Blutdruckkontrolle: Telemedizin schlägt Hausarztbetreuung

Inge Brinkmann | 16. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Nach einer aktuellen U-Studie lohnt sich Telemedizin für Hypertoniker. Ein Jahr lang ließen 228 Hypertoniker ihren Blutdruck nicht mehr in der Arztpraxis kontrollieren, sondern nutzten stattdessen die moderne Technologie der Telemedizin: Die von den Patienten zuhause gemessenen Blutdruckwerte wurden automatisch an ein medizinisches Zentrum weitergeleitet, woraufhin Patient und Behandler die Therapie regelmäßig telefonisch abstimmten.

Laut der jetzt im Journal of the American Medical Association erschienenen randomisierten Studie von Dr. Karen L. Margolis vom HealthPartners Institute for Education and Research in Minneapolis und ihren Kollegen zahlt sich eine solche Vorgehensweise für die Patienten aus: Im Vergleich zu Hypertonie-Erkrankten, die weiterhin die übliche Versorgung ihres Hausarztes in Anspruch nahmen, konnten in der Telemedizin-Gruppe deutlich mehr Patienten ihren Blutdruck innerhalb der Grenzwerte halten – und zwar nicht nur während der Interventionsperiode, sondern auch noch mindestens ein halbes Jahr darüber hinaus [1].

 

Prof. Dr. Thomas Mengden
 

Prof. Dr. Thomas Mengden, Leiter der kardiologischen Rehabilitations-Abteilung und des Excellenz Zentrums der Europäischen Hochdruckliga am Kerckhoff-Klinikum in Bad Nauheim, vermutet, dass dieser Erfolg der Intervention auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Zum einen würden den Patienten durch die häufigen Messungen die Auswirkungen einer unregelmäßigen Medikamenteneinnahme unmittelbar vor Augen geführt. Wichtiger noch schätzt er aber die Rückkoppelung aus dem medizinischen Zentrum ein: „Das Telemonitoring hätte ohne das beständige Feedback der Pharmazeuten, die die Patienten auch hinsichtlich eines gesünderen Lebensstils berieten, wahrscheinlich nicht so viel Wirkung erzielt.“

In der Studie macht Mengden allerdings auch methodische Schwachpunkte aus. So wurden etwa als primäre Endpunkte sog. Gelegenheitsmessungen (Mittelwert aus drei Messungen in den medizinischen Praxen) herangezogen. „Das entspricht nicht dem heutigen Goldstandard. Für solide Werte hätte man Langzeitmessung über 24 Stunden durchführen müssen“, sagt er im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Jahrzehntelange Forschung brachte kaum Verbesserungen für die Patienten

Fast jeder dritte erwachsene Amerikaner leidet unter Bluthochdruck und hat damit ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Viele Herzinfarkte oder Schlaganfälle können jedoch durch die Behandlung des Bluthochdrucks verhindert werden. Dazu stehen laut Margolis Team, „gut verträgliche, effektive und preiswerte Medikamente“ zur Verfügung. Doch obwohl sich die Blutdruckkontrolle in den letzten 20 Jahren stetig verbessert hat, stellt die Autorengruppe fest, dass gerade einmal die Hälfte der Patienten ihren Blutdruck entsprechend der empfohlenen Werte unter Kontrolle hat.

In Deutschland sieht es keinesfalls besser aus: Die Deutsche Hochdruckliga e.V. DHL – Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention rechnet auf ihrer Webseite sogar vor, dass nur etwa jeder vierte deutsche Hypertoniker durch die Behandlung gute Blutdruckwerte hat [2].

Für Mengden, Vorstandsmitglied der Hochdruckliga, hängt das unter anderem mit der geringen Therapieadhärenz der Bluthochdruck-Kranken zusammen. „Das betrifft nicht nur die Änderungen des Lebensstils“, sagt er. „45 Minuten Ausdauersport täglich schaffen sowieso nur die wenigsten. Die regelmäßige Medikamenteneinnahme ist davon aber ebenfalls betroffen.“

Bankgeschäfte als Vorbild für die Behandlung der Hypertonie?

Folgt man der Argumentation von Dr. David J. Magid von der University of Colorado und Dr. Beverly B. Green von der University of Washington, den Autoren des begleitenden Editorials, hinkt die Therapie des Bluthochdrucks sowieso ihrer Zeit hinterher [3]. Sie vergleichen die Behandlung mit Bankgeschäften. So war früher üblich, noch persönlich in der lokalen Bankfiliale zu erscheinen, etwa um Geld abzuheben, einen Scheck einzulösen oder Geld zu überweisen. Bankautomaten und Internet haben diese Besuche heute weitgehend ersetzt.

„Anders als beim Banking hat sich die Herangehensweise bei der Blutdruckbehandlung in den letzten 40 Jahren kaum verändert“, meinen Magid und Green. Dass man aber auch die Blutdruckkontrolle wie die Bankgeschäfte erfolgreich modernisieren könne, hätten Margolis und ihr Team in der aktuellen Studie bewiesen.

Belege dafür, dass sich eine Kombination aus Telemedizin – also der elektronischen Weiterleitung der Blutdruckwerte an ein medizinisches Zentrum oder an eine Online-Datenbank – und eine engmaschige, wenn auch nur telefonische Betreuung für die Patienten auszahlen, lieferten bereits eine Reihe von Studien.

