Chronisch myeloische Leukämie: Die richtigen Tyrosinkinasehemmer zum richtigen Zeitpunkt

Dr. med. Ludger Riem | 15. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Essen –Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) der zweiten und dritten Generation zeigen offenbar auch noch bei solchen Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) Wirkung, bei denen angesichts unliebsamer Mutationen wie der T315I-Mutation herkömmliche Waffen stumpf geworden sind. Bei Patienten, die unter welchem TKI auch immer eine tiefe, über mindestens 2 Jahre anhaltende Remission erfahren haben, werden Auslassversuche inzwischen mehr und mehr hoffähig, machte Prof. Dr. Gerhard Ehninger, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden, beim „Update Hämatologie/Onkologie 2013“ in Essen anhand neuer Studienergebnisse deutlich.

 
„Bislang weiß kein Mensch, wie lange und wie tief die Patienten angesprochen haben müssen, bis ein solcher Auslassversuch vertretbar ist.“
Prof. Dr. Tim Henrik Brümmendorf
 

Mit der Einführung des Tyrosinkinasehemmers Imatinib hat die CML zwar viel von ihrem Schrecken verloren. Unter dieser und anderen Therapien in Knochenmarksnischen verbleibende Leukämiestammzellen schlagen bislang gleichwohl allen kurativ ambitionierten Therapieansätzen ein Schnippchen. Auch gegen Imatinib gerichtete Resistenzen machen die Suche nach potenteren und breiter wirksamen TKI zu einer attraktiven Angelegenheit – und dies wohl nicht allein aus medizinischer Sicht.

„Wir dachten alle, dass die Preise etwas nachlassen, je mehr Substanzen zugelassen sind – tatsächlich ist ehre das Gegenteil der Fall“, zeigte sich Ehninger verwundert und erinnerte an den Umstand, dass andernorts bereits unverhohlen die Frage nach Preisabsprachen in den Raum gestellt wurde. Näheren Einblick in die multiplen Faktoren, welche die Preisfindung von Krebsmedikamenten im CML-Umfeld beeinflussen, gibt eine kürzlich publizierte Arbeit aus der Feder von Hagop Kantarjian vom MD Anderson Cancer Center in Houston/Texas [1].

Switchen, wenn der Patient auf die Therapie nicht anspricht?

Rein medizinisch ist die Verfügbarkeit verschiedener Tyrosinkinasehemmer ein Vorteil –  allein schon aufgrund des unterschiedlichen Nebenwirkungsprofils der diversen Klassenvertreter. Zudem weisen Ergebnisse klinischer Studien auf eine stärkere Wirksamkeit der neuen Substanzen im Vergleich mit dem Platzhirsch Imatinib hin [2,3]. Untersuchungen aus der Arbeitsgruppe um Dr. Preetesh Jain und Kollegen haben kürzlich zudem einmal mehr deutlich gemacht, dass das frühe Ansprechen (zytogenetisches und molekulares Ansprechen nach 3 Monaten) auf eine Therapie mit Tyrosinkinasehemmern einen signifikanten prädiktiven Wert für den weiteren Krankheitsverlauf hat – in diesem Falle auf das ereignisfreie Überleben (event-free survival, EFS) nach 3 Jahren [3].

Überlegungen, im Falle eines unzureichenden Ansprechens der Primärtherapie auf einen alternativen TKI umzustellen, erscheinen vor diesem Hintergrund allemal sinnvoll. In einer kürzlich präsentierten Studie konnte eine Arbeitsgruppe um Prof. Timothy Hughes und Kollegen inzwischen auch den Nutzen einer solchen Umstellung belegen4. Wurden CML-Patienten, die nach zweijähriger Imatinib-Therapie weiterhin ein positives PCR-(polymerase chain reaction) Signal aufwiesen, auf Nilotinib umgestellt, so profitierten sie gegenüber den weiterhin mit Imatinib behandelten Patienten im Hinblick auf die nach einem Jahr erreichte Remissionstiefe.

Erfolgreiche Auslassversuche

Analog zu den Befunden der französischen STop-IMantinib (STIM)-Studie rechtfertigen nun auch die Ergebnisse der australischen TWISTER-Studie einen Auslassversuch bei CML-Patienten, welche unter einer TKI-Behandlung dauerhaft in eine tiefe Remission gelangt sind [5,6]. In diese Studie eingeschlossen wurden 40 CML-Patienten, bei denen unter der Therapie mit Imatinib die Erkrankung mittels quantitativer PCR über einen Mindestzeitraum von 2 Jahren nicht mehr messbar war. Nach 2 Jahren waren 47% dieser Patienten auch ohne weitere Behandlung in einer stabilen Remission verblieben. Patienten mit Rezidiven sprachen allesamt auf eine erneute Imatinib-Behandlung an. Die Tatsache, dass die meisten Rezidive binnen der ersten 4 Monate nach dem Auslassversuch auftraten, weist nach den Worten Ehningers auf die Dringlichkeit engmaschiger Kontrollen hin. Am ehesten seien diese im Rahmen klinischer Studien sichergestellt. Auch für Tyrosinkinasehemmer nachfolgender Generationen gibt es inzwischen Berichte über erfolgreiche Auslassversuche [7].

