Venöse Thromboembolien: Expertentipps für die Therapie und das langfristige Management

Ute Eppinger | 9. Juli 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Amsterdam – Wer antikoaguliert wird, sollte auf nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAID) möglichst verzichten. „Die Kombination von Antikoagulanzien und NSAID vergrößert das Risiko sowohl für klinisch relevante Blutungen als auch für schwere Blutungen um das annähernd Zweifache“, warnte Dr. Bruce Davidson vom Harborview Medical Center in Seattle auf dem 24. Kongress der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) in Amsterdam [1].

Davidson und sein Team kommen zu dieser Schlussfolgerung aufgrund einer Post-hoc-Analyse der EINSTEIN-Studie [2]. Dabei hatten sie analysiert, wie in dieser Studie mit dem neuen oralen Antikoagulanz (NOAC) Rivaroxaban bei Patienten mit symptomatischer Venenthrombose die Kombination der Antikoagulation mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder NSAID mit einem erhöhten Blutungsrisiko assoziiert war.

Sie werteten die Daten von 8.546 Patienten mit tiefer Venenthrombose (DVT) und/oder Lungenembolie (PE) aus. 4.130 Patienten erhielten Rivaroxaban, 4.416 Patienten Enoxaparin bzw. einen Vitamin-K-Antagonisten (VKA). 1.202 (14,6%) Patienten bekamen begleitend ASS und 1.884 Patienten (22,8%) begleitend NSAID. In die Analyse aufgenommen wurden schwere und klinisch relevante nicht-schwere Blutungen. Ereignisjahre wurden für die komplette Risiko-Periode auf 100 Patientenjahre mit oder ohne ASS- oder NSAID-Therapie berechnet.

Blutungsrisiko steigt unter NSAID-Antikoagulanzien-Kombination

Unter der ASS-Rivaroxaban-Kombination traten klinisch-relevante Blutungen mit einer Rate von 34,9 pro 100 Patientenjahre auf, verglichen mit 16,1 bei denen, die Rivaroxaban ohne ASS erhielten (HR=1,79  [95% CI 1,35-2,38]). Schwere Blutungen traten unter ASS-Rivaroxaban mit einer Ereignisrate von 3,3 pro 100 Patientenjahre auf, verglichen mit 1,6 bei einer Behandlung ohne ASS (HR=1,49 [0,62-3,57]).

Unter ASS-Enoxaparin/VKA lag die Rate klinisch relevanter Blutungen bei 39,1, verglichen mit 17,8 ohne ASS (HR=1,58 [1,16-2,15]), bei schweren Blutungen wiederum stieg die Rate unter ASS/Enoxaparin/VKA auf 6,9 verglichen mit 2,9 ohne ASS (HR=1,49 [0,73-3,02]).

Ähnlich sah der Befund bei der Ko-Medikation mit NSAID aus. Wenn sie gemeinsam mit Rivaroxaban gegeben wurden, traten klinisch relevante Blutungen mit einer Rate von 37,6 pro 100 Patientenjahre auf, verglichen mit 15,8 ohne NSAIDs (HR=1,93 [1,47-2,53]). Unter NSAID-Enoxaparin/VKA fand sich eine Rate von 37,3, verglichen mit 17,4 ohne NSAIDs (HR=1,68 [1,29-2,21]).

Schwere Blutungen traten unter NSAID-Rivaroxaban mit einer Rate von 4,74 pro 100 Patientenjahre auf verglichen mit 1,43 ohne NSAID (HR=2,60 [1,23-5,48]). Wohingegen die Rate unter NSAID/Enoxaparin/VKA bei 8,4 lag, verglichen mit 2,7 ohne NSAID (HR=2,32 [1,31-4,12]).

Dies bedeutet: Bei einer ASS-Begleittherapie steigt das Risiko für klinisch relevante Blutungen um etwa das 1,5-Fache, auch das Risiko für schwere Blutungen verdoppelte sich laut dieser Analyse – doch war bei den schweren Blutungen dieser Effekt statistisch nicht signifikant. Dagegen war die Risikosteigerung bei der Kombination von Antikoagulation und NSAID immer statistisch signifikant.

Davidsons Fazit lautete daher: „Bei Patienten mit DVT und PE sollte man die Einnahme von NSAID über einen längeren Zeitraum vermeiden, wenn keine wichtige klinische Indikation für eine NSAID-Gabe vorliegt.“ Dabei sei unerheblich, ob mit Rivaroxaban oder mit Enoxaparin bzw. einem VKA antikoaguliert werde – in der EINSTEIN-Studie war der Risikoanstieg unter begleitender NSAID-Gabe bei beiden Antikoagulations-Strategien nahezu identisch.

Therapie venöser Thromboembolien mit VKA – und wo bleiben die Leitlinien?

Dass die Therapie venöser Thromboembolien mittels VKA und niedermolekularem Heparin (LMWH) oft nicht leitliniengetreu erfolgt, darauf machte Dr. Alexander Cohen vom King´s College Hospital in London aufmerksam. „Unsere Leitlinien empfehlen typischerweise eine Behandlungsdauer von 3 Monaten für venöse Thromboembolien, die durch temporäre Risikofaktoren provoziert werden und eine Ausweitung der Behandlung (auf längere Zeiträume) bei spontanen VTE“, betonte Cohen.

