Die Fortschritte der Chemotherapie in der Krebsbehandlung, die immer mehr Patienten das Leben retten, haben ihren Preis: So senken Anthrazykline zwar das Sterberisiko etwa bei Brustkrebs und verschiedenen Krebserkrankungen bei Kindern, wirken jedoch oft kardiotoxisch. Dabei kann sich die Herzschädigung bereits unmittelbar nach der Chemotherapie bemerkbar machen, aber auch erst 20 Jahre später noch zur Herzinsuffizienz führen.
Versuche, diesen Nebenwirkungen medikamentös gegenzusteuern, waren bisher wenig erfolgreich. In jüngster Zeit mehren sich jedoch die Belege für eine gute kardioprotektive Wirksamkeit einer allgemeinen Herzinsuffizienztherapie, insbesondere, wenn sie frühzeitig eingesetzt wird. So veröffentlichten spanische Wissenschaftler um Dr. Xavier Bosch von der kardiologischen Abteilung des Thoraxinstituts der Hospital Clinic in Barcelona im Juni 2013 die Ergebnisse ihrer OVERCOME-Studie [1].
Die Daten stimmen Prof. Dr. Jeanette Schulz-Menger optimistisch: „Ich freue mich über diese Ergebnisse und finde sie sehr überzeugend und logisch“, sagte sie gegenüber Medscape Deutschland. Schulz-Menger ist Leiterin der Arbeitsgruppe für Kardiale MRT an der Charité am Campus Buch in Berlin und Leiterin Nichtinvasive Kardiologische Bildgebung in der Klinik für Kardiologie und Nephrologie am HELIOS Klinikum Berlin-Buch.
Herzinsuffizienztherapie hilft auch gegen Folgen der Chemotherapie
In einem Übersichtsaufsatz zur onkologischen Supportivtherapie von 2010 heißt es beispielsweise [2]: „Die therapeutischen Optionen bei einer klinisch relevanten Anthrazyklin-induzierten Kardiomyopathie sind sehr begrenzt, sodass die Beendigung der Anthrazyklin-Therapie meist die wichtigste Maßnahme bei manifester Kardiotoxizität bleibt. Die weiteren Therapieoptionen entsprechen im Wesentlichen den allgemeinen kardiologischen Richtlinien zur Therapie der Herzinsuffizienz mit ACE-Hemmern, Betablockern und Diuretika.“
In der aktuellen OVERCOME-Studie hatten Bosch und Kollegen bei 45 Patienten verfolgt, wie sich eine Behandlung mit dem ACE-Hemmer Enalapril und dem Betablocker Carvedilol vor Beginn einer Anthrazyklin-haltigen Chemotherapie auf die Herzleistung bis 6 Monate nach Abschluss der Chemotherapie auswirkt. Als Kontrollgruppe wurden weitere 45 Patienten mit ähnlichen kardiologischen Ausgangsmerkmalen herangezogen, die die herzentlastenden Medikamente nicht erhielten.
Die Ergebnisse waren viel versprechend: In der kardioprotektiv behandelten Gruppe reduzierte sich die linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) im Mittel nicht, während sie in der unbehandelten Gruppe durchschnittlich um rund 3% abnahm.
Noch deutlicher war der Unterschied, wenn die Patientenkollektive getrennt nach der behandelten Krebserkrankung betrachtet wurden: Bei Patienten mit akuter Leukämie ohne kardioprotektive Behandlung betrug der absolute Unterschied in der LVEF vom Ausgangszeitpunkt bis 6 Monate nach der Chemotherapie -6,38% (95%-KI: -11,9% bis -0,9%), bei Patienten mit anderen malignen Hämopathien -1% (95%-KI: -4,5% bis 2,5%).
Die Autoren führen die stärkere LVEF-Abnahme in der ersten Gruppe darauf zurück, dass diese mit mehr und höheren Anthrazyklindosen behandelt wurden und damit bei diesen Patienten auch eine stärkere Herzschädigung zu erwarten war.
Die Autoren räumen ein, dass es sich um eine Pilotstudie handelt, deren Ergebnisse durch größere Studien noch bestätigt werden müssen. Ebenso könnte man hinterfragen, warum keine Placebokontrolle eingesetzt wurde.
MRT zur Früherkennung von Herzschäden?