Keine flächendeckenden Auslassversuche

Im Gespräch mit Medscape Deutschland warnte Prof. Dr. Tim Henrik Brümmendorf, Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie (Medizinische Klinik IV) an der RWTH Aachen, zum jetzigen Zeitpunkt gleichwohl vor flächendeckenden Auslassversuchen bei voll remittierten CML-Patienten. „Bislang weiß kein Mensch, wie lange und wie tief die Patienten angesprochen haben müssen, bis ein solcher Auslassversuch vertretbar ist.“ Bevor eine solche Strategie in die klinische Praxis eingeführt werde, bedürfe es zunächst einmal entsprechender prospektiver Studien, erinnerte der Hämatoonkologe an die Tatsache, dass es sich in den oben genannten Auslassstudien um Untersuchungen in streng selektionierten Patientenkollektiven gehandelt habe.

Nicht zuletzt deshalb, weil CML-Patienten nach derzeitigem Kenntnisstand im Falle eines Rezidivs nach Auslassversuchen wieder auf die Vormedikation ansprechen, diskutiere man in Einzelfällen aber sehr wohl einen entsprechenden Auslassversuch. „Wenn wir es beispielsweise mit einer jungen Patientin mit Kinderwunsch zu tun haben, die sich seit langem in einer tiefen Remission befindet, dann halten wir das in einem solchen Einzelfall für vertretbar.“ Weil Rezidive gehäuft in den ersten Monaten nach Absetzen eines TKI zu erwarten sind, monitoriere man dann noch engmaschiger als ohnehin – das heißt in einmonatigen statt dreimonatigen Abständen. Grundsätzlich sprach sich Brümmendorf für Auslassversuche nur im Rahmen klinischer Studien aus: „Die Studien gibt es, da gibt es keinen Notstand.“

Wirksame Therapie auch bei T315I-Mutation

Dank neuer Tyrosinkinasehemmer haben Hämatoonkologen heute selbst noch bei solchen CML-Patienten effektive Therapieoptionen, bei denen es nach intensiver Vorbehandlung zu einer Resistenzentwicklung gekommen ist – dies offenbar sogar bei Patienten mit der gefürchteten T315I-Mutation. In einer klinischen Phase-1-Studie erreichten Patienten mit eben dieser Mutation unter einer Behandlung mit dem TKI Ponatinib durchweg noch eine komplette hämatologische Remission und zu über 90% auch ein Ansprechen nach Maßgabe zytogenetischer Kriterien [8]. Neben Ponatinib ist Angaben Ehningers zufolge auch der Proteinsynthesehemmer Omacetaxin eine therapeutische Option bei Patienten mit T315I-Mutation.

Referenzen

Referenzen

  1. Update Hämatologie/Onkologie 2013, 21.-22. Juni 2013, Essen
    http://www.onko-update.de/
  2. Kantarjian H, et al: Blood (online) 25. April 2013
    http://bloodjournal.hematologylibrary.org/content/early/2013/04/23/blood-2013-03-490003.full.pdf
  3. Brümmendorf TH: Blood 2012, ASH Abstract 69, oral presentation.
    http://www.cmlsupport.org.uk/sites/default/files/ASH%202012%20CML%20report%202_0.pdf
  4. Jain P, et al: Blood. 2013;121(24):4867-74
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/m/pubmed/23620574/?i=6&from=/23770156/related
  5. Hughes TP, et al: Blood 2012, ASH Abstract 69, oral presentation.
    http://www.cmlsupport.org.uk/sites/default/files/ASH%202012%20CML%20report%202_0.pdf
  6. Mahon MX, et al: Lancet Oncol. 2010 ;11(11):1029-35.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20965785
  7. Ross DM et al. Blood (online) 23. Mai 2013
  8. Rea D. et al. Blood 2012; ASH abstract 915, oral presentation.
    http://www.springermedizin.de/manche-cml-patienten-koennen-imatinib-stopp-vertragen/4451410.html
  9. Cortes JE, et al: N Engl J Med. 2012;367(22):2075-88.
    http://www.drkney.com/pdfs/ponatinib_112912.pdf

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. med. Ludger Riem
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Ehninger G: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.