Wetterfühligkeit bei Fibromyalgie: Einbildung oder Folge schadhafter Nervenfasern?

Inge Brinkmann | 11. Juni 2013

Autoren und Interessenkonflikte

Viele Fibromyalgie-Patienten berichten, dass sich bestimmte Wetterlagen auf das Ausmaß ihrer Symptome auswirken. Ob es bei dieser Erkrankung aber tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Witterung und körperlicher Verfassung gibt, ist wissenschaftlich bislang nicht belegt. Zusammengefasst sagt nun eine aktuelle Längsschnittstudie aus den Niederlanden: Wenn sich das Ausmaß der Schmerzen oder der Erschöpfungszustand bei Betroffenen ändert, kann das an vielem liegen – vermutlich aber nicht am Wetter [1].

Zumindest gibt es laut der jetzt vom Team um Dr. Ercolie R. Bossema vom Department of Clinical and Health Psychology der Utrecht Universität in Arthritis Care & Research veröffentlichen Studie „mehr Belege, die gegen einen Einfluss des Wetters auf tägliche Schmerzen und Schlaflosigkeit bei weiblichen Fibromyalgie-Patienten sprechen als dafür“.

 
„Der jeweilige Untersuchungszeitraum von einem Monat war zu kurz für aussagekräftige Ergebnisse.“
Holger Westermann
 

Dagegen meint der Biologe Holger Westermann von der Patienten-Website „Menschenswetter“ im Gespräch mit Medscape Deutschland: „Der jeweilige Untersuchungszeitraum von einem Monat war zu kurz für aussagekräftige Ergebnisse.“ Zusammen mit der Abteilung Medizinmeteorologie des Deutschen Wetterdienstes und der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung (DFV) e.V. arbeitet er an einem deutschen Forschungsprojekt zur Wetterempfindlichkeit bei Fibromyalgie [2]. Erste Ergebnisse der im August 2012 angelaufenen Untersuchung wurden im März dieses Jahres vorgestellt [3]. Danach zeigte sich, dass Rheuma, Schmerzsensibilität und Neigung zu depressiver Stimmung oft gemeinsam korrelierten. Im Zuge weiterer Auswertungen hoffen die Autoren, eine „differenzierte Korrelation“ zu finden.

80% der Betroffenen berichten von Wetterfühligkeit

Etwa 2% der Bevölkerung sind vom Fibromyalgie-Syndrom betroffen. Für die Erkrankung typisch sind vor allem Schmerzen in mehreren Körperregionen und chronische Müdigkeit. Kennzeichnend scheint aber auch ein Einfluss der Wetterlage auf die Schwere der Symptome zu sein. Zumindest gaben in einer US-amerikanischen Online-Umfrage mit 2.569 Fibromyalgie-Patienten als Teilnehmer 80% an, dass das Wetter ihre Beschwerden verschlimmern könne, nur emotionaler Stress hatte noch gravierendere Auswirkungen [4]. Allein: Der wissenschaftliche Nachweis eines solchen Zusammenhangs konnte in zurückliegenden Studien bislang nicht erbracht werden.

Was für Bossema jedoch nicht heißt, dass nicht einzelne Patienten trotzdem sensibler auf Wetteränderungen reagieren könnten als andere. Außerdem müsse in Betracht gezogen werden, so schreiben sie, dass Betroffene möglicherweise ganz unterschiedlich auf Klimaänderungen reagieren: Bei den einen könne eine hohe Lufttemperatur den Zustand verschlechtern, die anderen leiden dagegen eher bei kalter Witterung.

Das würde ihrer Ansicht nach auch erklären, warum die bislang meist als empirische Querschnittstudien angelegten Untersuchungen mit einem einzigen Messzeitpunkt keinen Zusammenhang bestätigen konnten. Ihre Längsschnittstudie, bei der prinzipiell über einen längeren Zeitraum hinweg eine Stichprobe untersucht wird, sollte deshalb mehr Klarheit bringen.

Datensammlung über jeweils einen Monat – zu kurz?

Insgesamt 403 erwachsene Frauen, deren Erkrankung von Rheumatologen diagnostiziert worden war, wurden in die Studie aufgenommen. Dass man sich ausschließlich auf weibliche Fibromyalgie-Patientinnen konzentrierte, erklärt Mitautorin Prof. Dr. Rinie Geenen von der Universität in Utrecht auf Nachfrage von Medscape Deutschland mit dem Wunsch, eine möglichst homogene Untersuchungsgruppe zusammenzustellen. Überdies sei die Prävalenz unter Männern ohnehin niedrig, „nur etwa 10% der Betroffenen sind männlich“.

Die Studienteilnehmerinnen gaben zunächst demografische Angaben (z.B. Familienstand, Alter, Ausbildung) sowie Angaben zu ihrer Erkrankung (z.B. Zeitpunkt der Diagnose) zu Protokoll. Anschließend erhielten sie ein Tagebuch, in welches sie an 28 aufeinanderfolgenden Tagen sowohl Details über ihre Erkrankung (z.B. „Wie gut haben Sie letzte Nacht geschlafen?“ oder „Wie stark sind Ihre Schmerzen heute?“) als auch die tägliche Wetterlage notieren sollten. Angaben über die Wettervariablen Sonnenscheindauer, Niederschlagsmenge, Luftdruck und -temperatur sowie relative Luftfeuchtigkeit erhielten die Teilnehmerinnen dabei von einer speziellen Teletextseite.

