Eine große Kohortenstudie bestätigt, dass Frauen, die als Kind oder Jugendliche Krebs hatten, später häufig Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden. Sie zeigt aber auch, dass sie seltener Medikamente zur Behandlung der Unfruchtbarkeit erhalten [1].
„Die Studie zeigt an einer großen Zahl von Teilnehmerinnen das relative Risiko für das Auftreten einer Sterilität in Abhängigkeit von der Erkrankung und der Behandlung. Das lässt gegebenenfalls für die Frage der späteren Fertilität eine bessere Einschätzung zu, auch bezüglich der Frage, ob prätherapeutisch eine fertilitätsprotektive Maßnahme durchgeführt werden sollte“, sagte Prof. Dr. Tanja Fehm, die an der Universität Düsseldorf die Frauenklinik leitet, im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Unter Leitung von Dr. Sara Barton vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, USA, werteten die Autoren Daten der Childhood Cancer Survivor Studie (CCSS) aus. Für die Studie werden an 26 kanadischen und US-amerikanischen Zentren Patienten nachbeobachtet, die vor dem 21. Lebensjahr an Krebs erkrankt waren. Von den mehr als 20.000 Teilnehmern der CCSS nahmen Barton und Kollegen 3.531 sexuell aktive Frauen zwischen 18 und 39 Jahren in ihre Untersuchung auf. Als Kontrollgruppe dienten 1.366 weibliche Geschwister der Teilnehmerinnen. Zum Zeitpunkt der Befragung waren die Krebsüberlebenden zwischen 23 und 32 Jahren alt.
Sterilitätsrisiko nach Krebserkrankung um 50% erhöht
Es zeigte sich, dass Frauen, die in der Kindheit Krebs gehabt hatten, 50% häufiger an Sterilität litten als ihre Geschwister, berichten die Forscher in The Lancet Oncology. Zur Bestimmung der Unfruchtbarkeit folgten die Autoren der gängigen Definition, dass eine Frau steril ist, wenn sie seit mindestens einem Jahr ohne Erfolg versucht, schwanger zu werden.
In der jüngsten Altersgruppe (unter 24 Jahren) war Unfruchtbarkeit sogar dreimal häufiger als bei den Kontrollen. Bei Frauen in den späten Dreißigern war dieser Unterschied nicht mehr so stark ausgeprägt. Die Forscher vermuten die Ursache darin, dass Sterilität in dieser Altersgruppe grundsätzlich häufiger ist, nicht nur bei Krebsüberlebenden.
Die Daten bestätigten zudem ein hohes Risiko für Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit bei Frauen, die in der Kindheit eine hochdosierte Chemotherapie mit alkylierenden Substanzen oder eine Bestrahlung des Beckenbereichs erhalten hatten. Einen Zusammenhang zwischen der Krebsart und dem späteren Sterilitätsrisiko fanden die Forscher nicht, lediglich in nicht-adjustierten Modellen waren Lymphome mit einem erhöhten Sterilitätsrisiko assoziiert.
Schon bei der Diagnose an fertilitätserhaltende Maßnahmen denken
„Grundsätzlich sollte bei Mädchen und jungen Frauen mit Krebs bei der Auswahl des Therapieschemas versucht werden, die Gonadentoxizität möglichst gering zu halten“, betonte Fehm. „Weitere Optionen sind bei präpubertären Mädchen die Entnahme von Ovargewebe zur Kryokonservierung, bei einer isolierten Radiatio des Beckens wäre noch die Transposition der Ovarien möglich. Bei postpubertären Mädchen kann die Gabe von GnRH-Agonisten in Betracht gezogen werden. Außerdem ist eine hormonelle Stimulation zur Entnahme von Eizellen mit Vitrifikation von unbefruchteten Eizellen möglich“, erläuterte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft.
Auch Prof. Richard Anderson von der University of Edinburgh, der die Studie in einem begleitenden Editorial kommentierte, betonte, dass Onkologen sich schon bei der Diagnose einer Krebserkrankung mit den langfristigen Auswirkungen der Therapie auf die Fertilität beschäftigen sollten [2].
Scheu vor Kinderwunschbehandlung nach Krebs?
56% der 455 sterilen Studienteilnehmerinnen wurden letztlich doch noch schwanger. Zwar dauerte es bei ihnen signifikant länger als bei ihren Schwestern, doch die Rate ist vergleichbar mit der bei Frauen, die unfruchtbar sind, aber als Kinder keine Krebserkrankung hatten. An erfolgreichen Kinderwunschbehandlungen scheint das jedoch nicht gelegen zu haben.
Krebsüberlebende und Kontrollen begaben sich mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit wegen Unfruchtbarkeit in ärztliche Behandlung. Doch die Frauen, die eine Krebserkrankung hinter sich hatten, erhielten nur halb so oft Medikamente zur Behandlung der Unfruchtbarkeit, berichten die Autoren.
„Wir wissen nicht, weshalb die Ärzte ihnen keine Medikamente verschrieben“, sagte Barton: „Aber es macht uns Sorgen, dass Mediziner Vorurteile haben könnten, Sterilität bei Krebsüberlebenden zu behandeln. Möglicherweise beurteilten sie die Erfolgsaussichten als schlecht und entschieden sich deshalb dagegen, es mit einer Therapie zu versuchen. Vielleicht waren die Frauen aufgrund ihrer extensiven Behandlungserfahrungen auch weniger bereit, Medikamente einzunehmen. Oder aber Reproduktionsmediziner haben angesichts einer vermeintlichen Komorbidität ein ungutes Gefühl.“
Der Gynäkologe und Reproduktionsmediziner Prof. Dr. Frank Nawroth riet zur Vorsicht bei der Interpretation dieses Ergebnisses: „Dass Reproduktionsmediziner Frauen mit Kinderwunsch, die einmal Krebs hatten, weniger häufig medikamentös behandeln, ist unlogisch. Ich halte das für ein statistisches Zufallsergebnis, deshalb sollte erst die nächste Studie zu diesem Thema abgewartet werden, bevor zu viel in dieses Resultat hineininterpretiert wird.“
Geheilter Krebs sollte keinen Einfluss auf die Therapie der Sterilität haben
„Gilt die Frau als geheilt, ist es für die Kinderwunschbehandlung völlig egal, ob sie einmal Krebs hatte und eine Chemotherapie erhalten hat. Die Behandlung hängt alleine von den Hormonwerten der Patientin ab“, ergänzte er. Eine Weile lang sei über das Rezidivrisiko bei hormonabhängigen Tumoren diskutiert worden. Für diese Tumoren sei die Schwangerschaft eine Art hormonelles Schlaraffenland. „Aber auch für die davon betroffenen Patientinnen ist inzwischen bewiesen, dass sie durch eine Schwangerschaft kein erhöhtes Rückfallrisiko haben“, betonte Nawroth, der am Kinderwunsch-Zentrum amedes Hamburg tätig ist, gegenüber Medscape Deutschland.
Auch für das Kind stelle eine Krebserkrankung und Chemotherapie in der Vergangenheit kein zusätzliches Risiko dar: „Nach einer Chemotherapie sind weniger Eizellen übrig, aber die, die noch da sind, sind nicht schlechter. Das sind keine minderwertigen Eizellen, aus denen kranke Kinder entstehen“, sagte Nawroth.