherapie profitieren. Die Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von zum Teil weit über einem Jahr bzw. anderthalb Jahren ist eine Verbesserung des Therapieergebnisses, wie man es mit fast keiner anderen therapeutischen Maßnahme bisher beim Myelom gesehen hat. Allerdings muss man klar festhalten, dass nur die amerikanische Studie bisher einen Vorteil beim Gesamtüberleben zeigt.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Welchen Einfluss kann denn die Therapie [der Redner meinte Remission, Anm. d. Red.] nach der Hochdosistherapie haben? Dies ist auf dem Schaubild der spanischen Gruppe 2011 dargestellt. Hier kann man gut sehen, welche Folgen die komplette Remission hat. Wir haben in Deutschland mit Dreierkombinationen und einer intensiven Induktionstherapie gute Erfahrungen.
Sie hatten ausgeführt, dass die einfache und die Doppeltransplantation im Sinne einer zweiten Transplantation zur Konsolidierung ein Element darstellt. Ich stimme überein, dass die CR (Komplettremission) gegenwärtig das Ziel bei jüngeren Patienten ist.
PROF. EINSELE:
Genau, die spanischen Daten belegen ganz klar, dass die Patienten, die eine komplette Remission erreichen, die beste Chance auf eine langfristige Tumorkontrolle und sogar eventuelle Heilung haben. Wir wissen, dass wir mit den aktuellen Transplantationskonzepten wahrscheinlich nur bei etwa 50 % eine komplette Remission erreichen.
Um so wichtiger ist es natürlich, nach der Transplantation nochmals durch zusätzliche Therapie zu versuchen, auch bei den Patienten, die bisher keine CR erreicht haben, diese CR noch zu erzwingen. In Frankreich ist daher die Konsolidierungstherapie zugelassen. Hierzu gibt es sicher verschiedene Optionen.
Man kann Bortezomib in Kombination mit Thalidomid, mit Dexamethason geben. Ein Ansatz, der in Italien sehr intensiv verfolgt wurde. In der französischen Studiengruppe wurde hochdosiertes Lenalidomid in der Konsolidierungstherapie verabreicht, anschließend niedriger dosiertes in der Heilungstherapie eingesetzt. Beide Strategien waren erfolgreich und haben eine weitere Verbesserung des Ansprechens auch nach der Transplantation erzielt, so dass hier tatsächlich die Rate der Patienten, die eine komplette Remission erreichen können, noch einmal erhöht wurde, mit dem klaren Ziel, dass wir diesen Patienten ein möglichst langes krankheitsfreies Überleben ermöglichen.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Angesichts der neuen Substanzen stellt sich die Frage und wird auch diskutiert: Ist die Hochdosis-Therapie essentiell? Wir beide haben gestern in Madrid Aktualisierungen zu den Studien gehört, die zurzeit zum Vergleich der Hochdosis-Therapie mit intensiven Kombinationstherapien durchgeführt werden. Hier ist das Bild der italienischen Studie, die von Herrn Palumbo geführt wird.
Dies ist eine Zweier-Induktionstherapie mit Randomisierung in eine Gruppe mit hochdosiertem Melphalan verglichen mit einer Gruppe mit Melphalan, Prednison, Lenalidomid sowie Erhaltungstherapie verglichen mit keiner Erhaltungstherapie. Die Präsentation auf dem ASCO-Meeting hat gezeigt, dass der beste Arm im Augenblick die Hochdosis-Therapie, gefolgt von der Erhaltungstherapie, ist.
Dies stellt sicherlich eine nochmalige Bestätigung der Wichtigkeit einer Tiefenremission durch Melphalan 200 mg dar. Diese Studie hat mit dieser frühen Auswertung gezeigt, dass die Erhaltungstherapie zur progressionsfreien Verlängerung führt. Interessant ist, dass in dieser Studie keine erhöhte Inzidenz von Zweittumoren festgestellt wurde. Das ist ein richtungsweisendes Konzept und bestätigt uns noch einmal darin, in Deutschland als auch in Europa an der primären Hochdosistherapie festzuhalten.
PROF. EINSELE:
Ja, das sehe ich absolut so. Wir haben in Deutschland etwas andere Altersgrenzen als andere europäische Länder: Wir bieten auch Patienten bis zum Alter von 70 Jahren die Stammzelltransplantation als sicher wirksamstes Therapieelement an. Ich denke, die Daten zeigen wiederum, dass die Transplantation derzeit ein ganz essentielles Element der Therapie auch des etwas älteren Patienten mit Myelom darstellt, aber auch dass die Erhaltungstherapie zunehmend für unsere Patienten attraktiv wird.
