Ein Dogma wankt: Salz- und Wasserrestriktion bei Herzinsuffizienz macht nur durstig, hilft aber nicht

Inge Brinkmann | 26. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Dass man bei akut dekompensierter Herzinsuffizienz den Kreislauf entlasten sollte – die Salz- und Flüssigkeitszufuhr reduzieren sollte –, scheint einleuchtend und geradezu physio-logisch. Jetzt kommen erstmals Zweifel an dieser derzeit noch in Stein gemeißelten Praxis auf: Die Patienten profitieren offenbar nicht von der Einschränkung der Salz- und Flüssigkeitszufuhr, wie die gerade im Fachblatt JAMA Internal Medicine erschienene randomisiert-verblindete Studie von Dr. Graziella Badin Aliti von der Heart Failure Clinic im brasilianischen Porto Alegre und ihren Kollegen belegt [1].

„Die strikte Flüssigkeits- und Natriumrestriktion hatte im Vergleich mit einer uneingeschränkten Flüssigkeits- und Natriumaufnahme keinerlei Effekt auf den Gewichtsverlust oder die klinische Stabilität“, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Belegen ließ sich einzig, dass die Patienten mehr Durst verspürten.

 

Prof. Dr. Thomas Eschenhagen
 

„Diese Studie könnte der Sargnagel für eine tradierte Empfehlung sein“, meint Prof. Dr. Thomas Eschenhagen vom Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie der Uniklinik Hamburg-Eppendorf im Gespräch mit Medscape Deutschland. Für ihn ist die logische Konsequenz aus der Studie, die Flüssigkeits- und Salzzufuhr bei Patienten mit einer akuten Herzinsuffizienz zukünftig nicht mehr zu limitieren, zumindest nicht in den ersten Tagen der Behandlung im Krankenhaus.

Nur „intuitiv vernünftig“, nicht evidenz-basiert

Typische Zeichen einer akuten dekompensierten Herzinsuffizienz sind periphere Ödeme, ein Lungenödem verbunden mit Dyspnoe und Aszitis. In erster Linie werden die Stauungssymptome mit Diuretika behandelt, als nicht-pharmakologische Maßnahme wird zudem in der Regel die Flüssigkeits- und Salzzufuhr eingeschränkt.

Eine „intuitiv vernünftige“ Maßnahme, wie Dr. Melvin D. Cheitlin von der University of California in seinem die Veröffentlichung begleitenden Kommentar festhält [2]. Aber wie auch die Autoren um Aliti stellt er fest, dass ein Vorteil der in vielen Fachbüchern und Praxisleitlinien empfohlenen Maßnahme noch nie eindeutig belegt worden ist.

Das hat das Forscherteam um Aliti jetzt in Angriff genommen, ihre Studie ist die erste randomisiert-kontrollierte Studie, die sowohl die Auswirkungen einer strengen Salz- als auch Flüssigkeitsrestriktion untersuchte. Was auf den ersten Blick logisch scheint und nie hinterfragt wurde, hält der strengen Überprüfung nicht stand.

 
„Diese Studie könnte der Sargnagel für eine tradierte Empfehlung sein.“
Prof. Dr. Thomas Eschenhagen
 

In die Studie wurden zwischen Juli 2009 und April 2012 insgesamt 75 Patienten mit akuter dekompensierter Herzinsuffizienz und systolischer, linksventrikulärer Dysfunktion eingeschlossen, deren stationäre Aufnahme maximal 38 Stunden zurücklag. Bei 38 dieser Patienten wurde 7 Tage lang die Flüssigkeitszufuhr auf 800 ml/Tag und die erlaubte Menge Salz auf 800 mg/Tag begrenzt (Interventionsgruppe). Die 37 Patienten der Kontrollgruppe sollten dagegen täglich mindestens 2,5 Liter Flüssigkeit zu sich nehmen und erhielten normale Krankenhauskost mit ca. 3-5 g Salz am Tag.

Als primäre Endpunkte der Studie wurden Gewichtsabnahme und klinische Stabilität nach 3 Tagen festgelegt. Die klinische Stabilität wurde dabei anhand eines aus verschiedenen Parametern gebildeten Scores beurteilt, der Auskunft über das Ausmaß der Stauung in Gewebe und Lunge gab.

Außerdem dokumentierten die Studienautoren die Intensität des Durstes, die verbliebenen Stauungssymptome nach 30 Tagen und die Zahl der stationären Wiederaufnahmen innerhalb eines Monats nach Entlassung.

Wenig Salz und Wasser bringt nichts...

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie lassen sich im Prinzip rasch zusammenfassen: Die kombinierte Restriktion von Salz und Flüssigkeit hatte weder zu einer verstärkten Gewichtsabnahme noch zu einer klinisch stabileren Verfassung der stationären Patienten geführt.

