Wer pro Nacht 7 Stunden oder mehr schläft, senkt sein Risiko, eine kardiovaskuläre Erkrankung zu bekommen, um 22%. Das Risiko, an Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben, verringert sich durch ausreichenden Schlaf sogar um 43%. Das sind die Resultate einer Studie aus den Niederlanden, die erstmals Schlafdauer, gesunde Lebensstilfaktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in einen Zusammenhang brachte und deren Ergebnisse jetzt im European Journal of Preventive Cardiology veröffentlicht worden sind [1].
Dr. Monique Verschuren vom National Institute for Public Health and the Environment in Bilthoven, eine der Autorinnen der Studie, betont, dass ausreichender Schlaf „nun als zusätzlicher Faktor genannt werden sollte, der das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung reduziert.”

Auch Dr. Heribert Brück, Pressesprecher des Bundes Niedergelassener Kardiologen BNK e. V. mit kardiologischer Praxis in Erkelenz, meint gegenüber Medscape Deutschland: „Die Studienergebnisse sind für mich überzeugend, da sie an einer ausreichend großen Population mit einer ausreichenden Beobachtungszeit erhoben wurden. Ob es sich bei Schlafmangel jedoch um einen Risikofaktor oder einen Risikomarker handelt, muss zunächst unklar bleiben.“ Er gibt zu bedenken: „Wenig Schlaf resultiert häufig aus vermehrtem Stress, was zu messbaren Gefäßveränderungen führt, über die dann die kardialen Effekte zu erklären sind.“
Die Studie aus den Niederlanden belegt jedenfalls: Wer sowohl ausreichend schläft als auch sich an die 4 traditionellen Faktoren eines gesunden Lebensstils hält – sich ausreichend bewegt, vollwertig ernährt, moderat Alkohol konsumiert und nicht raucht – , erwies sich im Studienzeitraum, der je nach Teilnehmer zwischen 1994 und 1997 begann und spätestens 2008 endete, als besonders gut geschützt. Er hatte ein um 65% vermindertes Risiko (HR 0,35; 95%-KI, 0,23 bis 0,52) für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung allgemein – verglichen mit einem Menschen gleichen Alters, Geschlechts und Bildungsstands, der sich an keinen oder nur einen gesunden Lebensstilfaktor hielt.
Für einen Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankung sahen die Zahlen noch dramatischer aus: Hier konnte offenbar der, der alle 5 gesunden Lebensstilfaktoren berücksichtigte, sein Risiko sogar um 83% senken (HR 0,17; 95%-KI, 0,07 bis 0,43).
Die prospektive Kohortenstudie Monitoring van Risicofactoren en Gezondheid in Nederland (MORGEN) umfasst eine Studienpopulation aus 6.672 Männern und 7.967 Frauen. Für die MORGEN-Studie wurden zwischen 1993 und 1997 u. a. Gewohnheiten und Gesundheitszustand von 20- bis 65-Jährigen abgefragt. In die aktuelle Folgestudie zur Auswirkung von Schlafdauer und traditionellen Lebensstilfaktoren auf das kardiovaskuläre Risiko gingen nur Daten solcher Teilnehmer der MORGEN-Studie ein, die z. B. zu Studienbeginn noch keine kardiovaskuläre Erkrankung gehabt und die zu allen Lebensstilfaktoren vollständige Angaben gemacht hatten.
Die Teilnehmer: Viele Junge und Gesunde
52% der Männer und 53% der Frauen unter den Teilnehmern der Folgestudie verbrachten mindestens 3,5 Stunden pro Woche mit Radfahren oder Sport – das galt als gesunder Lebensstilfaktor „ausreichende Bewegung“. Je 37% der Männer und Frauen erfüllten die Kriterien für eine gesunde Ernährung (u. a. viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch). 91% der Männer und 78% der Frauen konsumierten in moderatem Maße Alkohol – was früheren Studien zufolge Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser vorbeugt als der totale Verzicht auf Alkohol [2].
66% der Männer, 65% der Frauen bezeichneten sich als Nichtraucher. 80% der Männer und 86% der Frauen schliefen ausreichend, d. h. über 24 Stunden verteilt 7 Stunden oder mehr. Die große Mehrzahl der Teilnehmer brachte es dabei auf 3 oder 4 der insgesamt 5 Faktoren eines gesunden Lebensstils; nur 5% der Männer und 6 % der Frauen wiesen keinen oder nur einen gesunden Lebensstilfaktor auf. Hingegen trafen auf 11% der Männer und 12% der Frauen alle 5 Faktoren zu.
Durchschnittsalter der Teilnehmer war 41 Jahre (Mittelwert Frauen) beziehungsweise 42 Jahre (Mittelwert Männer). Die Wissenschaftler räumen ein, dass die Aussagekraft der Studie dadurch begrenzt sei, dass Lebensstilfaktoren und Schlafverhalten zu Beginn der MORGEN-Studie ermittelt wurden – und dass die Forscher sich auf Selbstauskünfte verließen. Wer gab seine Gewohnheiten falsch an, bei wem haben sie sich in den nächsten Jahren gravierend verändert? Das konnte die Studie nicht ermitteln.