Ich gehe davon aus, wenn die Daten noch reifer sind, als sie es im Augenblick sind, dass sehr wahrscheinlich auch die Erhaltungstherapie in Europa zugelassen und unseren Patienten angeboten werden wird.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Hier sehen Sie einen Datenüberblick: kein großer Unterschied in Bezug auf CR, das hat ein bisschen überrascht. Aber in Bezug auf das progressionsfreie Überleben bestehen signifikante Unterschiede und auf dem ASCO hat sich auch das Gesamtüberleben unter Erhaltungstherapie als Vorteil der Hochdosis-Therapie herausgestellt.
Hier das progressionsfreie Überleben noch einmal in gelb. Melphalan ist mit 73 % wesentlich besser als Melphalan-Prednison in Kombination mit Lenalidomid. Eine andere Auswertung, wieder aus Spanien, zeigt verschiedene CR-Raten bei Gabe der Erhaltungstherapie an. Wenn die CR-Raten verbessert werden, kann man ganz klar sehen, dass die CR (in blau), die aus einer NCR [fast vollständige Remission] hervorgeht, die beste Ausgangslage ist. Darüber haben wir gestern lange diskutiert.
Heute zählt die Tiefe der Remission – wir haben neue Mechanismen, diese zu analysieren.
Sie haben hier ein sehr schönes Dia zusammengestellt, Herr Einsele, in Bezug auf die Veranschaulichung verschiedener Möglichkeiten, wie kompliziert die Therapie ist, die Induktion, die in vielen Situationen Bortezomib-basiert ist, in Nordamerika eher IMiD-basiert [Immunmodulatoren], Doppeltransplantation, Konsolidierung, Erhaltungstherapie.
Wir sehen, wie wichtig die CR nach Transplantation in dieser Konstellation ist. Hier dann die Remissionstiefe, und ich bitte Sie, vielleicht auch diese Konsolidierung, die zu einer PCR-Negativität [PCR: Polymerase-Kettenreaktion] geführt hat, zu kommentieren.
PROF. EINSELE:
Das sind Daten, die von Michele Cavo aus der italienischen Studiengruppe erstellt oder gewonnen wurden. Diese Studie zeigt letztendlich, dass auch nach der Stammzellentransplantation mit einer Kombinationstherapie, VDT [VTD = Bortezomib/Thalidomid/Dexamethason], wie es die Kollegen bereits vor der Transplantation eingesetzt haben, nach der Transplantation noch eine weitere Verbesserung der Remissionsqualität erreicht werden kann. Dies ist für unsere Patienten und auch für die Kollegen sehr wichtig.
Dieses zweite Dia zeigt ganz klar, dass die Patienten, bei denen es gelingt, sogar molekular definiert eine komplette Remission zu erreichen, offensichtlich eine sehr hohe Chance haben, lange Zeit ohne Krankheit zu überleben. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass die Konsolidierungstherapie heute schon diskutiert wird und eben in bestimmten Ländern wie Frankreich auch bereits in der klinischen Praxis angekommen ist.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Für mich ist dieses Bild vergleichbar mit den akuten Leukämien, bei denen vor 10 Jahren festgestellt wurde, dass die molekulare Remission die Tür zur Langzeitremission öffnet. Wir haben sicherlich beim Myelom noch einiges zu lernen und zu verbessern, aber die Tür ist meiner Ansicht nach für Langzeitremission geöffnet, die sich auch in ein hohes Gesamtüberleben umsetzen lässt.
Hier ein Bild der nordischen Studiengruppe, die das Bortezomib konsequent zur Konsolidierung nach einer Doppeltransplantation mit Melphalan eingesetzt hat. Man sieht, dass durch die Therapie mit Bortezomib die Rate der CR erhöht werden konnte.
Diese Studie zeigt auch ganz klar, dass ein Proteasominhibitor wie das Bortezomib nach der Hochdosis-Therapie zur Konsolidierung eine wichtige Rolle spielt.
PROF. EINSELE:
Wobei man hinzufügen muss, dass diese Studie bisher noch keine Überlebensvorteile gezeigt hat.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Ein anderes Konzept mit Bortezomib-basierter Induktion, Stammzellmobilisierung, Melphalan 100, Patientenpopulation zwischen 65 und 75 Jahre alt ist hier dargestellt. In dieser Gruppe wurde die Dosis des Melphalans angepasst, gefolgt von einer Konsolidierung unter Lenalidomid und Prednison sowie Erhaltungstherapie.