Cohen und Team sichteten die Behandlungsdaten von insgesamt 8.504 Patienten mit erstauftretender VTE. Das Durchschnittsalter lag bei 63,5 Jahren, 46,4% der Patienten waren Frauen. Von den 8.504 Patienten litten 5.019 an tiefer Venenthrombose und 3.485 Patienten hatten eine Lungenembolie mit oder ohne tiefe Venenthrombose. 3.130 (36,8%) der Patienten wiesen eine provozierte VTE auf, 5.374 (63,2%) Patienten hatten eine idiopathische VTE.

Von den 5.374 Patienten mit spontaner VTE erhielten 84,6% eine Antikoagulation (67,0% VKA Monotherapie, 12,2% niedermolekulares Heparin, LWMH und VKA, 5,4% nur LWMH als Monotherapie), während 15,4% dieser Patienten keine antikoagulative Therapie durchliefen.

Insgesamt wurden 77,4% der Patienten mit spontaner VTE mindestens 3 Monate behandelt, 50,3% mindestens 6 Monate und 11,4% sogar über 12 Monate therapiert. Von den Patienten mit provozierter VTE erhielten 76,8% über 3 Monate eine Therapie, 49,0% über 6 Monate und 10,3% über 12 Monate. Für die spontan auftretenden VTE betrug die Behandlungsdauer bei 77,8% der Patienten 3 Monate, bei 51,1% 6 Monate und bei 11,9% 12 Monate.

„Nach provozierten venösen Thromboembolien wurden die VKA länger gegeben als empfohlen“, fasste Cohen zusammen. „Umgekehrt erhielten Patienten mit spontanen VTE Vitamin-K-Antagonisten deutlich kürzere Zeit, als das in den Leitlinien empfohlen wird.“

Die Gründe für das Nicht-Umsetzen der Leitlinien, was die Behandlungsdauer bei der Therapie von idiopathischen VTE angeht, seien unklar und sollten weitere Forschungen nach sich ziehen, sagte Cohen.

ASS zur Rezidiv-Prophylaxe bei spontanen VTE

So ungeeignet ASS zur Thrombose-Prophylaxe bei Patienten mit Vorhofflimmern ist – für die sekundäre Rezidiv-Prophylaxe einer idiopathischen venösen Thromboembolie eignet sich ASS sehr gut, betonte Dr. Cecilia Becattini vom Department der Internal and Cardiovascular Medicine der Universität Perugia. Patienten mit idiopathischen VTE haben ein hohes Rezidivrisiko. Wird die orale Antikoagulation gestoppt, erleidet jeder 5. Patient innerhalb von 5 Jahren ein VTE-Rezidiv, verwies Becattini auf ihre Warfarin and Aspirin oder WARFASA-Studienergebnisse [4].

„ASS ist kein neues Medikament, aber es ist sicher, es ist günstig und es weist kaum Nebenwirkungen auf“, so die Expertin, die in WARFASA nachgewiesen hatte, dass eine langfristige ASS-Therapie (100 mg täglich) das Rezidivrisiko im Vergleich zu Placebo um fast die Hälfte senkt.

ASPIRE (Aspirin to Prevent Recurrent Venous Thromboembolism) habe die WARFASA Ergebnisse bestätigt, so Becattini [5]. Allerdings zeigte ASPIRE, dass ASS das venöse Thromboserezidiv-Risiko nur tendenziell reduzierte, dafür halbierte es das Risiko für schwere arterielle Komplikationen und schützte somit signifikant vor schweren vaskulären Komplikationen insgesamt.

Nach idiopathischen VTE würden Patienten zur Rezidiv-Prophylaxe in der Regel auf VKA eingestellt, doch das reduzierte Thromboserisiko werde mit einer erhöhten Blutungsneigung erkauft, argumentierte Becattini, die in ASS deshalb eine „mögliche Alternative zur oralen Antikoagulation für die langfristige Sekundärprävention von VTE“ sieht.

Referenzen

Referenzen

  1. 24. Kongress der International Society of Thrombosis and Haemostasis (ISTH), 29. Juni bis 4. Juli 2013. Amsterdam
    http://www.isth2013.org/
  2. Abstract: “Risk of bleeding in patients with acute venous thromboembolism treated with rivaroxaban or enoxaparin/VKA and concomitant ASA therapy or NSAIDs: Subanalysis from EINSTEIN DVT and PE studies”
    http://www.eventure-online.com/eventure/publicAbstractView.do?id=217415&congressId=6839
  3. Abstract: “Vitamin K antagonist treatment patterns and persistence after venous thromboembolism in non-cancer patients: VTE Epidemiology Group (VEG) Study”
    http://www.eventure-online.com/eventure/publicAbstractView.do?id=216351&congressId=6839
  4. Becattini C et al: N Engl J Med 2012; 366:1959-1967
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1114238
  5. Brighton TA, et al: N Engl J Med 2012; 367:1979-1987
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1210384

Autoren und Interessenkonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Davidson B, Cohen A, Becattini C: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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