Borreliose: Sonne und ein bisschen Wind, das mögen Zecken überhaupt nicht!“

Ute Eppinger | 11. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

 

Dr. Volker Fingerle
 

Seit 1. März 2013 müssen Ärzte in Bayern Erkrankungen an Borreliose melden. Dies soll dazu beitragen, die Epidemiologie der Erkrankung besser zu verstehen – und so auch die Prävention zu verbessern. Mit 60.000 bis 100.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist die Lyme-Borreliose die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung in Deutschland. Wo das Infektionsrisiko am höchsten ist – im unberührten Nationalpark oder auf der Picknickwiese –, warum die Zecken-Nymphen am gefährlichsten sind, welche Fortschritte die Impfung macht und wie man die Lyme-Borreliose am besten diagnostiziert und behandelt, darüber sprach Medscape Deutschland mit Dr. Volker Fingerle, Abteilung Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie am Nationalen Referenzzentrum für Borrelien am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), in Oberschleißheim.

Medscape Deutschland: Wie hoch ist das Risiko für eine Borrelieninfektion nach einem Zeckenbiss?

Dr. Fingerle: In den meisten europäischen Regionen liegen die durchschnittlichen Infektionsraten für den gemeinen Holzbock mit Borrelia burgdorferi bei 10 bis 20%. Allerdings können die Infektionsraten selbst zwischen nur wenige Meter voneinander entfernten Gebieten sehr stark variieren, und sie sind stark abhängig vom Entwicklungsstadium der Zecke: Adulte Tiere sind zu etwa 20% mit Borrelien infiziert, Nymphen zu 10% und Larven nur zu ca. 1%.

Das Infektionsrisiko steigt mit der Dauer des Saugaktes, deshalb sollten Zecken möglichst rasch entfernt werden, notfalls gleich an Ort und Stelle. Die Nymphen gelten als Hauptüberträger der Borrelien, da sie mit etwa 1,5 mm noch ziemlich klein sind und deshalb oft erst verzögert oder gar nicht entdeckt werden, deutlich häufiger als adulte Zecken sind und schon eine respektable Infektionsrate aufweisen.

Medscape Deutschland: Seit 1. März 2013 gibt es in Bayern eine Meldepflicht für behandelnde Ärzte – was erhoffen Sie sich davon?

Dr. Fingerle: Die Meldepflicht soll uns dabei unterstützen, die epidemiologische Datenlage zu verbessern, die Epidemiologie der Lyme-Borreliose besser zu verstehen. Wir erhoffen uns Erkenntnisse, wo in Bayern Infektionen besonders häufig auftreten und welche Bevölkerungsgruppen besonders gefährdet sind. Wissen wir das, können Gesundheitsbehörden die Bevölkerung gezielter aufklären. Arztpraxen erhalten von uns Infomaterial, werden geschult und sollen uns Borreliosefälle melden, natürlich anonym. Die Daten werden dann zusammen mit dem Robert Koch-Institut in Berlin ausgewertet. Die Meldepflicht besteht zunächst bis zum 28. Februar 2018.

Parallel führen wir eine Sentinel-Studie durch: LYDI Sentinel, d.h. Lyme Disease in Bavaria. Da können praktizierende Ärzte teilnehmen, die entsprechende Fälle direkt ans NRZ melden. Die teilnehmenden Ärzte können dabei schwierige Fälle direkt mit uns diskutieren, Untersuchungsmaterial einsenden, z.B. für die Anzucht oder den Nachweis von CXCL13, bekommen spezielle Fortbildungsveranstaltungen und bei Bedarf auch entsprechende Literatur zur Verfügung gestellt.

Medscape Deutschland: Nimmt die Zeckenhäufigkeit und damit möglicherweise auch die Lyme-Borreliose mit dem Klimawandel zu?

Dr. Fingerle: Dazu lässt sich noch keine sichere Aussage treffen. Sicher ist, der gemeine Holzbock liebt Schatten und Feuchtigkeit. Hitze, direkte Sonne und Wind mag er hingegen gar nicht. Eine kürzlich von uns durchgeführte Studie deutet darauf hin, dass bislang direkte anthropogene Faktoren der maßgebliche Einflussfaktor für die Zeckenhäufigkeit sind. Auch von den Meldedaten erhoffen wir uns Aufschluss darüber, ob die Lyme-Borreliose mit dem Klimawandel zunimmt.

