
Erhöhen traditionelle Nichtsteroidale Antirheumatika (tNSAR) das gastrointestinale Risiko, COX2-Hemmer aber das kardiovaskuläre? So einfach ist es nicht, besagen die Daten einer aktuellen Metaanalyse [1]. Demnach können auch tNSAR in Hochdosen dem Herzen schaden. „In Deutschland werden aber kaum solch hohe Dosen verordnet oder eingenommen“, betont Prof. Dr. Kay Brune vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsklinik Erlangen im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Eine Metaanalyse, die kürzlich in The Lancet erschienen ist, hat die Therapiesicherheit von COX2-Inhibitoren und tNSAR systematisch verglichen. Der Schwerpunkt lag dabei auf Herz-Kreislauf-Ereignissen. Magenulzera und Perforationen wurden ebenfalls analysiert. Analysiert wurden 600 veröffentlichte oder unveröffentlichte Studien von mindestens 4 Wochen Dauer. Sie betrafen die tNSAR Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen (in Maximaldosen) oder/und die COX2-Hemmer Celecoxib, Etoricoxib, Lumiracoxib bzw.Rofecoxib.
Auch Diclofenac und Ibuprofen können die Infarktrate steigern
Primärer Endpunkt der Metaanalyse war die Rate schwerer vaskulärer Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall und vaskulärer Tod) unter Coxiben, Ibuprofen, Diclofenac bzw. Naproxen. Dazu kam eine Einzelauswertung schwerer Koronarereignisse (Myokardinfarkt und kardiovaskulärer Tod, ohne Schlaganfall) sowie gastrointestinaler Zwischenfälle und weiterer Parameter.
Die Ergebnisse waren ernüchternd, was die vermeintliche kardiovaskuläre Sicherheit der tNSAR angeht. So erhöhten die Coxibe zwar den primären Endpunkt, die Rate schwerer vaskulärer Ereignisse, um 37% vs. Placebo (p = 0,0009), aber bei Diclofenac war diese Rate mit 41% auch nicht niedriger (p = 0,0036). Hauptgrund war bei beiden Analgetika eine gesteigerte Herzinfarktrate (Coxibe: +76%, p=0,0001; Diclofenac: +70%, p=0,0032).
Ibuprofen war sogar mit einer um 122% erhöhten Infarktrate assoziiert (p = 0,0253), verschlechterte aber die Gesamtrate vaskulärer Ereignisse „nur“ um 44% (p = 0,14). Lediglich Naproxen zeigte weder ein Exzessrisiko für vaskuläre Events insgesamt (-7%) noch für kardiovaskuläre Ereignisse (-16%).
Erwartungsgemäß hoch war dagegen die Gefahr von Komplikationen des oberen Gastrointestinaltrakts bei allen untersuchten tNSAR: Sie war unter Diclofenac etwa verdoppelt, unter Ibuprofen und Naproxen sogar vervierfacht. Aber auch mit Coxiben verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit gastrointestinaler Ereignisse.
Für Deutschland wenig relevant?
In der Metaanalyse wurden allerdings nur tNSAR-Studien mit Tagesdosen von 150 mg Diclofenac, 2.400 mg Ibuprofen bzw. 1.000 mg Naproxen untersucht. „Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten ist die Verordnung so hoher Dosen in Deutschland die Ausnahme“, relativiert Brune. Während 2 x 75 mg Diclofenac in der Rheumatologie zeitweise – aber meist nicht langfristig – eingesetzt würden, sei die Verschreibung etwa von 3 x 800 mg Ibuprofen oder auch 2 x 500 mg Naproxen hierzulande sehr unwahrscheinlich, erklärt er im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Auf die Frage nach rezeptfrei „over-the-counter“ (OTC) verkauften Tabletten antwortet der Pharmakologe: „Nur sehr wenige Patienten in Deutschland würden von sich aus über längere Zeit mehr als die für den rezeptfreien Gebrauch zugelassenen täglich sechs Tabletten Ibuprofen 200 mg oder drei Tabletten Diclofenac 25 mg einnehmen. Denn damit würden sie die erlaubte Tagesdosis überschreiten, und einem solchen Vorgehen stehen die meisten mit berechtigtem Misstrauen gegenüber.“
Belastbare Daten gibt es zum OTC-Schmerzmittelgebrauch aber nicht. „Jedenfalls ist das kardiovaskuläre Risiko bei den relativ niedrigen Tagesdosen, die üblicherweise verschreibungsfrei eingenommen werden, deutlich geringer als in der aktuellen Metaanalyse“, so Brune, „das haben Studien beispielsweise für Diclofenac nachgewiesen [2].”
Medikamentenauswahl nach Analgesie-Bedarf
Brune zieht aus der im Lancet publizierten Studie trotzdem wichtige Erkenntnisse zum langfristigen Einsatz von Coxiben und hochdosierten tNSAR. So betont er gegenüber Medscape Deutschland: „Es wurde festgestellt, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen COX2-selektiven und -nichtselektiven Wirkstoffen im Hinblick auf die kardiovaskuläre Risikosituation gibt und dass all diese Wirkstoffe auch gastrointestinale Probleme aufwerfen.“ Letztere seien mit Naproxen besonders ausgeprägt, dies müsse gegen das geringere kardiovaskuläre Risiko unter hochdosiertem Naproxen aufgewogen werden.
Bei der Auswahl des geeigneten Analgetikums für einen Patienten sollte laut Brune ohnehin nicht nur dessen Risikoprofil eine Rolle spielen, sondern auch der individuelle Bedarf an Analgesie. Er erläutert dies an einem Beispiel: „Wenn jemand nur wenige Stunden am Tag an Arthroseschmerzen leidet, würde ich dafür 400-600 mg Ibuprofen oder 25 mg Diclofenac in einer schnell anflutenden Darreichungsform verordnen. Bei Patienten mit Dauerschmerz dagegen würde ich Naproxen – mit einem Protenenpumpenhemmer als Magenschutz – oder Etoricoxib bevorzugen.“ Insgesamt sei ein patientenzentriertes, maßgeschneidertes Vorgehen der beste Weg.