Späteres Abnabeln ist gut fürs Kind und unproblematisch für die Mutter

Nadine Eckert | 31. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Wird der Blutfluss zwischen Mutter und Kind nach der Geburt nicht sofort unterbrochen, verbessern sich die Blut- und Eisenwerte des Neugeborenen. Dies lässt sich womöglich durch die schon länger bekannte Tatsache erklären, dass 30% mehr Blut und bis zu 60% mehr rote Blutzellen über die Plazenta zum Kind gelangen können, wenn die Nabelschnur etwas später abgeklemmt wird. „Befürworter des späten Abnabelns kritisieren, dass dieses fetoplazentare Blutvolumen mit der Plazenta weggeworfen wird, wenn die Nabelschnur zu früh abgeklemmt wird“, sagte Dr. Bettina Schlehe, die an der Universitätsfrauenklinik Heidelberg die Sektion Geburtshilfe leitet, gegenüber Medscape Deutschland.

 
„Auch die Richtlinien, die empfehlen, die Nabelschnur nach einer bis eineinhalb Minuten abzuklemmen, müssen angesichts dieser Resultate voraussichtlich überdacht werden.“
Dr. Bettina Schlehe
 

Diese gesundheitlichen Vorteile für das Neugeborene müssen gegen ein geringfügig erhöhtes Gelbsuchtrisiko beim Baby abgewogen werden. Die Gefahr peripartaler Blutungen bei der Mutter ist dagegen nicht erhöht, wie ein aktueller Cochrane-Review zeigt [1].

Untersucht wurden die Auswirkungen eines früheren oder späteren Abklemmens der Nabelschnur auf die Gesundheit der Mutter und des Neugeborenen. Die Autoren um Prof. Susan J. McDonald vom Mercy Hospital für Frauen in Melbourne analysierten Daten aus 15 randomisiert-kontrollierten Studien mit insgesamt 3.911 Mutter-Kind-Paaren.

Frühes Abklemmen der Nabelschnur war definiert als das Setzen der Klemmen innerhalb von 60 Sekunden nach der Geburt des Kindes. Wurden die Klemmen erst nach einer Minute gesetzt, oder gar erst, wenn die Nabelschnur auspulsiert hatte, galt dies als spätes Abklemmen.

Bessere Eisen- und Blutwerte durch spätes Abklemmen

Ein späteres Abklemmen der Nabelschnur hatte eine ganze Reihe gesundheitlicher Vorteile für die Säuglinge: Sie hatten an den beiden Tagen nach der Geburt höhere Hämoglobinwerte, diese wurden von den Forschern als Indikator für gesunde Blut- und Eisenwerte gemessen. Die Babies litten zudem zwischen dem 3. und 6. Lebensmonat seltener an Eisenmangel. Auch das Geburtsgewicht war höher, wenn das Abklemmen hinausgezögert wurde, da deutlich mehr Blutvolumen über die Plazenta ins Kind gelangen konnte.

Die Auswertung der eingeschlossenen Studien ergab keine gesundheitlichen Nachteile für die Mutter, wenn die Nabelschnur erst etwas später abgeklemmt wurde. Die Mütter hatten kein höheres Risiko für schwere peripartale Blutungen (= 500ml). Auch der durchschnittliche Blutverlust und die Hämoglobinwerte (gemessen 24-72 Stunden nach der Geburt) unterschieden sich nicht signifikant, egal ob die Nabelschnur früh oder spät abgeklemmt wurde.

„In Deutschland wird in den meisten Zentren nach einer bis eineinhalb Minuten die Nabelschnur abgeklemmt, nicht zuletzt um das maternale Blutungsrisiko zu senken“, sagte Schlehe. „Zur Vermeidung einer neonato-plazentaren Transfusion sollte das Neugeborene zudem vor der Abnabelung nicht über das Plazentaniveau gehalten werden.“ Die aktuelle Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet, die Nabelschnur 1 bis 3 Minuten nach der Geburt abzuklemmen.

Kein einheitliches Vorgehen bei der Abnabelung

Peripartale Blutungen seien eine der häufigsten Todesursachen bei Schwangeren und sollten bei keiner Geburt unterschätzt werden, schreiben die Autoren. Doch in vielen einkommensstarken Ländern werde die Nabelschnur sehr früh abgeklemmt. Ein Survey in 13 europäischen Ländern zeigte, dass in 8 davon die Nabelschnur sofort abgeklemmt wird, in 5 erst nach dem Auspulsieren [2].

Die Abnabelung des Kindes vor Auspulsieren der Nabelschnur ist Teil der aktiven Leitung der dritten Phase der Geburt, der Nachgeburtsperiode. Die Gefahr für maternale Blutungen ist in dieser Phase am größten. „Durch die Gabe von Uterotonika werden die Nachwehen medikamentös stimuliert, bis die Plazenta ausgestoßen wird, wenn notwendig kann dieser Prozess durch leichten Zug an der Nabelschnur unterstützt werden“, erklärte Schlehe.

Liberalerer Ansatz ist gefragt

„Angesichts der wachsenden Beweislast, dass ein verzögertes Abklemmen der Nabelschnur für Hämoglobinwerte und Eisenspeicher des Kindes besser ist, ist es Zeit für einen liberaleren Ansatz hinsichtlich des Abklemmens der Nabelschnur bei gesunden Neugeborenen“, sagte Review-Autorin Philippa Middleton von der University of Adelaide.

„Auch die Richtlinien, die empfehlen, die Nabelschnur nach einer bis eineinhalb Minuten abzuklemmen, müssen angesichts dieser Resultate voraussichtlich überdacht werden“, betonte auch Schlehe.

Ein späteres Abklemmen der Nabelschnur führte allerdings bei einer etwas höheren Zahl an Babies zu Gelbsucht, die mit Lichttherapie behandelt werden musste. „Die Vorteile eines späteren Abklemmens der Nabelschnur müssen gegen das kleine zusätzliche Gelbsuchtrisiko bei Neugeborenen abgewogen werden“, sagte Middleton. „Ein späteres Abklemmen der Nabelschnur, um die Eisenspeicher zu erhöhen, könnte besonders in Situationen nützlich sein, in denen schwere Anämien häufig sind, wie zum Beispiel in den Entwicklungsländern.“

Der Review befasste sich mit den Auswirkungen eines späteren Abklemmens der Nabelschnur bei voll ausgetragenen Babies. Ein anderer kürzlich erschienener Cochrane-Review deutet darauf hin, dass auch Frühchen gesundheitlich von einem späteren Abklemmen der Nabelschnur profitieren könnten [3].

Referenzen

Referenzen

  1. McDonald SJ, et al: Cochrane Database Syst Rev. 2013; Issue 7. Art. No.: CD004074.
    http://dx.doi.org/10.1002/14651858.CD004074.pub3
  2. Winter C, et al:BJOG. 2007;114(7):845-54
    http://dx.doi.org/10.1111/j.1471-0528.2007.01377.x
  3. Rabe H, et al: Cochrane Database Syst Rev 2012; Issue 8. Art. No.: CD003248.
    http://dx.doi.org/10.1002/14651858.CD003248.pub3

Autoren und Interessenkonflikte

Nadine Eckert
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

McDonald ist Autorin einer der untersuchten Studien

Schlehe B: Zum Thema „späte Abnabelung“ liegen keine Interessenkonflikte vor.

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