Amsterdam – Gegenwärtige Leitlinien unterscheiden bislang bei den Empfehlungen für die Antikoagulation nicht nach dem Alter des Patienten. Ein Grund: Ältere Patienten sind normalerweise von klinischen Studien zur Antikoagulation bei venösen Thromboembolien (VTE) ausgeschlossen, so können über sie keine gesonderten Angaben gemacht werden. Dr. Isabelle Mahe vom Louis Mourir Hospital in Colombes, Frankreich, und ihre Arbeitsgruppe haben nun untersucht, welche Antikoagulation ältere krebskranke Patienten am besten vor VTE-Rezidiven, schweren Blutungen und Todesfällen zu schützen vermag.
Ihre Ergebnisse stellte Mahe auf dem 24. Kongress der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) in Amsterdam vor: Die Forscher fanden – wenn auch schwache – Hinweise darauf, dass die Gabe von niedermolekularem Heparin bei Krebskranken die Rezidivrate für VTE senken kann [1].
Mahe und ihr Team nutzten Daten des Registro Informatizado de Enfermedad TromboEmbólica (RIETE), eines laufenden internationalen multizentrischen prospektiven Registers. Sie erfassten 11.403 Patienten, die älter als 75 Jahre waren und eine symptomatische akute VTE erlitten hatten. Ausgewertet wurden VTE, Lungenembolie (PE), tiefe Venenthrombose (DVT), schwere Blutungen, Tod, das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Krebserkrankung und antithrombotische Medikation. 2.229 (19,5%) der Patienten litten an einer Krebserkrankung.
Nicht an Krebs Erkrankte erlitten unter Heparin mehr Rezidive...
Während der Antikoagulation (mittlere Dauer: 216±440 Tage) entwickelten 2,3% der Patienten eine PE, 2,2% eine DVT, 3,9% entwickelten schwere Blutungen und 12,8% starben [2].
Die Krebspatienten waren im Vergleich gebrechlicher, wiesen mehr Komorbiditäten auf, hatten ein höheres Rezidivrisiko für VTE (5,2% vs. 4,4%, p=0,04 in beiden Gruppen [für PE, 3,1% vs. 2,2%, p=0,004; für DVT, 2,2%]). Auch schwere Blutungen traten vermehrt auf (5,1% vs. 3,6%, p=0,001), und mehr Patienten starben (28% vs. 9,1%, p=0,0001). In der Gruppe ohne Krebs ereigneten sich bei den Patienten, die langfristig niedermolekulares Heparin erhielten, signifikant mehr VTE (5,8% vs. 3,8%, p=0,006) und PE (2,9% vs. 1,9%, p=0,005) sowie schwere Blutungen (6,0% vs. 2,5%, p=0,001) als bei denen, die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) erhielten.
...während Krebskranke mit Lungenembolie leicht von Heparin profitierten
In der Gruppe der krebskranken Patienten, die ein höheres Risiko für Blutungen und VTE-Rezidive aufwies, zeigten jene Probanden, die niedermolekulares Heparin erhielten, nicht signifikant weniger PE-Rezidive als diejenigen, die VKA erhielten (1,8% vs. 2,02%, p=0,3). Eine ähnliche Rate wurde bei Patienten beobachtet, die keinen Krebs hatten und VKA erhielten (1,9%). Bei Patienten, die langfristig niedermolekulares Heparin erhielten, war die Rate schwerer Blutungen ähnlich bei Patienten mit Krebs und ohne Krebs (6,1% und 6,0%,).
Für Nicht-Krebspatienten stuft Mahe daher die langfristige Heparin-Therapie als „schädlich“ ein, vor allem bezogen auf die Rezidivrate und schwere Blutungen. „Offenbar aber wirkt niedermolekulares Heparin bei Krebspatienten anders. Es hält das Rezidiv-Risiko für Lungenembolie im Bereich des Risikos von Nicht-Krebspatienten, und zwar ohne dass das Blutungsrisiko steigt.“ Aus Sicht von Mahe sind weitere Studien notwendig, um prospektiv die Effektivität und Sicherheit von langfristig verabreichtem, niedermolekularem Heparin bei Älteren zu beurteilen.
Krebs-Überlebende tragen deutlich erhöhtes VTE-Rezidiv-Risiko
Wer als Kind oder Jugendlicher eine Krebserkrankung überlebt und im Zuge dieser eine venöse Thromboembolie entwickelt, weist auch im Verlauf seines späteren Lebens ein erhöhtes VTE-Rezidiv-Risiko auf. Dr. Ketan Kulkarni vom Stollery Children´s Hospital in Edmonton, Kanada, und Kollegen gingen der Frage nach, wie hoch das Risiko ist und wie die Risikofaktoren aussehen [3].
Die Forscher nutzten die Daten einer populationsbasierten Kohorte von langfristig Krebsüberlebenden (=5 Jahre nach Diagnose) im Provincial British Columbia (BC) Cancer Register. Um in der Analyse erfasst zu werden, musste bei einem ehemaligen Patienten in der Kindheit (Alter 0 bis 14 Jahre) oder in der Adoleszenz bzw. als junger Erwachsener (Alter 15 – 24) in den Jahren zwischen 1981 und 1999 Krebs diagnostiziert worden sein. Als gesicherte VTE-Diagnose galt, wenn in den Arzt- oder Krankenhausakten eine VTE-Diagnose verzeichnet war. Das Follow-up lag im Median bei 9 Jahren, bei einer Breite von 0 bis 21 Jahren.
2.857 Überlebende (1.397 davon wurden in der Kindheit diagnostiziert) und 28.570 Kontrollprobanden wurden beurteilt. Die Inzidenz einer VTE war signifikant erhöht sowohl bei Überlebenden, die in der Kindheit, als auch bei Überlebenden, die in ihrer Adoleszenz Krebs entwickelt hatten, im Vergleich zu den gesunden Kontrollprobanden: Kindheit 5,7% vs. 2,8% (Hazard Ratio (HR) 2,71, 95% Konfidenzintervall KI 2,02-3,66), Adoleszenz: 7,0% vs. 4,9% (HR 1,92, 95% KI 1,46-2,5).
Risikofaktoren Krankheitsrückfälle, Chemotherapie und Strahlentherapie
Als signifikanter Risikofaktor für eine VTE erwiesen sich Krankheitsrückfälle (HR 3.26, 95% KI 1,79-5,92). Überlebende, die Chemotherapie, Strahlentherapie und chirurgische Eingriffe hinter sich hatten, entwickelten mit dreifacher Wahrscheinlichkeit eine VTE im Vergleich zu denen, die sich nur einem chirurgischen Eingriff hatten unterziehen müssen (HR 2,91, 95% KI 1,16-7,30). Unter den weiblichen Überlebenden war das VTE-Risiko signifikant erhöht (HR 1,61, 95% KI 1,02-2,52). Unter den in der Adoleszenz Erkrankten hatten die Karzinom-Überlebenden (n= 253) ein erhöhtes VTE-Risiko im Vergleich zu Lymphom-Überlebenden (HR 2,26, 95% KI 1,06-4,83).
„Venöse Thromboembolien stellen eine nicht zu unterschätzende Komplikation bei Krebs-Überlebenden dar“, so Kulkami. Plausibel scheine, dass eine VTE, die sich während der Krebsbehandlung bei diesen Patienten entwickle, zu einem erhöhten VTE-Rezidiv-Risiko führe. „Unsere Studie zeigt, wie wichtig Strategien zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der venösen Thromboembolien sind – sowohl bei Krebsüberlebenden als auch in der primären Prävention von VTE während der Krebstherapie“, schloss Kulkami.