Medscape Deutschland: Für FSME gibt es Risikogebiete. Kommen Borreliose-Bakterien in ganz Deutschland gleichmäßig vor? Oder gibt es ebenfalls Gebiete mit höherem bzw. niedrigerem Risiko?

Dr. Fingerle: Sinnvoll abgrenzbare Risikogebiete gibt es nicht, denn Borrelien (Borrelia burgdorferi) gibt es in ganz Deutschland. Die übertragenden Schildzecken  bevorzugen waldreiche, buschige Bereiche mit viel Laubstreu und vielen Wirtstieren. Sie lieben eine hohe Luftfeuchtigkeit und Schatten. Was sie nicht mögen: trockene Wärme, direkte Sonneneinstrahlung oder Wind. Naturnahe Gärten sind ein wunderbares Habitat für sie. Allerdings ist die Einschätzung „wo gibt es denn viele Zecken“ nicht ganz einfach.

Als Beispiel: Sie planen ein Picknick. Ein lauschiges Plätzchen soll es sein, Waldrand mit Wiese. Sie haben zur Auswahl so einen Platz im Nationalpark Bayerischer Wald, alternativ in einem Stadtpark oder auch in der landwirtschaftlich bearbeiteten Umgebung des Nationalparks. Sicherlich würden sie die höchste Zeckendichte im relativ unberührten Nationalpark erwarten, oder?

Aber genau dort finden sich die wenigsten Zecken. Deutlich mehr finden sich in Stadtparks und die meisten in der landwirtschaftlich genutzten Umgebung des Nationalparks. Ein wesentlicher Grund für diese Verteilung ist sicherlich die sehr hohe Wirtstierdichte – z.B. Mäuse, Kaninchen, Igel oder Vögel – bedingt durch das hohe Nahrungsangebot in den stark vom Menschen geprägten Bereichen.

Medscape Deutschland: Wie viele Borrelienarten gibt es, und sind alle pathogen?

Dr. Fingerle: Wir kennen mittlerweile 18 verschiedene genetisch unterscheidbare Borrelienarten. Wenigstens 5 davon können eine Lyme-Borreliose hervorrufen, nämlich B. burgdorferii sensu stricto, B. garinii, B spielmanii, B bavariensis und B. afzelii. Diese 5 Arten sind im Übrigen alle in Deutschland vorhanden.

Letztlich wissen wir leider noch nicht, was die Humanpathogenität der einzelnen Spezies determiniert. Wir sehen schon Unterschiede – z.B. verwendet B. garinii insbesondere Vögel als Wirt, B. afzelii insbesondere Kleinnager, erklärbar durch unterschiedliche Komplementresistenzen. Es konnte gezeigt werden, dass B. bavariensis in Europa genetisch sehr homogen ist, in Asien dagegen sehr heterogen. Derzeit erstellen wir Gesamtgenomanalysen, um die verschiedenen Spezies vergleichen zu können und daraus Rückschlüsse z.B. auf Pathogenitätsfaktoren machen zu können. Wir sind noch auf der Stufe des Sammelns und erstellen erste Genomanalysen.

Medscape Deutschland: Wie äußert sich Lyme-Borreliose?

Dr. Fingerle: Lyme-Borreliose ist eine multisystemische Infektionskrankheit. Man unterscheidet grundsätzlich ein frühes Stadium – lokalisiert und disseminiert – von späten Erkrankungsformen.

Frühe Manifestationen wie das Erythema migrans (EM) und die akute Neuroborreliose werden bei einer Inkubationszeit von Tagen bis Wochen entsprechend der Zeckenaktivität am häufigsten im Frühsommer beobachtet, während späte Erkrankungsformen wie die Lyme-Arthritis relativ gleich verteilt das ganze Jahr über auftreten.

Das frühe lokalisierte Stadium ist durch die für 80 bis 90% aller Erkrankungen verantwortliche Wanderröte charakterisiert. Sicherlich wird die Wanderröte öfter übersehen. Unspezifischen Allgemeinerscheinungen wie leichtes Fieber, Konjunktivitis, Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien und Lymphknotenschwellungen können dazu kommen. Das wird also schnell mal mit einem grippalen Infekt verwechselt, wobei respiratorische Symptome gegen eine Lyme-Borreliose sprechen.

