Auf den Hund gekommen: Neuer Ansatz, das FSME-Risiko zu bestimmen

Ute Eppinger | 15. Mai 2013

Autoren und Interessenskonflikte

 

Prof. Dr. Martin Pfeffer
 

Jedes Jahr werden in Deutschland zwischen 200 und 550 Neuerkrankungen der hauptsächlich durch Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) gemeldet [1]. Lähmungen, Atemschwäche und Sprechstörungen sind nur einige mögliche Spätschäden der Erkrankung, die auch tödlich verlaufen kann. Prof. Dr. Martin Pfeffer, Epidemiologe und Virologe am Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, erforscht das FSME-Virus. Vor kurzem ist seine FSME-Hundestudie angelaufen.

Die Zahl der infizierten Zecken in einem Gebiet sage nichts über das FSME-Risiko für Menschen aus. Das Infektionsrisiko ist nach Meinung Pfeffers eher durch bei Hunden – dem Bindeglied zwischen Mensch und Wildtieren –  nachgewiesene Antikörper zu bestimmen. Die Forscher untersuchen daher das Blut möglichst vieler Hunde in Sachsen. Die Auswertungen sollen im Frühjahr 2014 abgeschlossen sein.
Medscape Deutschland: Wie kamen Sie auf die Idee, eine Hundestudie zu FSME durchzuführen?

Prof. Pfeffer: Zum FSME-Virus gibt es ja einige Ungereimtheiten. Das beginnt mit der ungleichen Verteilung: 90% der Fälle treten in Bayern, Baden-Württemberg und Südhessen auf. In anderen Gebieten tritt FSME dagegen nur sporadisch auf. Epidemiologisch betrachtet ergibt das aber wenig Sinn.

Für eine Studie in Südhessen vor einigen Jahren hatten wir tausende Zecken gesammelt und festgestellt: Obwohl in demselben Untersuchungszeitraum FSME-Fälle gemeldet wurden, haben wir das Virus in fast 9000 gesammelten Zecken nicht nachweisen können. Nur ein sehr kleiner Bruchteil der Zecken scheint das FSME-Virus in sich zu tragen, was es entsprechend schwer macht, es zu finden.

In einer weiteren Studie in Sachsen hatten wir untersucht, wie häufig Wildtiere, die ja die Wirtstiere der Zecken sind, mit dem Virus infiziert sind. Wir haben spezifische Antikörper im zweistelligen Bereich gefunden. Der Hund stellt nun das Bindeglied zwischen Wildtier und Mensch dar, Hunde sind nah am Menschen dran, sie gehen mit ihrem Herrchen oder Frauchen raus in die Natur, der Hund bringt Zecken mit nach Hause, die genauso aber auch am Menschen sitzen könnten. Besitzen Hunde Antikörper gegen FSME-Viren, können wir Rückschlüsse auf das Infektionsrisiko für den Menschen ziehen.

Medscape Deutschland: Wie viele Hunde haben Sie schon getestet, und was haben Sie herausgefunden?

Prof. Pfeffer: Zirka 200 Hunde konnten wir bislang untersuchen. Die Studie läuft ein wenig zäh an, ich hatte mir stärkere Mitwirkung erhofft. Bei den getesteten Blutproben liegt eine Antikörper-Prävalenz von knapp 3% vor, erwartet hatte ich eine Prävalenz von 1 bis 2%.

Medscape Deutschland: Aufgrund der wenigen humanen Fälle?

Medscape Deutschland: Wie lässt sich denn vom Hund auf den Besitzer schließen?

Prof. Pfeffer: Direkt vom einen auf den anderen schließen, kann man natürlich nicht. Es ist auch nicht so, dass Hundebesitzer eine Risikogruppe darstellen. Aber: Beide, Hundehalter und Hund, sind draußen den gleichen Umweltbedingungen und auch Risiken ausgesetzt. Die Hundedaten vergleichen wir dann mit den Daten von Mensch und Wildtier, um den genauen FSME-Status nachzuvollziehen.

Medscape Deutschland: Und wie könnte ein aus den Daten der Hundestudie entstehendes Risikomodell für den Menschen aussehen?

Prof. Pfeffer: Das ist schwierig zu beantworten. Wo die Seroprävalenz von Wildtieren höher ist, liegen auch mehr humane FSME-Fälle vor. Eine Korrelation gibt es also auf jeden Fall. Im Landkreis Meißen liegt die Seroprävalenz bei Wildtieren im zweistelligen Bereich. Noch sind es zu wenige Proben in der aktuellen Studie, um zu sehen, ob sich das auch für die Hunde bestätigt.

Medscape Deutschland: Wie verbreitet ist FSME?

Prof. Pfeffer: Die Inzidenz der FSME-Erkrankungen in den FSME-Risikogebieten schwankt  zwischen einem Fall und 40 Fällen pro 100.000 Einwohner im Mittel der letzten 5 Jahre. Wie hoch das Risiko ist, errechnet das Robert Koch-Institut jährlich basierend auf den gemeldeten Fällen und weist infolgedessen die FSME-Risikogebiete aus.

Medscape Deutschland: FSME kommt ja auch in Gebieten vor, die laut RKI nicht als Risikogebiete gelten – was weiß man denn bislang darüber?

Prof. Pfeffer: Der Statistik zufolge haben wir Gebiete, in denen FSME nicht vorkommt und andere Gebiete mit sporadischen Erkrankungsfällen. Wissenschaftlich ist das nicht einfach zu erklären. Wir wissen nicht, was den Unterschied zwischen einem Hochrisikogebiet wie Bayern und beispielsweise Thüringen oder Sachsen ausmacht: die Vegetation, das Klima? – Da haben wir keine Unterschiede gefunden.

