Nur gucken! – Medienkonsum von Pornos und Co. verdirbt die Jugend nicht

Petra Plaum | 24. Mai 2013

Autoren und Interessenkonflikte

 

Dr. Gert Martin Hald
 

Wer explizit sexuelle Medieninhalte auf sich wirken lässt, probiert das Gesehene nur selten im richtigen Leben aus. Das legt jedenfalls eine neue Studie nahe, deren Inhalt Dr. Gert Martin Hald vom Department of Public Health der Universität Kopenhagen jetzt veröffentlicht hat [1]. Das Team um Hald fand bei 15- bis 25-Jährigen zwar einen Bezug zwischen der sexuellen Experimentierfreudigkeit im Alltag und dem Konsum von Pornovideos, Sexseiten im Internet und Co. Die Nutzung solcher Medien allein erklärt nach diesen Berechnungen jedoch nur 0,3 bis 4% der entsprechenden sexuellen Verhaltensweisen.

„Der Konsum dieser Medien schafft nichts Neues“, betont Hald gegenüber Medscape Deutschland, „er ist nur Öl, das man in ein bereits brennendes Feuer gießt – und dieses Feuer brennt nur bei einem kleinen Prozentsatz der Mediennutzer“. So liefere die Mediennutzung selbst bei einem jungen Menschen eher wenig Anhaltspunkte darüber, wie hoch etwa sein Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten ist. Wollten sie dieses genauer bestimmen, dann rät Hald den Ärzten, Eltern und Pädagogen eher nach dem Ausmaß an „Sexual Sensation Seeking“ zu fragen.

„Sexual Sensation Seeking“ – was bedeutet das?

 

Prof. Dr. Philipp Hammelstein
 

Sexual Sensation Seeking gilt als ein beim Menschen nachweisbares Persönlichkeitsmerkmal. In Deutschland beschäftigen sich bislang wenige damit – unter anderem Prof. Dr. Philipp Hammelstein, Leitender Psychologe der Christoph-Dornier-Klinik für Psychotherapie in Münster. Er betont gegenüber Medscape Deutschland: „Es ist ein spannendes Konzept, über das wir noch zu wenig wissen. Wenn die neue Studie dazu führt, dass sich das ändert und weitere Forschungen folgen, ist das sinnvoll.“

Die Sexual Sensation Seeking Scale orientiert sich an den Sensation Seeking Scales, die der US-amerikanische Psychologe Prof. Dr. Marvin Zuckerman in den 60-er und 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt hat [2]. Zuckerman definiert Sensation Seeking als ein Persönlichkeitsmerkmal, das sich im Bemühen um immer neue, intensive Empfindungen und Erfahrungen äußert: „Das Ziel des Sensation Seeking-Verhaltens ist es, die Stimulation eher zu steigern als zu verringern“, lautet seine Erklärung.

Um dies zu erreichen, nehmen Sensation-Seekers, z.B. was Freizeitaktivitäten und das Genussverhalten angeht, vielfältige Risiken in Kauf. Das Ausmaß des Sensation Seeking hängt von verschiedenen, zum Teil biologischen Faktoren ab [3]. Auf der Basis dieser Konzepte wurden Skalen entwickelt, die speziell die sexuelle Risikofreude von Menschen erfassen sollen – etwa, um deren HIV-Gefährdung voraussagen zu können [4, 5].

Hammelstein betont, dass „die Persönlichkeitsvariable Sexual Sensation Seeking für relativ stabil gehalten wird – es ist noch zu erforschen, inwiefern sie sich verändert und wie die Wechselwirkungen zwischen Sexual Sensation Seeking, Stimulation und Sexualverhalten sind.“

An Halds Studie beeindruckt Hammelstein die Größe: 4.600 junge Menschen aus den Niederlanden – 1.402 davon männlich, 3.198 weiblich – nahmen an Onlinebefragungen teil. Der Grad an Sexual Sensation Seeking war dabei nur ein Aspekt von vielen, die die Forscher zunächst ermittelten: Erfasst wurden Alter, Herkunft, Bildungsstand und vieles mehr. Auch mussten die Studienteilnehmer Angaben zum Verhältnis zu den Eltern (nach der Nijmegen Parenting Scale) machen, zu ihrer sozialen Integration und dazu, was sie von sexueller Nötigung halten (Attitudes Toward Dating Violence Scales).

Ein zentrales Studienziel war, Grad und Art der Nutzung sexuell expliziter Medieninhalte, kurz SEM, bei jungen Menschen zu bestimmen. Das zweite Ziel: Die Verbindung zwischen diesem Medienkonsum und dem tatsächlichen Verhalten der Interviewten sichtbar zu machen. Um das Sexualverhalten zu definieren, sammelten Hald und sein Team Informationen zu folgenden 3 Kategorien: Abenteuerlicher Sex, Partnererfahrung und transaktionaler Sex.

Viel Internetpornographie, wenig Sex für Geld

Zum Konsum explizit sexueller Medieninhalte bekannten sich viele der Befragten: 88,2% der Jungen und Männer, 44,8% der Mädchen und Frauen gaben an, in den letzten 12 Monaten SEM konsumiert zu haben. Die männlichen Studienteilnehmer sagten mehrheitlich, sie täten dies mehrmals pro Woche (25,6%) bzw. mehrmals pro Monat (30,4%) – bei den Mädchen und Frauen betonten hingegen 55,2%, sie hätten in den letzten 12 Monaten niemals SEM konsumiert. Favorit bei den SEM-Nutzern beiderlei Geschlechts: Das Internet. Von den Jungen und Männern nutzten 89,1% Onlineangebote, bei den Mädchen und Frauen 69,6%.