Im frühen disseminierten Stadium ist vor allem das Nervensystem betroffen, neben schmerzhaften Nerven- und Hirnhautentzündungen kann es zu Lähmungen der Gesichtsnerven kommen. Die häufigste Form der Neuroborreliose ist das Bannwarth-Syndrom: Es macht sich bemerkbar durch brennende, stechende radikuläre Schmerzen, die vor allem nachts auftreten. Tagsüber können die Schmerzen komplett weg sein. Im Liquor findet sich dann eine Schrankenstörung, lymphozytäre Pleozytose, im Liquor stattfindende Produktion borrelienspezifischer Antikörper und oligoklonale Banden. Nach neueren Studien scheint auch das Chemokin CXCL13 als früher Biomarker in der Liquordiagnostik der frühen Neuroborreliose sinnvoll zu sein. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Sensitivität und Spezifität, insbesondere bei der sehr frühen Neuroborreliose.

Die häufigste Spätmanifestation ist die Lyme-Arthritis, die durch die massive Schwellung eines oder weniger großer Gelenke gekennzeichnet ist, wobei in den meisten Fällen ein Kniegelenk betroffen ist. Die Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer st eine Spätmanifestation der Haut, die nach initial entzündlichem Stadium zur Atrophie der Haut und Unterhaut führt.

Die glücklicherweise sehr seltene chronische Neuroborreliose kann sehr vielfältige Symptome zeigen, u.a. Gefühlsstörungen, Blasenentleerungsstörungen oder Schmerzsyndrome. Entscheidend ist der wegweisende Liquorbefund, bei dem sich neben den Entzündungszeichen praktisch immer eine im Liquor nachweisbare Antikörperproduktion gegen Borrelien findet.

In allen Erkrankungsstadien ist eine Antibiotikatherapie indiziert. Die Eradikation der Borrelien kann praktisch immer erzielt werden. Zu beachten ist, dass insbesondere bei späten Erkrankungsformen Defektheilungen auf Grund irreparabler Organschäden vorkommen.

Medscape Deutschland: Ist Borreliose schwierig zu diagnostizieren?

Dr. Fingerle: Die Diagnostik ist je nach Manifestationsform unterschiedlich und kann im Einzelfall natürlich auch sehr schwierig sein. Ausgangspunkt ist das klinische Bild, aus dem sich die Verdachtsdiagnose ableiten lässt. Mit Ausnahme des typischen Erythema migrans ist dann als Basis die Untersuchung auf Antikörper zu nennen.

Ein Beispiel: Bei einem Patienten mit einem Kniegelenkerguss, der auch von Zeckenstichen berichtet, wäre die Lyme-Arthritis eine naheliegende Verdachtsdiagnose. Die serologische Untersuchung ergibt dann typischerweise erhöhte IgG-Antikörper gegen B. burgdorferi, quasi als Eintrittskarte für die weitere Diagnostik auf Borrelien. Im Punktat findet sich dann typischerweise eine granulozytäre Pleozytose, und häufig (ca. 70%) lässt sich dann als Diagnosesicherung Borrelien-DNA im Punktat nachweisen.

Ein Erythema migrans hingegen ist häufig Antikörper-negativ. Die Therapie erfolgt primär anhand des klinischen Bildes –bei einem Zeckenstich, auf den eine Wanderröte folgt.

Medscape Deutschland: In der Therapie gilt: „Je früher, desto besser“ –oder? Wie gut lässt sich die Lyme-Borreliose behandeln?

Dr. Fingerle: Ja natürlich, „je früher, desto besser“ gilt auch für die Borreliose. Je länger die Borrelien Zeit haben, etwas kaputt zu machen, desto schwerer ist in der Regel die Erkrankung und desto länger benötigt die „Reparatur“. Grundsätzlich kann und muss jede Manifestation der Lyme-Borreliose antibiotisch behandelt werden. Und selbst bei späten bzw. chronischen Formen gibt es z.T. beachtliche Therapieerfolge.

Als Beispiel: Vor kurzem wurde ein interessanter Fall berichtet. Die Patientin hatte eine typische Lyme-Arthritis, wollte aber keinesfalls ein Antibiotikum einnehmen, und ließ sich stattdessen mit alternativen Mitteln behandeln. Nach 3 Jahren hat sie sich doch für die Einnahme eines Antibiotikums entschieden, und danach war sie gesund.

Es gibt aber leider auch Fälle, speziell chronische Verlaufsformen, die sehr schwer zu therapieren sind. Generell gilt: Auch späte Stadien lassen sich gut behandeln, allerdings lassen sich teilweise substanzielle organische Schäden, z.B. an Nerven oder der Haut, nicht rückgängig machen.

Medscape Deutschland: Verläuft ein Teil der Infektionen stumm bzw. subklinisch?

