Hamburg – Die Weiterbildungsgänge für Orthopäden und Unfallchirurgen zum orthopädischen Rheumatologen sind eine wichtige Ergänzung für die effiziente Versorgung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen – und das nicht nur, weil in Deutschland mit einem Defizit von aktuell 654 ein Versorgungsmangel bei den internistischen Rheumatologen besteht.
„Wir können nur mit einer guten Mischung aus medizinischem Überblick und Spezialwissen den Patienten einen interdisziplinären und damit ganzheitlichen Weg der Versorgung sichern“, sagte Prof. Dr. Wolfgang Rüther, Direktor der Klinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und im Klinikum Bad Bramstedt, anlässlich der 62. Jahrestagung der Norddeutschen Orthopäden- und Unfallchirurgenvereinigung (NOUV).
Rüther hatte den Vorsitz bei dem Symposium „Update Orthopädische Rheumatologie – Labordiagnostik entzündlich-rheumatischer Krankheiten – was der Orthopäde und Unfallchirurug wissen muss“, und stellte mit Dr. Uwe Schwokowski einen Orthopäden/Orthopädischen Rheumatologen aus Ratzeburg in Schleswig-Holstein vor, der jenseits der operativen Versorgung jede Menge Praxisrelevantes zu berichten hatte.
Langfristige Folgeschäden vermeiden
„Orthopäden denken zu wenig entzündlich“, stieg Schwokowski, der die Sektion Orthopädische Rheumatologie im Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie leitet, ins Thema ein und mahnte: „Sie sollten es aber, damit langfristige Folgeschäden vermieden werden können, die über die Schäden an Knochen und Gelenken weit hinausgehen.“
Bekannt sei, dass die chronische rheumatische Entzündung an den Grenzen eines Gelenks nicht halt mache, sondern in eine pathologische Entzündung des Endothels münde und damit in die Atherosklerose und Hypertonie. „Rheumapatienten haben dadurch ein um 30 bis 60 Prozent höheres Risiko, einen Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden”, so der Experte. „Die Gefahr steigt weiter, wenn die Patienten erhöhte Lipidwerte, Diabetes oder Adipositas haben.”
Ob Polyarthritiden, Spondyloarthritiden oder Vaskulitiden und Kollagenosen: Insgesamt sind etwa 2% der Erwachsenen in Deutschland von einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung betroffen. Die häufigste Einzelerkrankung ist die rheumatoide Arthritis (RA), deren Beginn nicht selten akut vor dem 60. Lebensjahr erfolgt, bei Frauen beispielsweise in den Phasen hormoneller Umstellungen wie der Menopause. Die häufigste Einzelerkrankung nach dem 60. Lebensjahr ist die Polymyalgia rheumatica mit „lauten Schultern“ und Schmerzen in der Beckengürtelmuskulatur.
Noch nicht im Röntgenbild
„Die Früharthritis ist zeitlich nicht genau definiert, wird aber allgemein so verstanden, dass die Beschwerden noch keine 6 Monaten andauern“, sagte Schwokowski. Was im Röntgenbild am Knochen noch nicht zu sehen ist, zeigt sich klinisch als weiche gallertartige Schwellung von Finger- und/oder Handgelenken (MCP-Gelenk) und/oder Zehengelenken – das sei aber teilweise selbst für das geübte Auge nicht wirklich eindeutig. Ebenso können Probleme beim Faustschluss und Querdruckschmerzen an Händen/Füßen (Gaenslen-Zeichen) bestehen.
„Bei den Füßen muss der Blick direkt auf den zweiten Zeh fallen“, so Schwokowski. Stelle der sich als „Wurstzeh“ dar, bei dem als Ursache ein Unfall ausgeschlossen werden kann, so sei dies ein wichtiger Hinweis auf eine Psoriasisarthritis. „Allerdings gilt für diese häufig unterdiagnostizierte Form: Haut vor Gelenk. Wenn ein Patient mit einer Daktylitis beim Orthopäden aufschlägt, hat der schon lange Hautprobleme. Fragen Sie, ob jemand in der Familie eine Psoriasis hat.“
Typisch für die B-Symptomatik sind mehr oder minder ausgeprägte Mattig- und Müdigkeit, unspezifische Muskel- und Gelenkbeschwerden, Morgensteifigkeit >30 Minuten, depressive Verstimmungen. „Bei schwerer Allgemeinsymptomatik handelt es sich um eine Systemerkrankung, die über Rheuma hinausgeht“, ergänzte PD Dr. Eva Reinhold-Keller, internistische Rheumatologin in Hamburg. Dann müsse der internistische Rheumatologe einsteigen.
