Der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier hat sie mit einem Schlag bekannt gemacht, für viele Dialysepatienten ist sie die letzte Rettung – die Lebendspende, bei der ein gesunder Angehöriger einem Patienten eine Niere spendet.
Auch weil zu wenige Organe postmortal zur Verfügung stehen, nehmen Transplantationen mit Lebendspenden stark zu: 2012 stammten 29,6% aller transplantatierten Nieren in Deutschland von einem Lebendspender. In den USA ist es bereits die Hälfte.
Untersucht man diesen Zuwachs genauer, fällt auf: Es sind mit deutlicher Mehrheit die Frauen, die ihren Männern oder Kindern ein Organ zur Verfügung stellen. Nach den Gründen suchen Mediziner und Psychologen noch. Geschlechterrollen in Familie und Gesellschaft spielen offenbar eine Rolle.
Die Geschlechterverteilung bei Transplantationen insgesamt ist durch die europäische Vermittlungsstelle Eurotransplant exakt dokumentiert. Die gute Nachricht vorweg: Frauen haben diesem Register zufolge zumindest in Deutschland keine schlechteren Chancen, eine Spenderniere zu erhalten. Am 1. Januar 2012 standen hierzulande 7.919 Patienten auf der Warteliste für eine Niere, davon waren 63% Männer und 37 % Frauen [1]. 2.586 Personen haben eine Niere erhalten, auch davon waren 63 % Männer und 37 % Frauen.
Deutlich werden die Unterschiede aber, wenn man die Gruppe der Lebendspender untersucht: Von insgesamt 766 Nierenspendern in 2012 waren 58% weiblich. Für den Überhang sorgten vor allem die Partnerinnen (206 Personen) und Mütter (168) der Empfänger. Partner (109 Personen) und Väter (110) spendeten deutlich seltener. Bei weiteren Angehörigen wie Geschwistern, Onkel, Tanten, Nichten, Neffen oder Freunden gibt es dieses Missverhältnis nicht. Im Gegenteil: Hier sind teilweise die Männer engagierter (71 Brüder zu 66 Schwestern; 11 Onkel zu 9 Tanten, 6 Neffen zu 2 Nichten).
Bei Lebertransplantationen, lebend und postmortal, zeigt sich ein leichtes Missverhältnis der erfolgten Transplantationen: Obwohl im Jahr 2012 Frauen 40% der Warteliste ausmachten, stellten sie nur 37% der Empfänger. Allerdings ist ihre Chance auf eine Lebendspende besser: Hier sind 46% der Empfänger Frauen. Auf der Spenderseite ist das Verhältnis, anders als bei der Niere, ausgeglichen. Leberteile werden vorwiegend an eigene Kinder oder Eltern gespendet, und Väter und Söhne sind hier offenbar ebenso engagiert wie Mütter und Töchter.
Brauchen Männer einfach häufiger eine Niere?
Fakt ist also: Die Spendenlücke betrifft vor allem die Niere, sie zeigt sich zwischen Partnerinnen/Partnern und Müttern/Vätern, und sie lässt sich in den meisten Ländern feststellen [2]. Wie kann man sie nun erklären? Die erste Vermutung wäre, dass es sich nur um einen statistischen Effekt handelt: Männer benötigen häufiger eine Niere, daher spenden ihre Partnerinnen öfter. Das erklärt aber nicht die ganze Varianz: Partnerinnen spenden um 88% häufiger als Partner, der Bedarf von Empfängern ist aber laut Warteliste nur um 68% höher als der von Empfängerinnen.
Die zweite Hypothese ist, dass Männer zwar spenden wollen, aber eher aus medizinischen Gründen ausscheiden, etwa wegen Hypertonie oder koronarer Herzerkrankung. „Diese Vermutungen haben sich aber nicht bestätigen lassen. Männer und Frauen werden etwa gleich häufig ausgeschlossen“, sagt Dr. med. Neda Khalifeh, Internistin an der Medizinischen Universität Wien [2].