Dr. Fingerle: Stark Zecken-exponierte Personen wie Waldarbeiter haben häufig signifikant erhöhte Antikörpertiter, aber nur ein kleiner Teil davon berichtet über eine Lyme-Borreliose, d.h. die Mehrzahl der Infektionen verläuft vermutlich subklinisch, und es kommt dabei möglicherweise sogar zu einer „stillen Feiung" gegen die infizierenden Stämme. Leider schützen aber solche Antikörpertiter nicht zuverlässig vor einer Re-Infektion mit anderen Stämmen. Man kann also davon ausgehen, dass im Normalfall eine Borrelie vom Immunsystem erkannt und eliminiert wird. Als Zeichen dieses Kontaktes findet sich ein Durchseuchungstiter.

Medscape Deutschland: Weshalb existiert noch kein Impfstoff gegen Lyme-Borreliose?

Dr. Fingerle: In den USA wurde, basierend auf dem Oberflächenprotein A (OspA) von B. burgdorferi s. s., eine wirksame Impfung gegen die Lyme-Borreliose 1998 eingeführt, die allerdings schon 2002 wieder vom Markt genommen wurde. Gründe waren die niedrigen Verkaufszahlen und der Verdacht, diese Impfung könnte arthritogen sein (dieser Verdacht hat sich nicht bestätigt). Diese Impfung war allerdings in Europa nicht zugelassen, da sie nicht sicher gegen die in Europa häufigeren Borrelienarten B. afzelii, B. bavariensis und B. garinii wirksam war, die für die ganz überwiegende Mehrzahl der Erkrankungen verantwortlich sind.

Wegen der großen Heterogenität der verschiedenen Borrelienarten und Stämme ist für Europa die Entwicklung von Mehrfach-Vakzinen erforderlich, welche die verschiedenen Spezies bzw. OspA- abdecken. Solche Vakzine sind in Europa in Entwicklung müssen aber noch in Phase-3-Studien geprüft werden.

Mit der OspA-Impfung wurde im Übrigen ein völlig neues Impfprinzip realisiert, nämlich die Verhinderung der Übertragung der Erreger, da diese bereits in der Zecke getötet werden.

Medscape Deutschland: Für wie sinnvoll halten Sie die Impfung?

Dr. Fingerle: Als Optionsimpfung ist sie sicherlich sinnvoll. So kann sich der gefährdete Bürger – ein gut wirksamer und gut verträglicher Impfstoff natürlich vorausgesetzt – selbst vorbeugend gegen eine Lyme-Borreliose schützen. Zecken und die Möglichkeit, sich mit Borreliose zu infizieren, machen darüber hinaus vielen Menschen Angst. Und wenn eine Impfung die Angst nehmen kann, ist das gut so.

Man sollte sich nicht von Zecken die Lust am Rausgehen verderben lassen. Wenn sich die Leute durch die Impfung weniger Sorgen machen und z.B. ihr Kind eher in einen Waldkindergarten schicken, dann ist das doch prima.

Medscape Deutschland: Werden Zeckenbisse unterschätzt? Klären Ärzte genügend auf?

Dr. Fingerle: Ich denke nicht, dass Zeckenstiche prinzipiell unterschätzt werden, und ich habe auch den Eindruck, dass Ärzte im Normalfall genug über die Gefahren, die von Zecken ausgehen, aufklären. Das zeigt sich schon an den immer sehr gut besuchten Fortbildungsveranstaltungen für Kollegen, wenn es um Zecken-übertragene Erkrankungen geht.

Medscape Deutschland: Wie schützen Sie sich selbst?

Dr. Fingerle: Das Absuchen des Körpers und die frühzeitige Zeckenentfernung ist unverzichtbar. Meine Pilz- und Beerensammelplätze sind zeckenverseucht, lange Hosen sind da Pflicht. Nach Möglichkeit sollte man die Kombination begraster Weg und drüber dichter Wald vermeiden, dort hat es exorbitant viele Zecken.

Rasen in der Sonne dagegen birgt praktisch kein Risiko, und für Picknicks kann ich empfehlen: weg vom Waldrand, gerne in die Sonne und ein bisschen Wind dazu, das mögen Zecken nämlich überhaupt nicht. Darüber hinaus gibt es noch imprägnierte Hosen und imprägnierte Zelte, wobei das aufgebrachte Imprägniermittel toxisch auf die Zecken wirkt.

Medscape Deutschland: Herr Dr. Fingerle, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

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Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Fingerle V: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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