Richtungweisende Laborbefunde
Klassifiziert wird international nach den ACR/EULAR criteria for rheumatoid arthritis 2010 (American College of Rheumatology/EUropean League Against Rheumatism), den CASPAR criteria for psoriasic arthritis 2006 (ClASsification criteria for Psoriatic Arthritis ) oder den ASAS criteria for axial spondyloarthritis 2009 (Assessment of SpondyloArthritis Society).
Am Beispiel der Frühdiagnostik für die rheumatoide Arthritis umfasst die Serologie eine Dokumentation der Akute-Phase-Reaktionen, wie Blutsenkung (BSG), C-reaktives Protein (CRP), kleines Blutbild, Harnsäure und Kreatinin, Nachweis von Rheumafaktoren (Rf) sowie Bestimmung der Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide (CCP).
Gemäß dem Leitlinien-Management der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie zur frühen RA von 2011 gibt es keinen einzelnen diagnostischen Test zum Nachweis entzündlich-rheumatischer Erkrankungen, zur Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose müssen die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen verwendet werden. Dazu gehören jedoch weder für Schwokowski noch für Reinhold-Keller primär die Borrelien- und Chlamydienserologie als Hinweis auf eine reaktive Arthritis.
Für die Beurteilung der Ergebnisse ist laut Schwokowski die BSG zwar fast immer erhöht, jedoch unspezifisch, da dies auch bei Anämien und anderen entzündlichen Erkrankungen der Fall sei. „Quantitativ genauer und schneller ist der Entzündungsparameter CRP, der die Akute-Phase-Reaktion besser reflektiert, ansonsten aber ebenso unspezifisch ist wie die BSG.“
Hochspezifischer CCP-Antikörper
Auch das Blutbild ist für den Orthopäden in der Primärdiagnostik wenig spezifisch, als Ausgangsuntersuchung aber sinnvoll, da die Marker wichtige Bausteine des Puzzles sind – und bei länger dauernder aktiver Erkrankung beispielsweise auf eine normo- oder hypochrome oder normozytäre Entzündungsanämie hinweisen.
Hochspezifisch in der erweiterten Primärdiagnostik ist der CCP-Antikörper. Schwokowski: „Dieser Rheumafaktor tritt früh auf, kann der klinisch manifesten RA um Jahre vorausgehen und hat bei einer noch undifferenzierten Arthritis einen hohen prädiktiven Wert für die Entwicklung einer RA. Außerdem ist er bei früher Erkrankung ein Indikator für einen schweren, insbesondere erosiv-destruierenden Verlauf.“
Da er etwas weniger sensitiv ist als der Rheumafaktor, eignet er sich besonders für die Differenzialdiagnostik der frühen RA. Der Rf wiederum ist bei 65-80% der RA-Patienten positiv nachweisbar, darüber hinaus auch bei einigen anderen Erkrankungen, z. B. Kollagenosen, Hepatitiden, Malignomen, und zudem generell bei ca. 20% der >65-Jährigen.
Lanze für die Arthrosonographie
Bliebe noch die Bildgebung, die Domäne der Orthopädie. Röntgen der Hände und Füße a. p. (von anterior nach posterior) sind Standard, die Sonographie dient u. a. dem Nachweis von Gelenkergüssen, Tendovaginitiden und synovialer Proliferation. Die MRT liefert detallierte Darstellungen von Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen – gehört nach Meinung Schwokowskis aber nicht zu den Routineverfahren.
Im Gegenteil, der inflationäre Einsatz bei 2-5% der Patienten behagte dem Orthopäden ganz und gar nicht: „Riegel davor!“, forderte er. Den Trend, Patienten gleich zur MRT zu schicken, verbindet er mit der Unlust für eine saubere und gezielte Diagnostik, die immer an erster Stelle stehen sollte. „Erst angucken und befragen“, betonte Schwokowski. „Man hat in der Befragung viele Möglichkeiten. Und wenn sich Parameter in der Sonographie finden, ist man schon sehr weit. Ich möchte eine Lanze brechen für die Arthrosonographie. Die MRT sollte erst an vierter oder fünfter Stelle stehen.“
