In Deutschland sterben laut Leitlinie weniger als ein Fünftel der erkrankten Männer am Prostatakarzinom. Insgesamt wird die Prognose dieses Tumors heute als relativ günstig eingeordnet. Sowohl Chirurg als auch Strahlentherapeut können heute in bestimmten Stadien gleichwertig eine kurative Therapie anbieten – mit dem Ziel der Heilung. Aber wann sollte welcher Weg gewählt werden?

Anlässlich der 19. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) in Berlin sprach Medscape Deutschland mit Prof. Dr. Franz-Josef Prott, Strahlentherapeut in Wiesbaden und Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Strahlentherapeuten e.V., und mit Prof. Dr. Klaus Kleinschmidt, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden.
Medscape Deutschland: Im kompetitiven Wettstreit zur Operation ist die Strahlentherapie heute eine gleichwertige Behandlungsmethode des malignen Prostatakarzinoms im frühen und mittleren Stadium. Belegt ist dies durch viele Studien und klar formuliert in der 2011 aktualisierten S3-Leitlinie. Warum sind niedergelassene Urologen offenbar nach wie vor OP-affin?
Prof. Prott: Es drängt sich der Verdacht auf, dass insbesondere viele ältere Urologen diesen neuen Daten noch nicht ausreichend glauben und weiterhin der festen Überzeugung sind, dass nur eine radikale Prostatektomie eine Tumorheilung herbeiführen kann. Viele sind auch noch geprägt von den schlechten Erfahrungen mit den Strahlennebenwirkungen, die man bis in die Achtzigerjahre hinein kannte, die heute aber nicht mehr üblich sind.
Prof. Kleinschmidt: Niedergelassene Urologen machen seit vielen Jahren bei ihren Patienten gute Erfahrungen mit der Radikalen Prostatektomie, insbesondere mit der nervenerhaltenden Radikalen Prostatektomie. Die Urologen voreingenommen als „OP-affin“ zu bezeichnen, ist ganz sicher unzutreffend. Mit den heute zur Verfügung stehenden Operationstechniken lassen sich gerade beim niedrig malignen Karzinom mit guter Prognose exzellente Heilungsraten erzielen, mit guter Lebensqualität in Bezug auf Harnkontinenz und Erhalt der Potenz.
Medscape Deutschland: Nicht jeder Patient benötigt eine radikale Therapie. Welche Kriterien sind für die Entscheidungsfindung Prostatektomie oder Radiotherapie maßgeblich?

Prof. Prott: Am Anfang steht zunächst der Wunsch oder Wille des Patienten. Viele Patienten sind der Meinung, dass sie den Krebs los sind, wenn der aus ihrem Körper operiert worden ist. Das vermittelt ihnen ein psychisch besseres Gefühl. Der Arzt muss dann in folgender Richtung denken: Einem Patienten unter 65 Jahren, ohne wesentliche Komorbiditäten, kann man durchaus zur Operation bei einem erfahrenen Operateur raten. Er sollte danach wieder kontinent werden bzw. bleiben und es sollte die Erektionsfähigkeit erhalten bleiben.
Eher für eine Operation könnte auch sprechen, dass der Patient noch 25 Jahre leben kann und dass uns Strahlentherapeuten die Langzeitergebnisse bisher fehlen, also Daten zum Überleben einer Radiotherapie von mehr als 20 Jahren, weil es die ausgefeilten Techniken mit den hohen Strahlendosen so lange noch nicht gibt.
Einem Patienten älter als 70 Jahre sollte auf keinen Fall mehr eine OP empfohlen werden. Zum einen wegen der Komorbiditäten, zum anderen ist das Risiko der Inkontinenz um etwa das Doppelte erhöht. Dieser Patient ist mit einer Präzisionsbestrahlung wesentlich besser behandelt, er erreicht seinen prätherapeutischen Allgemeinzustand sicherer und schneller wieder als nach einer Operation.
Prof. Kleinschmidt: Wichtig für die Frage Prostatektomie oder Radiotherapie sind seine verbleibende Lebenserwartung, sein Allgemeinzustand und seine bereits bestehenden Begleiterkrankungen. Beim mittel- und hochgradig malignen Karzinom bestehen klare Vorteile für die Radikale Prostatektomie mit ihrer Möglichzeit zur gleichzeitigen Entfernung der Beckenlymphknoten.