Das ist für uns beide ein ganz tolles Ergebnis, dass eine CR-Rate von 73 % berichtet wird. Dies bedeutet ein sehr hohes Ansprechen, das wir uns wünschen. Ich gebe ein bisschen zu bedenken, dass das Daten sind, die „as treated“ dargestellt sind. Wir müssen gemeinsam mit unseren deutschen Studiengruppen, mit unseren Erfahrungen in den Kliniken arbeiten, damit die „Intention-to-Treat“-Therapie vielleicht solche Ausmaße annimmt und damit wir vielleicht die Nebenwirkungen der Therapie weiter durch intelligente Kombinationen mit Glucocorticoid-Gaben und durch andere Applikationsformen von Bortezomib reduzieren können.
PROF. EINSELE:
Was dieses Dia sehr schön zeigt, ist, dass mit der Konsolidierungstherapie und der Erhaltungstherapie tatsächlich eine Rate an kompletten Remissionen, die wir nach der Hochdosis-Therapie mit 43 % gesehen haben, von zusätzlichen mehr als 30 % erzielt werden kann. D.h. die Konsolidierung und die Erhaltung tragen zusätzlich zu einer erheblichen Verbesserung der Remissionsqualität bei und erhöhen damit natürlich auch den Prozentsatz an Patienten, die die Chance haben, langzeitig zu überleben.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Ja, volle Zustimmung. Haben wir denn Biomarker, andere Charakteristika vielleicht, damit wir Untergruppen bestimmen können, die von einer der aufgezeigten Konsolidierungs- oder Erhaltungstherapien profitieren? Ich denke da z. B. an die Zytogenetik, wollen Sie das vielleicht kommentieren?
PROF. EINSELE:
In mehreren Studien wurden Erhaltungstherapien eingesetzt. Zum Thalidomid liegen vor allem aus den englischen Studien Anhaltspunkte dafür vor, dass Patienten mit sehr ungünstigen zytogenetischen Voraussetzungen, also 17p-Deletion von der Thalidomid-Therapie oder Erhaltungstherapie nicht profitieren, sogar möglicherweise einen Überlebensnachteil haben.
Andere Untersuchungen zum Lenalidomid zeigen, dass z. B. die t(4,14)-Translokation auch von der Lenalidomid-Erhaltungstherapie profitiert. In der gemeinsamen Studie der Heidelberger Studiengruppe mit den holländischen Kollegen konnte nachgewiesen werden, dass die 17p-Deletion offensichtlich eine Subgruppe von Patienten ist, die von einer langfristigen Bortezomib-Erhaltungstherapie bezüglich des progressionsfreien und v.a. des gesamten Überlebens profitieren.
Also ich denke, da kann man inzwischen tatsächlich eine etwas differenziertere Form der Erhaltungstherapie aufgrund der Zytogenetik für bestimmte Patientengruppen annehmen.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Wie Sie ausgeführt haben, halten wir die Zytogenetik für essentiell im Augenblick. Für die Risikostratifikation und insbesondere für die 17p-Untergruppe versuchen wir, durch Langzeitgabe von z. B. Bortezomib oder auch mit anderen Therapieformen die Prognose zu verbessern, und in der Studiengruppe konnte gezeigt werden, dass das realistisch ist.
Zum Cereblon: Bei uns fragen Patienten an – ich weiß nicht, wie das bei Ihnen in der Klinik ist –, die Internet-Recherche betreiben und anfragen, ob das nicht bei ihnen bestimmt werden kann. Soll man das bestimmen? Machen Sie das bei Ihnen in der Klinik?
PROF. EINSELE:
Wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Thematik beschäftigt, aber das Problem aus meiner Sicht ist, dass die Assays, die bisher zur Verfügung stehen, noch nicht sehr gut validiert sind, und es bestehen auch ein paar Unterschiede.