Schlaf noch wirkungsvoller als Tabakverzicht
Fest steht: In der Studienpopulation ereigneten sich in den 10 bis 14 Jahren, für die Daten vorlagen, 607 kardiovaskuläre Ereignisse. Davon waren 129 mit Todesfolge, 367 nicht-tödliche Herzinfarkte und 111 nicht-tödliche Schlaganfälle. Die Wissenschaftler berechneten die Assoziation zwischen jedem Lebensstilfaktor und dem Risiko einer nicht-tödlichen oder tödlichen kardiovaskulären Erkrankung. Für eine erste Auswertung (hier Berechnung 1 genannt) passten sie Alter, Geschlecht und Bildungsstand der Erkrankten und Nicht-Erkrankten aneinander an. In einem zweiten Schritt (Berechnung 2) stimmten sie zusätzlich die anderen Lebensstilfaktoren aufeinander ab.
Wenig überrascht, dass Nichtrauchen das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung allgemein am meisten senkt: um 43 bis 44% je nach Art der Berechnung. Interessant: Ausreichender Schlaf folgt, was die protektive Wirkung angeht, direkt auf Platz 2. Wer genug schlief, senkte sein Herz-Kreislauf Risiko gegenüber Wenigschläfern um mindestens 22%.
Um dem Tod durch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung vorzubeugen, eignet sich der neuen Studie zufolge kein Lebensstilfaktor besser als ausreichend Schlaf. Dieser Faktor allein verminderte das Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung mit Todesfolge um 43 bis 45%. Knapp dahinter: Der Verzicht auf das Rauchen mit einer Risikoreduktion um 39 bis 43%. Würden alle Studienteilnehmer alle 5 gesunden Lebensstilfaktoren plus ausreichend Schlaf in ihrem Leben etablieren, so die Wissenschaftler, ließen sich „36% der allgemeinen kardiovaskulären Erkrankungen und 57% derer mit Todesfolge theoretisch verhindern oder aufschieben“.
Was niederländische und deutsche Experten daraus folgern
Was macht ausreichend Schlaf so wichtig für Herz und Kreislauf? Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass Schlafentzug zum einen entzündliche Prozesse begünstigt und zum anderen das Appetitgefühl beeinträchtigt [3]. Sowohl die inflammatorischen Prozesse als auch die eventuell aus gesteigertem Appetit resultierenden Folgen – u. a. Übergewicht, Bluthochdruck, erhöhter Gesamtcholesterinwert – begünstigen kardiovaskuläre Erkrankungen [4].
Für Kardiologen in Deutschland sei Schlaf und seine Bedeutsamkeit für die Herzgesundheit bereits ein Thema, betont Brück, „wobei es bisher hauptsächlich um die Abklärung eines Bluthochdruckes, einer Leistungsabnahme und von Herzrhythmusstörungen geht.“ Mit Blick auf die große Studie aus den Niederlanden meint er: „Ich denke aber, diese Untersuchung wird das Thema noch mehr in den Fokus rücken, so dass wir in Zukunft auch bei der Beratung über Risikofaktoren vermehrt über den Schlaf sprechen müssen.“
Nicht nur das „wie lange“, sondern auch das „wie“ der Nachtruhe und gegebenenfalls des Mittagsschläfchen sei hierbei von Interesse, meint Brück. Es bleibe festzustellen, „ob der durch Schlafmittel induzierte Schlaf ebenso protektiv ist. In der Praxis kann ich feststellen, dass sich Patienten, die Schlafmittel benutzen, nicht so ausgeruht fühlen wie Patienten, die keine Schlafmittel benötigen. Deshalb ist zu vermuten, dass auch die protektive Wirkung geringer ist.“ Ebenso sei in Folgestudien zu klären, „ob es einen Unterschied macht, wann man schläft – ist der Schlaf vor Mitternacht wirklich gesünder? Und dann natürlich auch, ob das Alter eine Rolle spielt.“
Fragen, die das Team vom National Institute for Public Health and the Environment in Bilthoven vermutlich bald beantworten kann, zumindest zum Teil. Verschuren betont gegenüber Medscape Deutschland: „Ein Teil der Studienpopulation, eine Gruppe von etwa 5000 Teilnehmern, wurde im 5-Jahres-Intervall wiederholt befragt. Wir haben dieses Jahr eine weitere Runde Neuüberprüfungen begonnen, diese Gruppe ist nun 45 bis 85 Jahre alt. Hierbei nahmen wir Fragen auf, die die Schlafqualität betreffen, z. B. das Aufwachen während der Nacht, Einschlafschwierigkeiten und die Einnahme von Medikamenten.“