Die aktuell gültige Interdisziplinäre S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom unter Mitwirkung der DEGRO ist von hoher wissenschaftlicher Qualität und gibt eine Lebenserwartung von mindestens 10 Jahren an, um einem Patienten zur Radikaloperation raten zu können. Wir alle wissen, dass dies heute bei einem 70-jährigen Patienten durchaus der Fall sein kann.
Es ist also nicht das zahlenmäßige, sondern das biologische Alter eines Patienten für die Indikationsstellung ausschlaggebend. Dies muss durch den behandelnden Arzt eingeschätzt werden. Einem Patienten mit vielen Begleiterkrankungen wird eher zur Strahlentherapie geraten.
Medscape Deutschland: Wie bewerten Sie die „Active Surveillance“, die ja auch eine Kernfrage der PREFERE-Studie ist und an der Sie als Prüfärzte bzw. -zentren teilnehmen?
Prof. Prott: Richtig durchgeführt, halte ich dies beim niedrig malignen Karzinom für eine ganz wichtige Option. Der Patient muss sich regelmäßig kontrollieren lassen und auch Re-Biopsien zustimmen. Nur wenn es keine Hinweise auf eine Progression gibt, kann er in der Active Surveillance verbleiben. Im Rahmen der Studie kann mit dieser Strategie endlich die Behauptung entkräftet werden, es würden viele Männer mit niedrig malignem Tumor zu früh und zu ausgiebig therapiert werden – eventuell kann sie aber auch bewiesen werden.
Prof. Kleinschmidt: Die Active Surveillance ist eine sehr junge Strategie, mit der bislang noch verhältnismäßig wenig Erfahrung vorliegt. Da das Prostatakarzinom in der Regel beim älteren Patienten auftritt, der eben eine begrenzte Lebenserwartung hat oder bei dem der Tumor teilweise bereits in sehr frühem Stadium entdeckt wird und nur langsam wächst, wird die Active Surveillance zu Recht und auf hohem Niveau prospektiv in der PREFERE-Studie überprüft. Wesentliche Voraussetzung für diese Option ist jedoch die Verlässlichkeit des Patienten, dass er auch alle erforderlichen Kontrolluntersuchungen und Kontrollbiopsien wahrnimmt.
Medscape Deutschland: Wann können sich die beiden Optionen – Strahlentherapie und Chirurgie – in Form der intermittierenden Therapie ergänzen?
Prof. Prott: Auch diese klassische Möglichkeit besteht – und zwar leider dann, wenn die Indikation zur Operation nicht richtig gewählt worden ist. Wenn das Karzinom für eine Operation zu groß war und postoperativ festgestellt wurde, dass es bereits über die Kapsel der Prostata ins umgebende Fettgewebe infiltriert war, (Stadium T3) oder aber wenn der Chirurg den Tumor nicht komplett entfernen konnte. Bei Resttumoren im Resektonsstatus R1/R2 sollte immer eine Nachbestrahlung erfolgen. Obligat ist sie nach einer R1-/R2-Resektion, fakultativ nach Fettgewebsinfiltration. Die Radiologen empfehlen sie in beiden Fällen mit einer Dosis von etwa 66-74 Gy, während die primäre Strahlentherapie Dosen von etwa 80 Gy vorsieht.
Prof. Kleinschmidt: Man darf heute davon ausgehen, dass in Deutschland die Indikation zur Operation nach den aktuellen Leitlinien richtig gestellt wird. Nur die Operation ermöglicht die histologische Beurteilung der gesamten Prostata einschließlich der umgebenden Lymphknoten. Dies ist ohne Zweifel ein Vorteil der Radikaloperation gegenüber der Strahlentherapie. Sollte es sich hier zeigen, dass ein bereits organüberschreitendes Tumorstadium T3 vorliegt oder der Tumorrand bis an die Präparatgrenze reicht (R1), dann ist die Strahlentherapie eine ideale Ergänzung zur Operation, um trotz eines lokal fortgeschrittenen Stadiums eine Heilung zu ermöglichen.
Medscape Deutschland: Kann man sagen, dass die Möglichkeiten der Operation überschätzt werden?
Prof. Prott: Ich denke, dies ist ganz klar der Fall – insbesondere dann, wenn Patienten operiert werden, deren Tumor nicht im Gesunden entfernt werden kann und der Resttumor mit einer R1-Resektion noch nahezu die gleiche Strahlentherapiedosis erhalten muss als wäre er primär bestrahlt worden – jetzt allerdings mit schlechteren Aussichten auf einen Heilungserfolg.
