Zahlt sich regelmäßiger Schlaf als Kleinkind später beim Schulerfolg aus?

Ulrike Walter-Lipow | 30. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Regelmäßige Zubettgehzeiten im frühen Kindesalter werden mit besseren kognitiven Leistungen kurz nach der Einschulung belohnt. Dies will jetzt eine Studie belegt haben, die Daten britischer Kinder zu Schlafgewohnheiten, sozioökonomische familiäre Faktoren und Leistungen in den Bereichen Mathematik, Lesen und räumliches Vorstellungsvermögen – abgefragt in standardisierten Tests – zueinander in Beziehung gesetzt hat [1].

 
„Ich finde diese retrospektiven Analysen ohne Intervention immer problematisch.“
PD Dr. Christoph Nissen
 

Prof. Yvonne Kelly von der Abteilung für Epidemiologie und öffentliche Gesundheit am University College in London und ihre Mitautoren fanden einen statistischen Zusammenhang zwischen der Zeit, zu der Kinder im Alter von 3, 5 und 7 Jahren schlafen gingen, und ihrem Abschneiden bei kognitiven Leistungstests im Alter von 7 Jahren. Ganz besonders waren unregelmäßige Zubettgehzeiten mit schwächeren Testergebnissen assoziiert; am stärksten war dieser Zusammenhang, wenn das unregelmäßige Schlafmuster bereits im Alter von 3 Jahren bestand.

In die Analyse eingeflossen waren die Angaben zu rund 10.000 zwischen September 2000 und Januar 2002 geborenen Kindern aus der britischen Millennium Cohort Study.

Zusammenhang klingt plausibel, ist aber nicht zwingend kausal

Kellys Befunde werden Eltern, die darauf achten, dass ihr Nachwuchs regelmäßig und ausreichend schläft, intuitiv plausibel erscheinen. Dennoch warnt Privatdozent Dr. Christoph Nissen, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg, auf Nachfrage von Medscape Deutschland davor, die Aussagekraft der Studie zu überschätzen.

„Ich finde diese retrospektiven Analysen ohne Intervention immer problematisch, da trotz statistischer Kontrolle unklar bleibt, inwieweit allgemeine Faktoren wie soziökonomischer Status, innerfamiliäre Beziehung, Substanzmissbrauch der Eltern, psychische Erkrankung der Eltern und etliches mehr die Ergebnisse beeinflussen. Die Autoren haben sicher im Rahmen der Möglichkeiten für einige dieser Faktoren kontrolliert, aber sicher nicht für alle möglichen relevanten Einflussfaktoren. Die Studie ist also konsistent mit der Annahme, dass ausreichender Schlaf für die Kognition wichtig ist und stimmt darin mit vielen experimentellen Arbeiten überein. Ein Kausalitätsnachweis ist aber über solche epidemiologischen Studien nicht zu führen.“

Tatsächlich haben die Autoren um Kelly verschiedene Modelle in Gestalt statistischer Regressionsanalysen eingesetzt, um den Effekt weiterer Faktoren wie der von Nissen genannten herauszurechnen. Wenig überraschend zeigte sich dabei, dass der Zusammenhang zwischen Testleistung und Schlafenszeit deutlich geringer ausfiel, wenn Modelle gewählt wurden, die unter anderem Familieneinkommen und Bildungsstand der Eltern, Fernseh- und Vorlesegewohnheiten und den kindlichen Besuch von Bildungseinrichtungen berücksichtigten. In abgeschwächter Form blieb der Zusammenhang jedoch statistisch nachweisbar.

Bedeutung von Regelmäßigkeit bleibt unklar

 
„Da fehlen mir doch vergleichende Studien, die den Einfluss anderer Faktoren deutlich ausschließen.“
Dr. Ines Wilhelm
 

Die Autoren um Kelly schließen aus ihren Ergebnissen, dass unregelmäßiges Zubettgehen insbesondere im Kleinkindalter oder während der gesamten frühen Kindheit lebenslange Auswirkungen auf die Gesundheit und den gesellschaftlichen Status haben können, den Kinder erreichen. Nach Ansicht von Dr. Ines Wilhelm vom Schlafzentrum am Kinderspital Universität Zürich sind solche Annahmen allein durch die in der Studie beschriebene Datenlage nicht ausreichend begründet.