Wir wissen, dass beim Thalidomid wahrscheinlich, beim Lenalidomid sicher, das Ansprechen aufgrund des Ausmaßes der Cereblon-Expression vorhergesagt werden kann. Beim Pumalidomid scheint es wieder unterschiedlich zu sein. Also für mich ist die Story noch nicht so klar, dass ich das wirklich als Routineverfahren den Patienten anbieten würde.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Da stimme ich Ihnen voll zu. Wir sehen das ganz genauso, wie Sie das ausgeführt haben. Andererseits geht es meiner Meinung nach für Gruppenanalysen in die richtige Richtung. In der Industrie wird ja ganz stark daran gearbeitet, dieses Assay zu verfeinern und letztendlich daran auch zu lernen und gezielt Patientengruppen oder einzelnen Patienten Empfehlungen zu geben.
Zurück zur Zytogenetik: Die französischen Kollegen sind in der Lage, große Gruppen zusammenzustellen. Wie werten Sie hier den Verlust bei Chromosom 1 vom kurzen Arm hinsichtlich des Abschnittes 22 und 32?
PROF. EINSELE:
Ich muss ganz klar sagen, wir wissen, dass 17p-Deletion ein sehr ungünstiger prognostischer Marker ist und t(4,14) möglicherweise partiell durch das Bortezomib aufgehoben wird. Die französischen Ergebnisse vermitteln allerdings, dass es weitere Subgruppen gibt, die wiederum mit einer schlechten Prognose assoziiert sind. Hierzu gehört sicher die 1p22/1p32-Deletion.
Andere ungünstige prognostische Parameter sind sicher die extramedulläre Erkrankung, die Plasmazellleukämie. Wir lernen, die Patienten besser einstufen zu können, und ich denke, die biologische Klassifikation, aber möglicherweise auch molekulare Marker wie die Cereblon-Expression und andere Marker werden uns zukünftig helfen, die Therapie vielleicht auch individualisierter durchzuführen, um damit den Patienten vielleicht bessere Therapien mit weniger Nebenwirkungen anbieten zu können.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Was Sie ausführen, finde ich sehr interessant, dass die lange bekannte Zytogenetik jetzt in der klinischen Studienlandschaft fest angekommen ist und dass das Chromosom 1 so an Bedeutung gewonnen hat. Wir werden das sicherlich ganz gespannt verfolgen.
Hier eine Abbildung, die wir beide sehr gut von vielen Kongressen her kennen, und die zeigt, dass das Myelom nicht eine Krankheit ist, sondern dass das Myelom Subklone hat, die unterschiedlich hervorwachsen. Sowohl in Würzburg als auch in Ihrer Studiengruppe als auch bei uns vor Ort wird versucht, diese klonale Evolution zu verfolgen. Die Vision ist natürlich, auf diese Evolution zu reagieren und diese im Idealfall vielleicht dann zu unterdrücken.
Als wir über die Aussichten gesprochen haben, hatten wir zu Anfang über das Interferon gesprochen, was in Meta-Analysen bei der Erhaltungstherapie durchaus den Gesamtüberlebens-Gewinn bringt. Auf der anderen Seite müssen zwei Drittel der Patienten absetzen oder reduzieren. Wie sind denn Ihre Einschätzungen zum Thalidomid und zum Lenalidomid in der Erhaltungstherapie?
PROF. EINSELE:
Also zum einen muss sicher das Bortezomib noch als dritte Variante erwähnt werden, von dem wir ja inzwischen wissen, dass wir mit der subkutanen Applikation erheblich an Nebenwirkungen für die Patienten einsparen können. Also ich denke, die subkutane Applikation von Bortezomib hat sich auch in Deutschland inzwischen weitgehend durchgesetzt.
Beim Thalidomid spielt die Neuropathie eine entscheidende Rolle. In der Erhaltungstherapie muss sehr intensiv darauf geachtet werden, dass der Patient mit entsprechender Symptomatik frühzeitig eine Dosisreduktion oder eventuell auch ein Absetzen der Thalidomid-Erhaltungstherapie erfährt.
Bezüglich des Lenalidomids muss ich sagen, dass bei den Patienten, die wir bisher überwiegend im Rahmen von Studien behandelt haben, ein extrem geringes Nebenwirkungsspektrum, eine gute Verträglichkeit gesehen haben. Die sekundären Malignome sind sicher ein Thema und diese sollten wir intensiv im Auge behalten, aber wie Sie vorher auch schon ausgeführt haben, ist die Wahrscheinlichkeit des Krankheitsprogresses beim Myelom weit, weit höher als die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Zweitmalignoms.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Die Daten für die Primärtherapie mit subkutanem Bortezomib sind ja studienweit noch nicht ganz aufgedeckt. Die Erfahrungen aus der täglichen Praxis zeigen, dass die subkutane Gabe gut möglich ist, sie wird hervorragend toleriert.