„In einer bereits 2001 publizierten Pilotstudie konnten meine Kollegen und ich zeigen, dass sich mit der kardialen MRT bei Patienten, die mit Anthrazyklinen behandelt wurden, Entzündungsvorgänge im Herz nachweisen lassen, die möglicherweise prädiktiv für eine spätere Abnahme der Ejektionsfraktion sind.“ Für die genannte Studie hatten Schulz-Menger und ihre Kollegen 22 Patienten mit normaler Herzfunktion vor sowie 3 und 28 Tage nach einer Anthrazyklintherapie mittels MRT untersucht und einerseits Entzündungszeichen im Herzen und andererseits die Auswurffraktion bestimmt [3]. Aufgrund dieser Beobachtungen erscheint Schulz-Menger die vorbeugende Gabe von herzentlastenden Medikamenten bei einer Anthrazyklin-haltigen Chemotherapie sehr sinnvoll.
„Man kann davon ausgehen, dass diese Chemotherapie-induzierten Entzündungen ohne Vernarbung verheilen, besonders, wenn das Herz in diesem Zeitraum entlastet wird. Die ACE-Hemmer, Betablocker und anderen Substanzen wirken zwar nicht direkt auf die Entzündung, aber sie erleichtern dem Herz seine Arbeit – vielleicht kann man das mit einem Stützverband nach einem Beinbruch vergleichen, der ja auch nicht direkt das Knochenwachstum fördert, aber dem Knochen die Chance gibt, von selbst in der korrekten Lage auszuheilen“, so Schulz-Menger.
Den möglichen Einwand, dass die kardioprotektive Therapie für die Patienten noch mehr Medikamente und damit eine zusätzliche Belastung bedeute, kontert sie: „Oft sprechen wir hier ja von Kindern oder jungen Frauen, die diese Chemotherapie erhalten. Und es ist doch tragisch, wenn die ihre Krebserkrankung überstehen, nur um hinterher mit einem schwer geschädigten Herz leben zu müssen.“
Ein Traum wäre es für Schulz-Menger, wenn entsprechende große Studien zur Entwicklung zuverlässiger Marker im MRT führen würden, mit denen sich klar absehen lässt, wer von der kardioprotektiven Behandlung profitieren würde und wer sie nicht braucht.
Prospektive randomisierte Studien dringend erforderlich
Vorerst beteiligt sich Schulz-Menger mit ihrer kardialen MRT-Expertise aber an einer anderen Forschungsarbeit, der PRADA-Studie [4]. In dieser Studie möchten norwegische Wissenschaftler um Prof. Dr. Torbjörn Omland vom Akershus-Universitätskrankenhaus der Universität Oslo mit einem doppelblinden, placebokontrollierten Ansatz herausfinden, ob Angiotensin-Rezeptorblocker und Betablocker jeweils alleine oder in Kombination eine Verschlechterung der Herzfunktion bei Mammakarzinom-Patientinnen verhindern können. Diese Patientinnen hatten aufgrund ihrer Krebserkrankung eine Chemotherapie mit dem Anthrazyklin Epirubicin und gegebenenfalls auch mit dem Antikörper Trastuzumab (Herceptin) erhalten. Die Studie soll voraussichtlich im September 2014 abgeschlossen sein.
Wie eine am 22. Mai 2013 im European Journal of Cancer online vorab veröffentlichte Literaturübersicht und Metaanalyse einschlägiger Arbeiten zeigt, dürfen Schulz-Menger und ihre norwegischen Kollegen dabei durchaus optimistisch sein [5]: Nach einer sorgfältigen Analyse von 12 randomisierten kontrollierten Prüfungen und 2 Beobachtungsstudien mit insgesamt 2015 Patienten (Kindern und Erwachsenen), in die auch die oben erwähnte Arbeit der spanischen Forscher um Bosch bereits eingegangen ist, kamen Kashif Kalam und Prof. Dr. Thomas H. Marwick vom australischen Menzies Research Institute der Universität von Tasmanien zu folgendem Schluss: Die prophylaktische Gabe von Statinen, Betablockern, Angiotensin-Antagonisten und auch von Dexrazoxan kann zu einer relativen Risikoreduktion in der Größenordnung von 30% bezüglich einer Beeinträchtigung der Herzfunktion führen.
Alle genannten Studien haben Pilotcharakter. Die Ergebnisse können erst als gesichert gelten, wenn sie sich in großen, sorgfältig angelegten Prüfungen bestätigen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass die begleitende herzentlastende Behandlung während der Anthrazyklin-basierten Chemotherapie in nächster Zeit noch mehr Aufmerksamkeit erfährt und sich entsprechende große Studien finanzieren lassen, damit möglichst viele der erfolgreich behandelten Krebspatienten in Zukunft auch ohne Herzschäden leben können.