Bekannt ist aus Russland, dass das Virus sich als Folge des Klimawandels nach Norden verbreitet, eine Expansion nach Süden ist nicht zu erwarten, denn die Zecke hält zwar Hitze, aber keine Trockenheit aus.

Medscape Deutschland: Wiegt man sich in falscher Sicherheit, wenn man sagt – hier ist ja kein Risikogebiet?

Prof. Pfeffer: Was ein Risikogebiet oder Endemiegebiet ist und was nicht, das ist ein strittiges Thema. Der Humanmediziner macht das an gemeldeten und gezählten FSME-Fällen fest. Ich als Virologe sage, ein FSME-Risikogebiet ist für mich da, wo das Virus vorkommt.

Derzeit erfolgt die Risikoeinschätzung bei der von Zecken übertragenen FSME auf Grundlage der Erkrankungsfälle beim Menschen. Das Problem ist, dass das nichts darüber aussagt, ob dort die Zahl der Zecken mit FSME-Viren besonders hoch ist. Aber es ist auch klar, dass Ärzte sagen müssen: Aufgrund von Wildtier- oder Zeckendaten kann ich keine Impfempfehlung geben.

Medscape Deutschland: Wann führt denn eine Infektion überhaupt zur Erkrankung?

Prof. Pfeffer: Das ist sehr schwer zu beantworten, da man hierzu die Häufigkeit des Virus in Zecken mit der Häufigkeit von Infektionen beim Menschen, gemessen an einer serologischen Reaktion, und der Häufigkeit von Erkrankungsfällen beim Menschen vergleichen müsste, und diese Zahlen existieren leider nicht. Man geht aber derzeit davon aus, dass ca. 90% der Stiche ohne Folgen bleiben und es nur in etwa 10% der Fälle zu einer Infektion kommt, die mit Symptomen verbunden ist. Nicht klar ist, ob hier nicht ausreichende Mengen an Viren übertragen werden, oder ob es sich um Viren mit geringer krankmachender Aktivität handelt.

Diese Schätzungen basieren auf der Annahme, dass die meisten Infektionen symptomlos verlaufen. Manche werden nicht erkannt, vielleicht für eine Migräne oder eine Sommergrippe gehalten. Bei bis zu einem Drittel der Infizierten, die Fieber und weitere unspezifische Symptome zeigen, kommt es im weiteren Verlauf zu einer Beteiligung des zentralen Nervensystems und den Symptomen einer Frühsommer-Meningoenzephalitis.

Medscape Deutschland: Zu welchem Prozentsatz sind Zecken mit dem FSME-Virus infiziert?

Prof. Pfeffer: Das ist abhängig von der Untersuchungsmethode. Studien früher hatten recht hohe Prävalenzen ermittelt, das war aber sehr wahrscheinlich der verwendeten nested-PCR-Methode geschuldet. Heute liegen die Prävalenzen in Bayern, Baden-Württemberg und Südhessen nicht über 1%. Oft ist es so, dass man ein Gebiet hat, vielleicht 2 Fußballfelder groß, da finden Sie 2 FSME-infizierte Zecken. Direkt daneben im Gebiet, das gleich groß ist, über mehrere Jahre hinweg keine infizierten Zecken. Da wäre schon wichtig zu wissen, inwieweit eine solche Verteilung Einfluss darauf hat, wie sich Menschen infizieren.

Medscape Deutschland: Wird die Gefahr einer FSME-Übertragung Ihrer Meinung nach unterschätzt? Auch von Ärzten?

Prof. Pfeffer: So weit würde ich nicht gehen, vielleicht ist es eher so, dass Patienten nicht umfassend genug beraten werden, weil für Gespräche eben immer weniger Zeit bleibt. Wichtig wäre auch, die Leute über Reiserisiken zu beraten, viele FSME-Fälle werden in Österreich erworben. Die Impfrate in Österreich liegt bei 90%, bei uns liegt sie bei 20%. In Österreich ist FSME weit verbreitet und häufig, an humanen Fällen werden aber nur ca. 50 pro Jahr bekannt, weil sich so viele Menschen in Österreich impfen lassen.

Medscape Deutschland: Für wie sinnvoll halten Sie die FSME-Impfung?

Prof. Pfeffer: Für sehr sinnvoll: Sie ist sicher, gut verträglich und wirksam.

Medscape Deutschland: Sind Sie selbst geimpft?

Prof. Pfeffer: Ja, klar, selbstverständlich.

Medscape Deutschland: Welchen Zeckenschutz empfehlen Sie?

Prof. Pfeffer: Wenn man draußen unterwegs ist: lange Hosen, Socken und Schuhe und dann die Hosen in die Socken stopfen und auch gegebenenfalls dicht abkleben. Wenn man in Gebieten unterwegs ist, in denen es viele Zecken gibt, helle Hosen tragen, dann sieht man sie an den Hosenbeinen hoch krabbeln und kann sie entfernen. Man sollte möglichst auch den Stoff imprägnieren, das schützt nicht nur vor Zecken, sondern auch vor anderen lästigen Gliedertieren. Ansonsten gilt natürlich: sich nach Zecken absuchen und die so früh wie möglich entfernen. Und bezüglich der FSME: sich impfen lassen!

Medscape Deutschland: Herr Prof. Pfeffer, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.

Die Karte zeigt die FSME-Inzidenz in Deutschland, Stand: 3. Mai 2013.
Die Inzidenz wird an den humanen Krankheitsfällen festgemacht, sie sagt aber nichts über die tatsächliche Verbreitung des FSME-Virus aus.
Quelle: Robert Koch-Institut Berlin

Referenzen

Referenzen

  1. Aktueller Datenbeststand des Robert Koch-Institut zu FSME:
    http://www3.rki.de/SurvStat/

Autoren und Interessenskonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Pfeffer M: Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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