Ausgewertet wurden letztlich die Tagebücher von 333 Fibromyalgie-Patientinnen, die zwischen Ende Juli 2005 und Anfang Januar 2006 an mindestens 14 Tagen ihre Symptome schriftlich festgehalten hatten. Fehlende Daten wurden von den Autoren in Kauf genommen, um die Schätzgenauigkeit und die Aussagekraft der statistischen Tests zu erhöhen.

Westermann sieht vor allem die Datensammlung über nur einen Monat kritisch: „Im Idealfall sollten die Patienten über ein ganzes Jahr untersucht werden. Nur so kann man auch die jahreszeitlichen Schwankungen berücksichtigen“, meint er. Vielen Patienten ginge es beispielsweise bei feucht-kaltem Herbstwetter weniger gut: „Man fröstelt, das heißt die Muskelspannung erhöht sich. Allein das kann schon die Schmerzen verstärken.“ Aber auch depressive Stimmungen, die bei Fibromyalgie-Patienten nicht selten vorkommen, könnten durch mieses Wetter – und den damit verbundenen Serotoninmangel – verstärkt werden.

Vereinzelt signifikante Einflüsse

Mit verschiedenen Rechenmodellen hatte die Autorengruppe um Bossema nach Zusammenhängen zwischen den Wettervariablen und den Symptomen Schmerz und Müdigkeit gesucht.

An zwei Stellen konnten die Autoren dadurch geringe, aber doch signifikante Zusammenhänge nachweisen. So diente eines der statistischen Rechenmodelle dem grundsätzlichen Nachweis eines Witterungseffektes auf das Ausmaß der Symptome. Und tatsächlich ließen sich in 5 (10%) der Einzelanalysen Verbindungen zwischen den Variablen Wetter und Fibromyalgie-Symptomen herstellen. Je länger die Sonne schien beispielsweise, umso weniger Schmerzen notierten die Patienten. Dagegen wirkte sich eine hohe Luftfeuchtigkeit offenbar ungünstiger aus. Stieg diese an, fühlten sich die Patienten erschöpfter und empfanden auch mehr Schmerzen.

Letztlich eindeutig waren auch die Ergebnisse von 10 Einzelanalysen (20%) einer weiteren Modellrechnung, anhand derer die Autoren überprüften, ob sich die Witterung auf einzelne Patienten unterschiedlich auswirkt. Wie von den Autoren vermutet, wurden einige Betroffene durch ein und dieselbe Wetterlage ganz unterschiedlich beeinflusst. Starke Schmerzen wurden etwa von einem Teil der Patientinnen bei hohem Luftdruck registriert, anderen setzte ein niedriger atmosphärischer Druck mehr zu.

Die Autoren schreiben aber: „Diese vereinzelten signifikanten Einflüsse waren gering und inkonsistent.“  Zusammen mit Ergebnissen vorhergehender Studien kommen sie deshalb zu dem Schluss, dass ein Wettereinfluss auf die Fibromyalgie-Patientinnen eher unwahrscheinlich ist.

Alles nur Einbildung. Oder?

Für das Team um Bossema lief es also auf die Frage hinaus: Warum berichten die Patienten trotzdem so häufig davon, dass bestimmte Klimabedingungen ihre Beschwerden beeinflussen? Ihr Erklärungsversuch: „Die der Krankheit zugrundeliegenden Mechanismen sind größtenteils unbekannt. Vertreter der kognitiven Psychologie vertreten die Auffassung, dass Menschen trotzdem nach Erklärungen suchen, um ihre Lage besser zu verstehen.“

Und sowohl das allgegenwärtige Wetter als auch die chronischen Beschwerden würden sich beständig ändern. „Es ist einfach, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden, aber schwer, eine solche Verknüpfung zu widerlegen.“

Die Ergebnisse einer gerade erst erschienenen Studie von der Universität Würzburg könnten jedoch die These der speziellen Wetterempfindlichkeit beim Fibromyalgie-Syndrom stützen. So berichteten PD Dr. Nurcan Üçeyler und ihre Kollegen im Fachjournal Brain, eine mögliche körperliche Ursache für die Schmerzen von Fibromyalgie-Patienten entdeckt zu haben: Sie wiesen Schäden an den Nervenendigungen in der Haut nach [5].

Die auch als small fibres bezeichneten Nervenfasern sind für die Wahrnehmung von Schmerzen und die Temperaturempfindung verantwortlich. „Möglicherweise nehmen Fibromyalgie-Patienten deshalb Temperaturschwankungen verspätet wahr, etwa erst dann, wenn sich die Adern bei Kälte bereits zusammenziehen“, so Westermann. Das könnte als eine unangenehme körperliche Reaktion wahrgenommen werden.

Bewiesen ist das aber noch nicht. Letztlich ist es mit der Wetterfühligkeit bei Fibromyalgie wie so oft in der Wissenschaft – es bedarf noch weiterer Forschung.

Referenzen

Referenzen

  1. Bossema ER, et al: Arthritis Care Res (Hoboken) (online) 4. Juni 2013
    http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/acr.22008/abstract
  2. Forschungsprojekt Fibromyalgie
    http://www.menschenswetter.de/site/fibromyalgie
  3. Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. 6.-9. März 2013, Heidelberg
    http://deutscher-psychosomatik-kongress.de
    Westermann H, et al: Abstractbook PO 159, S. 174-175
  4. Bennett RM, et al: BMC Musculoskeletal Disorders 2007, 8:27
    http://dx.doi.org/10.1186/1471-2474-8-27
  5. Üçeyler N, et al: Brain. 2013;136(Pt 6):1857-67
    http://dx.doi.org/10.1093/brain/awt053

Autoren und Interessenkonflikte

Inge Brinkmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bossema E: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in der Originalpublikation.

Westermann H, Geenen R: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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