Wie aber prägt das die sexuellen Präferenzen junger Menschen? Hald und sein Team fragten zuerst nach der Kategorie Abenteuerlicher Sex. Hierfür musste jeder Studienteilnehmer angeben, ob er Erfahrung mit Sex zu dritt, Sex mit einem Menschen des eigenen Geschlechts oder Sex mit einem Partner, den er online kennengelernt hatte, mitbrachte. Die zweite Kategorie, Partnererfahrung, hinterfragte das Alter beim „ersten Mal“, die Menge der Sexualpartner bisher und Erfahrungen mit One-Night-Stands. Bei der letzten Kategorie, dem transaktionaler Sex, ging es darum, ob Geld oder geldwerte Dinge für Sex genommen oder ausgegeben wurden.

So viel SEM die Jugendlichen konsumierten, so wenig ausschweifend waren sie mehrheitlich im wahren Leben. „Erfahrung mit transaktionalen Sex hatten 2 bis 3 Prozent der Studienteilnehmer“, verriet Hald Medscape Deutschland. „Abenteuer-Erfahrungen gaben die Interviewten häufiger an: Zum Beispiel hatten 14% der Teilnehmer Sex mit einem gleichgeschlechtlichen Partner gehabt, 24% mit jemandem, den sie im Internet kennengelernt hatten und 12% waren in Sex zu dritt involviert gewesen.“

Was die Partnererfahrung anging, bekannte sich rund die Hälfte zum Gelegenheitssex, 11% berichteten von mehr als 10 Sexualpartnern – doch auch 32% von bislang nur einem Partner. Hald weist zudem darauf hin, dass diese Werte aufgrund der Auswahl der Befragten nicht repräsentativ für das Sexualleben junger Niederländer seien.

Was junge Menschen sexuell aktiv werden lässt

In statistischen Regressionsanalysen zeigte sich, dass auch andere Faktoren Einfluss auf die sexuelle Praxis der Jugendlichen haben. Verglichen mit Faktoren wie Beziehung zu den Eltern, Beziehungsstatus, Religiosität etc., beeinflusst der Grad des Sexual Sensation Seeking das Sexualverhalten junger Menschen auffallend stark, Frauen offenbar mehr als Männer: Die Assoziation zwischen Abenteuer-Sex und SEM-Konsum bei den Männern recht niedrig, bei den Frauen aber etwas höher.

Bei der Partnererfahrung spielt vor allem ein höheres Alter eine Rolle: Je älter die Befragten, desto mehr Erfahrungen hatten sie. Doch es fiel auch eine starke Verbindung zwischen der Partnererfahrung einerseits und Sexual Sensation Seeking andererseits auf. Insgesamt fand sich bei den Frauen eine signifikante Assoziation zwischen SEM-Konsum und Partnererfahrung, bei Männern nicht.
Was den transaktionalen Sex angeht, fanden Hald und sein Team, dass es eine starke Assoziation mit der Einstellung zu sexueller Nötigung gibt. Sexual Sensation Seeking und die Erfahrung mit Transaktionalem Sex waren ebenfalls signifikant miteinander verbunden.

Insgesamt spielten jedoch die kovarianten Faktoren eine große Rolle. Hald schreibt in seinem Artikel schlussfolgernd: „Diese Studie ist ein wichtiger Forschungsbeitrag  zum SEM-Konsum und seiner Assoziation mit Sexualverhalten und Risiko. Sie zeigt, dass dann, wenn relevante Einflussfaktoren mitkontrolliert werden, die Häufigkeit des SEM-Konsums nur für einen kleinen Teil der Varianz in einer großen Bandbreite von sexuellen Verhaltensweisen junger Menschen verantwortlich sein dürfte.“

Hammelsteins Kommentar zu den Ergebnissen: „Es ist begrüßenswert, dass erneut klar wurde, dass der Zusammenhang zwischen Pornokonsum und Sexualverhalten stark abgepuffert wird." Er bedauert, dass Halds Studie Begrenzungen habe – „die jetzt präsentierten Daten sind ein reiner Querschnitt“.

Auch könnte es zwischen Sexual Sensation Seeking, SEM-Konsum und Verhalten stärkere Wechselwirkungen geben als bislang erforscht. Hammelstein interessiert zudem: „Wie verändert dieser Medienkonsum das Sexual Script im Kopf eines Menschen? Welche anderen Faktoren, wie ein Gefühl innerer Leere, spielen ebenfalls mit?“ Er hofft, dass Halds Untersuchungen weitere Studien folgen, die hierzu Antworten liefern.

Referenzen

Referenzen

  1. Hald GM, et al: JSM (online) 26. April 2013
    http://dx.doi.org/10.1111/jsm.12157
  2. Zuckerman M: Behavioral Expressions and Biosocial Bases of Sensation Seeking. Cambridge Univ Press, 1994.
  3. Zuckerman M, et al: J Consult Clin Psych 1978;46(1):139-149
    http://dx.doi.org/10.1037/0022-006X.46.1.139
  4. Kalichman SC, et al.: J Pers Assess 1994;62(3):385-397
    http://dx.doi.org/10.1207/s15327752jpa6203_1
  5. Kalichman SC, et al: J Pers Assess 1995;65(3):586-601
    http://dx.doi.org/10.1207/s15327752jpa6503_16

Autoren und Interessenkonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

GM Hald, P Hammelstein: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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