Sonnencremes: Schutz oder Schaden?

Andrea S. Klahre | 29. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Hamburg – „Photoprotektion bedeutet nicht den alleinigen Gebrauch von Sonnencremes. Wenn wir über Photoprotektion reden, geht es ums Ganze – um endogene und mechanische, textile, topische und systemische Maßnahmen“, leitete Prof. Dr. Mark Berneburg, Leitender Oberarzt an der Universitäts-Hautklinik Tübingen, seinen Part in dem Workshop „Topical Sun screens: protection or promotion of skin cancer?“ anlässlich des 8th World Congress of Melanoma ein [1].

 
„Nahrungsergänzungs-mittel haben keine prophylaktische Bedeutung für die Hautalterung, zudem ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung ungeklärt.“
Prof. Dr. Mark Berneburg
 

Berneburg, dessen Forschungsschwerpunkt auf sehr seltenen Hauterkrankungen wie Xeroderma pigmentosum (XP) liegt, ist ein ausgewiesener Fachmann, was photoprotektive Maßnahmen und deren Funktionsmechanismen angeht. Immerhin ist die Kombination von genetischen, epigenetischen und phänotypischen Unterschieden in Hauttumoren so groß, dass manche Forscher Therapieresistenzen für unvermeidlich halten und Prävention aus diesem Grund als die einzig wirksame Anti-Krebs-Strategie ansehen.

Präventivmaßnahmen wären in diesem Fall sogar vergleichsweise einfach umzusetzen. Um die Inzidenz des Melanoms und der nicht-melanozytären bzw. epithelialen Hauttumoren zu reduzieren, würden Verhaltensänderungen bei der Sonnenexposition schon genügen. „Die Haut reagiert auf UV-Licht dosisabhängig direkt mit DNA-Schädigungen der Epidermiszellen und indirekt mit der Aktivierung eines Netzwerks von autokrinen und parakrinen Faktoren, die den Zellzyklus, den Zelltod und die DNA-Reparaturmechanismen regulieren“, sagte Berneburg.

Oxidativen Stress reduzieren

Für eine genetische Stabilität der ziemlich stoffwechselaktiven Melanozyten im Stratum basale der Epidermis wäre es daher sinnvoll, wenn der oxidative Stress (reactive oxygen species, ROS) reduziert würde. Hierbei ist Kleidung ein Kernaspekt, denn hohe Lichtschutzfaktoren (Sun Protecting Factor, SPF) in Sonnencremes schützen zwar vor Sonnenbränden und Alterungserscheinungen der Haut, aber nur unzureichend vor Hautkrebs.

Interessant sind außerdem alimentäre Faktoren wie die Carotinoide. Diese gehören als Radikalfänger bzw. Antioxidantien zum Abwehrsystem der Zelle gegen Freie Radikale bzw. oxidativen Stress, mit dem sich zytotoxische und kanzerogene Effekte des Sonnenlichts erklären lassen. Man weiß von Carotinoiden, die insbesondere über rote, organgefarbene und gelbe Früchte und Gemüsearten (v. a. Tomaten, Hagebutten, Sanddorn) aufgenommen werden, dass sie durch UVA-Strahlung ausgelöste Zellschäden in gewissem Umfang selbst reparieren können.

„Betacaroten hemmt die Expression von UV-induzierten Matrix-Metalloproteinasen, die u. a. das Zellverhalten steuern“, erklärte Berneburg und verwies auf die jüngste Arbeit einer der international führenden Melanom-Forscherinnen, Prof. Dr. Adèle Green aus der Cancer and Population Studies Group des australischen Queensland Institute of Medical Research [2]. Die kürzlich in den Annals of Internal Medicine veröffentlichte Studie hat SPF mit dem Carotinoid Betacaroten verglichen.

Das Green-Team hatte 903 Frauen und Männer <55 Jahre ab 1992 in 4 Gruppen randomisiert, über 5 Jahre begleitet und nach Studienende 10 Jahre nachbeobachtet. Endpunkte waren die Entwicklung von Basalzellkarzinom (BCC), spinozelluläres Karzinom (SCC), Lichtkeratose, Photoaging und Malignes Melanom.

Zellschutz durch künstliches Betacaroten?

Gruppe 1 applizierte jeden Morgen und im Verlauf des Tages nach Schwimmen, starkem Schwitzen oder ausgedehnten Sonnenbädern eine Sonnencreme mit SPF 15+ auf Kopf, Nacken, Armen, Händen und supplementierte Betacaroten oral (30 mg/Tag). Gruppe 2 verwendete wie Gruppe 1 täglich Sonnencreme und zusätzlich Placebo. Gruppe 3 verwendete Betacaroten wie Gruppe 1 und Sonnencreme nach Ermessen, Gruppe 4 Sonnencreme und Supplement jeweils nach Ermessen. Der Grad der Hautalterung wurde zu Studienbeginn und -ende bei allen Teilnehmern auf dem Rücken der linken Hand gemessen.

Das Ergebnis zeigt, dass täglich mehrfache Sonnencreme-Applikationen der Hautalterung signifikant vorbeugen können. Bei denen, die sich täglich konsequent eingecremt hatten, waren nach 4,5 Jahren keine messbaren Hautalterungen bzw. 24% weniger Alterungszeichen festzustellen als bei jenen, die nach Gutdünken appliziert hatten. Das supplementierte Betacaroten beeinflusste den Gesamtprozess nicht, die Autoren verweisen auf künftige Studien, in denen ein möglicher Schaden bzw. Nutzen eindeutig nachgewiesen werden müsse.