Wir glauben, dass die Ergebnisse aus der Rezidivtherapie, die in Lancet Oncology [Moreau et al.] publiziert sind, sich in die Primärtherapie sehr gut übertragen lassen.
Wie ist die Evidenz für Deutschland? Gibt es Empfehlungen, die Sie vielleicht jetzt auch ohne Zulassung, ohne eindeutiges Votum des medizinischen Dienstes der Krankenkasse nennen würden, für die Praxis oder für einzelne Patienten?
PROF. EINSELE:
Also mein erstes Plädoyer wäre klar: Bringen Sie Patienten in Studien ein. Denn in den Studien haben wir die Option der Erhaltungstherapie, der Konsolidierungstherapie, da werden die Patienten optimal überwacht und erhalten die modernsten Therapiekonzepte angeboten.
Außerhalb von klinischen Studien ist es bei der derzeitigen Zulassungssituation sicher schwierig in Deutschland, einem Patienten eine Konsolidierungs- oder Erhaltungstherapie anzubieten. Es ist möglich, Thalidomid zu geben, das ist mit dem MDK abgestimmt. Prinzipiell würde ich einem Patienten, der kein gutes Ansprechen oder keine 'very good partial remission' nach der ersten Hochdosistherapie zeigt, sicher eine zweite Transplantation anbieten. Das ist in Deutschland eigentlich Standard. Wenn er aber nach der zweiten Transplantation weiterhin keine komplette Remission zeigt, wird man sicher individuell prüfen müssen, ob man diesem Patienten noch eine Konsolidierungs- und/oder Erhaltungstherapie anbietet. Wobei wir uns bei den Vorgehensweisen auf der ‚Off-label‘-Seite [außerhalb der zugelassenen Indikationen] bewegen und wir uns dann eventuell intensiv mit der entsprechenden Krankenkasse abstimmen müssen.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Ihren Ausführungen kann ich nur zustimmen. In Deutschland sind Studien aktiv, Investigator-initiierte Studien, die solche Konzepte prüfen. Sicherlich ist der Patient dort hervorragend aufgehoben. Für Patienten, die an solch einer Studie vielleicht nicht teilnehmen können, ist eine Einzelanfrage an die Krankenkasse möglich, wenn Hochrisiko-Situationen vorliegen.
Sie haben in Würzburg und in Ihrer Studiengruppe viele Erfahrungen insbesondere zur Allotransplantation für Hochrisikopatienten gesammelt.
Sind Patienten mit zytogenetischem Hochrisiko vielleicht in solch einer Studie gut aufgehoben?
PROF. EINSELE:
Unsere Daten zeigen, dass gerade Patienten mit 17p-Deletion – das ist die Gruppe, die wir bisher am intensivsten in der Studie verfolgt haben – tatsächlich von einer allogenen Stammzelltransplantation profitieren, im Vergleich zu einer autologen Stammzelltransplantation, so dass wir sicher diesen Patienten eine allogene Stammzelltransplantation empfehlen würden.
Im Augenblick laufen in Europa eine Reihe von Studien, die nochmals die allogene Stammzelltransplantation gerade bei dieser allerdings sehr kleinen Subgruppe evaluieren werden.
PROF. GOLDSCHMIDT:
Aus meiner Sicht ist die allogene Transplantation in Studien hervorragend aufgehoben, und es wäre meinerseits auch ein großer Wunsch, dass wir in Deutschland mehr Zugang zu dieser wichtigen Therapieform hätten.
Herr Einsele, ich darf mich ganz herzlich bei Ihnen für das Gespräch bedanken. An Sie als Zuhörer, vielen Dank für die Teilnahme an dieser Fortbildung von Medscape Deutschland.
Wir haben uns über die aktuelle Situation, die Zukunft und über zukünftige Evolutionen therapeutischer Möglichkeiten ausgetauscht. Ich hoffe sehr, dass Sie unser Expertengespräch von Interesse fanden und dass Sie einen praktischen Nutzen für die Behandlung Ihrer Myelom-Patienten ziehen können.
Nochmals ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und auch nochmals ganz herzlichen Dank an Sie, Herr Einsele.
PROF. EINSELE:
Gerne und auch von meiner Seite - danke!
Anmerkung: Dieses Manuskript wurde aus stilistischen Gründen und wegen redaktioneller Klarheit überarbeitet.