Die Autorengruppe um Margolis überprüfte jedoch nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen einer solchen Herangehensweise, sondern erstmals auch deren Langzeitwirkung. Außerdem ließen sie im Gegensatz zu vorhergehenden Untersuchungen auch multimorbide Patienten in ihrer Untersuchung zu, um das gesamte Hypertoniker-Spektrum abzudecken.

Telemedizin versus „weiter wie bisher“

 
„Das Telemonitoring hätte ohne das beständige Feedback der Pharmazeuten wahrscheinlich nicht so viel Wirkung erzielt.“
Prof. Dr. Thomas Mengden
 

450 Patienten mit einem systolischen Blutdruck von =140 mmHg und/oder einem diastolischen Blutdruck von =90 mmHg wurden in die Studie aufgenommen (bei Patienten mit Diabetes oder Nierenerkrankungen galt ein Grenzwert von =130/80 mmHg).

228 von ihnen erhielten zwischen März 2009 und April 2011 ein Messgerät, mit dem sie ein Jahr lang ihren Blutdruck 6-mal wöchentlich selbst kontrollieren sollten. Die vom Gerät aufgezeichneten Daten wurden automatisch via Modem an einen Pharmazeuten im medizinischen Zentrum weitergeleitet. Dieser setzte sich zunächst alle 2 Wochen mit den Patienten telefonisch in Verbindung und passte die Behandlung gegebenenfalls an. Die Zeitabstände zwischen den telefonischen Konsultationen wurden im Laufe des Jahres sukzessive auf maximal 2 Monate verlängert.

Weitere 222 Patienten wurden weiter wie bisher von ihrem Hausarzt behandelt. Das konnte zwar auch Überweisungen einschließen. Diese waren aber auf 1 bis 2 Konsultationen ohne telefonische Follow-up beschränkt.

Messungen entsprachen nicht dem Goldstandard

Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil von Hypertonikern mit einem Blutdruck von <140/90 mmHg (bzw. <130/80 mmHg bei Komorbiditäten) nach 6 und 12 Monaten. Ein weiteres Follow-up nach 18 Monaten sollte zudem Hinweise auf mögliche Langzeiteffekte liefern. Hier setzt die methodische Kritik Mengdens an: „Als Grundlage für die primären Endpunkte dienten Praxismessungen.“ Diese würden aber keine soliden Daten liefern. Als Goldstandard habe sich deshalb schon länger die 24-Stunden-Messung etabliert.

Auch Angaben zur Tageszeit, an denen die Messungen vorgenommen wurden, oder ob der Blutdruck vor oder nach der Medikamenteneinnahme aufgezeichnet wurde, fehlten – solche Details könnten die Messergebnisse aber beeinflussen.

Signifikant niedrigere Blutdruckwerte nach 6, 12 und 18 Monaten

Welche Auswirkungen die methodischen Schwächen hatten oder ob sie letztlich irrelevant waren, kann nicht beantwortet werden. Die Studienergebnisse erscheinen zumindest eindeutig: Sowohl nach 6 als auch nach 12 Monaten hatten signifikant mehr Patienten aus der Telemedizin-Gruppe ihren Blutdruck unter Kontrolle (71,8% bzw. 71,2%) als die konventionell betreuten Hypertoniker (45,2% bzw. 52,8%).

Die dritte Untersuchung nach 18 Monaten offenbarte überdies, dass die Bluthochdruck-Kranken selbst dann noch vom Telemonitoring-Programm profitierten, wenn dieses schon seit einem halben Jahr beendet war: 71,8% der Telemedizin-Patienten wiesen dann noch einen Blutdruck unterhalb der festgelegten Grenze auf, bei den konventionell behandelten Patienten waren es nur 57,1%.

Der systolische Blutdruck unterschied sich dabei zu allen 3 Zeitpunkten deutlich zwischen den beiden Patientengruppen: Er war bei den Telemedizin-Patienten nach 6 Monaten 10,7 mmHg, nach 12 Monaten 9,7 mmHg und nach 18 Monaten 6,6 mmHg niedriger als bei den Hypertonikern der Vergleichsgruppe.

Die Ergebnisse sind fast zu gut

Mengden erscheinen die positiven Ergebnisse fast ein wenig zu gut: „Nach 6 und 12 Monaten hatten die Hypertoniker der Interventionsgruppe im Mittel einen Blutdruck von 126/75 mmHg. Damit lag er sogar noch deutlich unter dem allgemein angestrebten Blutdruck von weniger als 135/85 mmHg für die Heimmessungen.“

Das sei insofern erstaunlich, als dass Praxismesswerte meist 5-10 mmHg höher seien als zuhause gemessene Werte. „Über die Selbstmesswerte erfahren wir in der Studie aber leider nichts“, bedauert er. Den Studienautoren müßten allerdings noch eine Unmenge von unveröffentlichten Daten aus der 18-monatigen Studienzeit vorliegen. Der Kardiologe Mengden würde gerne mal einen Blick drauf werfen.

Referenzen

Referenzen

  1. Margolis KL, et al: JAMA. 2013; 310(1):46-56.
    http://dx.doi.org/10.1001/jama.2013.6549
  2. Deutsche Hochdruckliga e. V. DHL – Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention: Bluthochdruck in Zahlen
    letzte Änderung: 29.09.2011
    http://www.hochdruckliga.de/bluthochdruck-in-zahlen.html
  3. Magid DJ, et al: JAMA. 2013; 310(1):40-41.
    http://dx.doi.org/10.1001/jama.2013.6550

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Margolis KL: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in der Originalpublikation.

Mengden T: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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