So hatten die Teilnehmer unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit in etwa gleich viel Gewicht verloren (Interventionsgruppe: 4,42 kg; Kontrollgruppe: 4,67 kg). Auch die klinische Stabilität unterschied sich in beiden Gruppen nicht signifikant. „In anderen Worten: Beide Gruppen wiesen eine vergleichbare Besserung der klinisch nachweisbaren Stauung auf“, halten die Autoren fest.

Für Eschenhagen, Vorstandssprecher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), sind die Restriktionsmaßnahmen denn auch ein Beispiel für Therapien, die „traditionell“ durchgeführt werden, ohne dass es für sie eine klare Evidenz gibt.

Entsprechend würde auch die Europäische Fachgesellschaft der Kardiologen (European Society of Cardiology, ESC) die Flüssigkeits- und Salzrestriktion in ihrer Behandlungsleitlinie nur als eine „gebräuchliche“ Maßnahme bei akuter Herzinsuffizienz angeben [3]. „Den Satz könnte man jetzt auch streichen.“

Er ergänzt: „Eine limitierte Flüssigkeitszufuhr bei Wasseransammlungen im Körper macht auf den ersten Blick natürlich Sinn, deshalb wird sie bereits seit Jahrzehnten praktiziert. Mittlerweile stehen aber hochwirksame Schleifendiuretika zur Behandlung der Überwässerung zur Verfügung.“

...außer Durst

Wenn die Restriktionsmaßnahmen keinen zusätzlichen Vorteil brächten, sollte man auch auf sie verzichten, so der Hamburger Pharmakologe. Nicht zuletzt könnte man den Patienten den quälenden Durst ersparen. „Ein dominierendes Symptom bei den stationären Patienten.“

Auch Aliti und Kollegen halten fest, dass die Teilnehmer der Interventionsgruppe nach 3 Tagen deutlich durstiger waren als die Patienten, die unbegrenzt Flüssigkeit zu sich nehmen durften – zu dem Zeitpunkt der einzige Unterschied zwischen beiden Gruppen. Und auch sie betonen, dass dies in Anbetracht der ansonsten neutralen Studienergebnisse ein nicht zu vernachlässigender Faktor sei, gerade bei Patienten, die bereits mit den Beschwerden der Herzinsuffizienz zu kämpfen hätten.

Außer dem belastenden Durst ergaben sich für die Studienteilnehmer aber offenbar auch keine Nachteile, zumindest nicht, so lange sie noch stationär behandelt wurden. Denn ein wenig anders sah es beim Follow-up nach 30 Tagen aus: Teilnehmern, denen im Krankenhaus der freie Zugang zu Flüssigkeit und Salz untersagt war, wiesen dann noch signifikant mehr Stauungssymptome auf als die Patienten der Kontrollgruppe (+2,4 Punkte auf der 22-Punkte-Skala).

Ist die Restriktion sogar schädlich?

Es bleibt also die Frage, ob die Restriktionsmaßnahmen nicht nur nichts nützen, sondern sogar schaden können. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass gerade die Salzrestriktion u. a. aufgrund der Aktivierung des antidiuretischen Systems den Akutpatienten nicht gut bekommt [4]. Aktuelle Erkenntnisse, so Alitis Team, würden überdies nahelegen, dass die Salzzufuhr vielmehr erhöht als limitiert werden sollte.

Eine italienische Forschergruppe, deren Arbeit in der aktuellen Veröffentlichung erwähnt wird, entwickelt bereits seit einiger Zeit eine der natürlichen Intuition widersprechende Therapie, die die schnelle Verabreichung einer hypertonen Salzlösung mit einschließt. In Kombination mit hochdosierten Diuretika kommt es nach Ansicht der zitierten Wissenschaftler zu einer schnellen Mobilisation der extravasalen Flüssigkeit ins intravasale Kompartment – und damit zu einer raschen Diurese [5].

Ein Manko der Studie ist, dass die Untersuchungsgruppe mit 75 Patienten nur relativ klein war. Das gibt auch Eschenhagen zu bedenken. Andererseits hätte die Untersuchung in etwa dieselben Ergebnisse erbracht, wie auch die wenigen Studien zu dem Thema zuvor. „Und eine große Studie, die einen Vorteil der Restriktionsmaßnahmen belegen würde, gibt es nicht.“

Referenzen

Referenzen

  1. Aliti GB, et al: JAMA Intern Med. 2013;173(12):1058-1064.
    http://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.552
  2. Cheitlin MD: JAMA Intern Med.2013;173(12):1064-1066.
    http://dx.doi.org/10.1001/jamainternmed.2013.789
  3. McMurray JJV, et al: Eur Heart J. 2012;33(14):1787-1847.
    http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehs104
  4. Alvelos M, et al: Eur J Heart Fail. 2004;6 (5): 593-599.
    http://dx.doi.org/10.1016/j.ejheart.2003.11.020
  5. Pasquale PD, et al: Congestive Heart Failure. 2007;13:170-176.
    http://dx.doi.org/10.1111/j.1527-299.2007.06534.x

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Aliti GB: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Eschenhagen T: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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