Gegenüber Medscape Deutschland erklärte sie: „Da fehlen mir doch vergleichende Studien, die den Einfluss anderer Faktoren deutlich ausschließen. Außerdem halte ich für problematisch, dass Regelmäßigkeit in der Studie nicht klar definiert ist. Die Eltern wurden lediglich gefragt, ob ihr Kind unter der Woche während der Schulzeit regelmäßig zur gleichen Zeit zu Bett ginge – was genau die einzelnen Eltern unter ‚regelmäßig‘ verstehen, blieb dabei offen."

Die von den Autoren der Studie gebildeten Kategorien für die Schlafenszeit der regelmäßig ins Bett gebrachten Kinder stellen eine weitere Quelle für Verzerrungen dar: Die angegebenen Zeiten wurden minutengenau in Halbstundenintervalle unterteilt, was die Annahme zugrunde legt, dass ein Kind, dass regelmäßig um 19.25 Uhr ins Bett geht, zwar in dieselbe Kategorie gehört wie eines, das regelmäßig um 19.05 in den Federn liegt, aber nicht wie eines, dessen Eltern 19.30 Uhr als Schlafenszeit festgelegt haben.

Überhaupt erscheint es Wilhelm problematisch, dass die Studie sich ausschließlich auf die von den Eltern angegeben Zubettgehzeiten stützt und keine Messungen der Schlafdauer und Schlafqualität einbezog. Ihre eigene Forschungsarbeit im Bereich Schlaf und Kognition deutet beispielsweise darauf hin, dass es besonders die langen Tiefschlafphasen sind, die die kognitive Leistungen verbessern können [2]. „Natürlich kann man annehmen, dass ein regelmäßiges Zubettgehen auch lange Tiefschlafphasen fördert, aber das ist meines Wissens reine Spekulation und wäre erst noch in kontrollierten Studien zu beweisen“, so Wilhelm.

Datenlage reicht nicht für Handlungsempfehlung an Eltern

Wilhelm warnt daher davor, aus der Studie von Kelly allgemeine Handlungsempfehlungen für Eltern ableiten zu wollen: „Einerseits sind die Daten nicht eindeutig – der statistische Zusammenhang zwischen regelmäßiger Schlafenszeit und höherer kognitiver Leistung stellt zwar einen interessanten Ausgangspunkt für weitere Studien in dieser Richtung dar, beweist aber keine Kausalität. Andererseits ist das Schlafbedürfnis von Kindern unterschiedlich – manche schlafen besser früh ein, manche spät, manche brauchen Regelmäßigkeit zum Einschlafen, andere weniger.“

Daneben scheint zumindest für Jugendliche zu gelten, dass sie sich bei Schlafmangel zwar müder fühlen, aber zumindest kurzfristig in ihrer kognitiven Leistung nicht eingeschränkt sind, wie Nissen anmerkt. Bereits 2011 veröffentlichte er mit Kollegen aus Freiburg, Prien und dem australischen Perth eine randomisierte, kontrollierte Parallelgruppenstudie mit diesem Ergebnis [3].

Nissen und Wilhelm sind sich einig, dass es nach heutigem Wissensstand für eine optimale Entwicklung wichtig ist, dass Kinder ausreichend Gelegenheit zum Schlafen bekommen. Welche Bedeutung die Regelmäßigkeit der Schlafenszeit tatsächlich hat, bleibt jedoch offen und wäre durch interventionelle Studien zu erforschen.

Referenzen

Referenzen

  1. Kelly Y et al: J Epidemiol Community Health (online) 8. Juli 2013
    http://dx.doi.org/doi:10.1136/jech-2012-202024  
  2. Wilhelm I et al: Nature Neuroscience 2013; 16:391–393
    http://dx.doi.org/doi:10.1038/nn.3343
  3. Voderholzer U et al: Sleep Medicine 2011; 12(2):170-178,
    http://dx.doi.org/doi:10.1016/j.sleep.2010.07.017

Autoren und Interessenkonflikte

Ulrike Walter-Lipow
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Nissen C, Wilhelm I: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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