Prof. Kleinschmidt: Die Radikale Prostatektomie hat in den letzten 20 Jahren einen Siegeslauf vollzogen, was sicherlich durch die ehemalige Schwäche der Strahlentherapie mit bedingt war. Ich denke nicht, dass die Möglichkeiten der Operation von den behandelnden Hausärzten und Urologen oder von den Patienten überschätzt werden. In den letzten Jahren hat jedoch auch die Strahlentherapie deutliche Fortschritte erzielt, was Heilungsraten und Komplikationen beziehungsweise Nebenwirkungen betrifft. Dies wird möglicherweise derzeit noch unterschätzt und sollte in vergleichenden prospektiven Studien mit der Radikalen Prostatektomie überprüft werden.
Medscape Deutschland: Das Auftreten von Metastasen geht dem Tod am Tumor um etwa 2 bis 3 Jahre voraus. Muss es soweit kommen? Wenn ja, was ist dann schiefgelaufen?
Prof. Prott: Das lokal begrenzte Prostatakarzinom kann zu 70% geheilt werden, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei über 80%, jedoch nur etwa bei 30%, wenn das Karzinom Fernmetastasen gebildet hat. Die Prognose ist insgesamt als relativ günstig einzuordnen.
Schiefgelaufen ist meist wahrscheinlich etwas auf beiden Seiten, sowohl beim behandelnden Arzt als auch beim Patienten. Jeder Mann ab 50 Jahre sollte seinen PSA-Wert kennen und regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Prostatakarzinom erst im fortgeschrittenen metastasierten Zustand erkannt wird, sehr gering. Die Ärzte wiederum sollten bei einem Patienten mit deutlich erhöhtem PSA-Wert rechtzeitig einen bioptischen Ausschluss eines Karzinoms herbeiführen und dem Patienten dringend zu diesem wenig invasiven Eingriff raten.
Prof. Kleinschmidt: Es ist das gemeinsame Ziel von Urologen und Strahlentherapeuten, Patienten mit Prostatakarzinom zu heilen. Da es sich um eine bösartige Erkrankung handelt, ist dies naturgemäß nicht in jedem Fall möglich. Eine Schuldzuweisung an den Patienten oder an den ihn behandelnden Arzt halte ich nicht für gerechtfertigt.
Alle Ärzte, die das Prostatakarzinom behandeln, sind derzeit bemüht, die Patienten, die durch das Karzinom sterben könnten, so rechtzeitig zu diagnostizieren und zu therapieren, dass ein Fortschreiten der Erkrankung mit Metastasen verhindert werden kann. Erfreulich ist jedoch, dass auch bei fortgeschrittener Erkrankung und bei Metastasen noch gute Möglichkeiten durch eine antihormonelle Therapie und eine gut verträgliche Chemotherapie existieren.
Medscape Deutschland: Was konnten Urologen lernen, wenn sie sich auf der DEGRO-Jahrestagung die Sitzung zum PCA angehört haben?
Prof. Prott: Ich denke, sie konnten vor allen Dingen hören, dass dem Patienten heute beide Möglichkeiten anzubieten sind, wobei dem älteren Patienten eher zur konservativen Strahlentherapie geraten wird. Desweiteren konnten die Urologen erfahren, dass eine Prostata-Strahlentherapie heute keine Methode mehr mit schweren Nebenwirkungen ist. Insbesondere lebenslange Blasen- und Darmbeschwerden treten nicht mehr auf, der Patient hat keine wesentlichen Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit.
Prof. Kleinschmidt: Die Strahlentherapie genießt ohne Zweifel unter den Urologen eine hohe Wertschätzung. Die Fortschritte auch für das Prostatakarzinom werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Der wissenschaftliche Wettstreit dient dem Fortschritt und in seinem Ergebnis dem einzelnen Patienten. Urologen und Strahlentherapeuten sind heute gerade beim Prostatakarzinom eng verbundene Kooperationspartner, die sich nicht nur fachlich sehr gut verstehen, sondern oft auch persönlich. Dies gilt ganz sicher für Herrn Kollegen Prott und mich.
Herr Professor Prott, Herr Professor Kleinschmidt, sehr herzlichen Dank für das Gespräch.