„Nahrungsergänzungsmittel haben keine prophylaktische Bedeutung für die Hautalterung, zudem ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung ungeklärt“, ergänzte Berneburg. Und Green, die im Auditorium saß, fügte hinzu: „Es kann funktionieren, aber nur unter sehr streng kontrollierten Bedingungen.“

Es muss nicht immer Sonnenbrand sein

„Nichts ist so klar, wie es auf den ersten Blick scheint.“ Mit diesen Worten übernahm Prof. Dr. Claus Garbe, Sektionsleiter der Dermatologischen Onkologie am Universitätsklinikum Tübingen und Präsident des Kongresses, den, wie er betonte, kritischen Part – und lenkte den Blick direkt auf die Kindheit und die Entwicklung melanozytärer Naevi, vulgo: Leberflecken.

 
„Keine Art von Sonnenschutz beeinflusst suffizient das Hautkrebsrisiko, ausgenommen Kleidung.“
Prof. Dr. Claus Garbe
 

Naevi sind kongenital oder erworben und erreichen ihre maximale Anzahl im frühen Erwachsenenalter. Melanozytäre Naevi gelten als Indikator für den Mutationsstatus der Melanozyten, die Gesamtzahl wiederum gilt als Indikator für ein erhöhtes Melanomrisiko. Für Träger >100 Naevi verglichen mit Trägern <10 ist dieses Risiko nahezu 8-mal höher. Ähnlich ist die Situation laut Garbe bei atypischen melanozytären Naevi.

Üblicherweise ist die Induktion melanozytärer Naevi bei hellhäutigen Kindern assoziiert mit Sommer, Sonne, Strandurlaub – und Sonnenbrand. Die Anzahl wiederum korreliert mit der Länge der Ferien (in Wochen), dem Hauttyp und der Ethnie. Kanadische Kinder beispielsweise entwickeln durchschnittlich mehr Naevi als deutsche Kinder.

Tatsächlich aber können für die Induktion bereits Outdoor-Aktivitäten auch jenseits der Sommerferien bei nur moderater UV-Strahlung und ohne Sonnenbrand ausreichen („Unintentional Sun Exposure“). Garbe und Kollegen haben in einer Querschnittstudie in insgesamt 87 Kindergärten in Stuttgart und Bochum bereits vor 10 Jahren bei 1.812 Kindern im Alter von 2 bis 7 Jahren und deren Eltern erstmals gezeigt, dass die Entwicklung von Naevi beim Nachwuchs eng verknüpft ist mit der Anzahl der Naevi an den Armen der Eltern – und: vorausgegangene Sonnenbrände waren nicht signifikant [3].

„Das bedeutet: Wir wissen, dass jegliche UV-Strahlung Zellmutationen verursacht und dass diese Erkenntnis einen direkten Impact auf die Strategien zur Hautkrebsprävention haben sollte“, so Garbe. Das Zauberwort in diesem Kontext heiße Kleidung, und zwar ausschließlich: „Keine Art von Sonnenschutz beeinflusst suffizient das Hautkrebsrisiko, ausgenommen Kleidung.“

SPF nur vielleicht Melanom-präventiv

Garbe zitierte u. a. eine alte, im JAMA publizierte Arbeit aus dem Jahr 2000 und eine neuere von 2011 [4]. Deren Erstautorin, Adèle Green, wies aufgrund der Ergebnisse darauf hin, dass selbst der regelmäßige Gebrauch von SPF nur vielleicht Melanom-präventiv wirke. Nicht zuletzt deshalb bewertete Garbe die SPF in Sonnencremes vor allem aus 3 Gründen kritisch:

  1. Um den gesamten Körper zu schützen, müsse man dick auftragen. In toto wären für jede Applikation 30 Gramm nötig. „Das macht niemand. Durchschnittlich wird nicht mehr als ein Viertel davon verwendet.“
  2. Der tatsächliche SPF hat nichts mit dem zu tun, was auf den Produkten angegeben ist. „Und die Industrie hat kein Interesse daran, diese Botschaft zu vermitteln.“
  3. Die Öffentlichkeit vertraut SPF, diese verlängern jedoch nur die Dauer der Sonnenexposition. „Verschiedene Studien haben keine nachhaltigen Effekte gegen Hautschäden gezeigt.“

Der Blick zurück war für Garbe folglich nicht dazu angetan, optimistisch nach vorn zu schauen: Erwartet werde bis 2030 für Melanom und epitheliale Hauttumoren – BCC, SCC und aktinische Keratose als Präkanzerose des Spinalioms – eine Steigerung der Inzidenzen von 50 bzw. 400 pro 100.000 Einwohner und Jahr. „Die Schäden sind bereits gesetzt“, resümierte Garbe. Und das Problem sei, dass man keine neuen Botschaften habe, um diese künftig zu verhindern. „Solange wir die nicht haben, haben wir keine präventiven Effekte.“

Referenzen

Referenzen

  1. 8th World Congress of Melanoma. 17. bis 20. Juli, Hamburg. Workshop 10: UV-protection; Workshop 13: Topical sun screens: protecion or promotion of skin cancer? 18. Juli 2013
    www.worldmelanoma2013.com
  2. Hughes MCB, et al: Ann Intern Med. 2013; 158(11):1-28.
    http://dx.doi.org/10.7326/0003-4819-158-11-201306040-00001
  3. Wiecker TS, et al: Cancer. 2003; 97(3): 628-638.
    http://dx.doi.org/10.1002/cncr.11114
  4. Green AC, et al: J Clin Oncol. 2011; 29(3): 257-263.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21135266

Autoren und Interessenkonflikte

Andrea S. Klahre
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Berneburg M, Green A, Garbe C: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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