Also spielen psychologische und soziale Aspekte vermutlich eine Rolle. Prof. Dr. med Heide Sperschneider, Mitbegründerin und Kuratoriumsmitglied der Stiftung Lebendspende, hat in vielen Beratungsgesprächen erlebt, dass Männer häufiger Angst vor Schmerzen haben. „Auch ein möglicher Verdienstausfall besorgt sie mehr als Frauen.“ Dass die Operation an sich die Hürde ist, lässt auch eine Untersuchung der Harvard Medical School in Boston vermuten: Zur Zeit der offenen chirurgischen Nierenentnahme bestand auch dort ein Überhang der Frauen als Lebendspender. Seit der Einführung der schonenderen laparoskopischen Entnahme melden sich Männer genauso häufig.
Die Psychologin Merve Winter vermutet, dass der Grund für die Geschlechterlücke in einem größeren Altruismus von Frauen liegt [3]. Dieser zeige sich auch daran, dass mehr Frauen einen Organspendeausweis für postmortale Spenden haben als Männer.
Winter hat 42 Spender und Empfänger vor einer geplanten Lebendspende befragt und festgestellt: „Es ist nicht das Geschlecht allein, das die persönliche Einstellung zur Spende bestimmt. Die Identitätspositionen als Frau und Mutter/Ehefrau/Schwester wirken auf verschiedene Weise zusammen.“ Frauen melden sich offenbar schneller, wenn ein Organ gebraucht wird, noch ehe Männer die Gelegenheit dazu haben. Männer hingegen spendeten eher, wenn außer ihnen niemand in Frage kommt.
„Dafür ließen sie sich aber in solchen Situationen gerne als Helden anrufen.” Frauen war es wichtiger, durch die Organspende die Beziehung zum Empfänger zu gestalten. Winter plädiert zwar dafür, diese Dynamiken zu benennen. Die erhöhte Spendenbereitschaft von Frauen müsse aber akzeptiert werden: „Ein rigider medizinischer Paternalismus, der das Wohl des entscheidungsfähigen Patienten über dessen Selbstbestimmungrecht setzt, ist ethisch nicht zu rechtfertigen” [3].
Klischees treffen nicht die Wirklichkeit der Lebendspender
Sperschneider warnt vor stereotypen Zuschreibungen an Lebendspenderinnen und -Spender: „Mit pauschalen Deutungen wird man ihrer individuellen Lebenswirklichkeit und ihren Motiven nicht gerecht.“ Völlig unzutreffend sei beispielsweise das Klischee, dass Frauen von ihrer Familie zur Spende gedrängt werden oder sie sich nicht trauen, Nein zu sagen: „Wenn es solche Dynamiken gibt, werden sie in Deutschland durch die ausführliche Beratung vor einer Spende erkannt und ausgeschlossen.“
Wünschenswert sei aber, die Spendebereitschaft von Männern zu steigern: „Da ist sicher ein Potenzial, das heute nicht genutzt wird“, sagt Sperschneider. Das beste Mittel dazu sei eine umfassende Aufklärung, zum Beispiel über die geringen langfristigen Risiken einer Lebendspende.
Allerdings gibt es für Deutschland bislang keine Daten, die dokumentierten, wie sich der Zustand von Lebendspendern entwickelt, da nicht alle erfasst werden. „Wir bräuchten dringend ein verbindliches Register aller Lebendspenden in Deutschland“, sagt Sperschneider, „das würde helfen, die langfristige Versorgung der Spender zu verbessern und damit auch neuen Spendern Ängste zu nehmen.“
Iran: Männer spenden gegen Geld
Eine ganz eigene Art der Genderdifferenz zeigt sich offenbar dann, wenn Ökonomie im Spiel ist. Im Iran ist die Lebendspende gegen Bezahlung erlaubt und staatlich geregelt. 95% der Nierentransplantationen erfolgen dort nach Lebendspende [2]. Der Staat zahlt dem Spender etwa ein Jahreseinkommen, viele erhalten zusätzlich ein Geschenk vom Empfänger [3].
Unter solchen Umständen sind weitaus mehr Männer als Frauen dazu bereit: 80 bis 90% der nichtverwandten Lebendspender im Iran sind Männer. Ihr Hauptmotiv ist finanzielle Not, etwa durch Arbeitslosigkeit. Bei den verwandten Spendern ist das Geschlechterverhältnis hingegen ausgeglichen. Für junge iranische Frauen ist eine Spende sozial problematisch, weil es danach für die schwieriger ist, einen Partner zu finden.