Die Strahlentherapie des Prostatakarzinoms erhält Bestnoten – aber zu selten eine Chance

Andrea S. Klahre | 7. Mai 2013

Autoren und Interessenskonflikte

 

Prof. Dr. Franz-Josef Prott
 

Soll man das Prostatakarzinom (PCA) besser operieren oder bestrahlen? Für Prof. Dr. Franz-Josef Prott, Strahlentherapeut in Wiesbaden und Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Strahlentherapeuten e.V., stellt sich diese Frage nicht mehr: „Alle großen internationalen Studien sehen bei den Patienten mit kurativer Behandlungsintention keine Unterschiede mehr zwischen der Chirurgie und der modernen Radiotherapie“, sagt er im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Konsens ist, dass die Heilungsraten für das Niedrigrisiko-PCA bei 80-90% liegen, unabhängig davon, ob extern (perkutane Radiotherapie) oder intern (HDR-Brachytherapie bzw. permanente Seedimplantation) bestrahlt oder radikal prostatektomiert wird.

Nennenswert sind die Unterschiede laut Prott allerdings bei den Komplikationen und somit im Hinblick auf die Lebensqualität. „Wir verzeichnen inzwischen signifikant seltener Nebenwirkungen. Unstillbare, blutige Durchfälle oder aber quälende Blasenreizungen erleben wir praktisch überhaupt nicht mehr. Bei Defäkationsschmerzen, die länger als zwei, drei Tage dauern, fragen wir uns sogar, ob wir etwas falsch gemacht haben.“

Klare Vorteile innerhalb der ersten 5 Jahre

 
„Es ist aus meiner Sicht völlig unannehmbar, dass mindestens 50 Prozent der Patienten nach dem Erstkontakt mit dem Urologen sofort einem operativen Urologen zugewiesen werden und dieser dann radikal prostatektomiert, ohne dass der Patient auch nur einmal erfahren hat, dass er genauso gut strahlentherapeutisch hätte behandelt werden können.“
Prof. Dr. Franz-Josef Prott
 

Die kürzlich im NEJM veröffentlichten Resultate der amerikanischen Prostate Cancer Outcomes Study geben dem Radioonkologen Recht: Als eine der raren direkten Vergleichsstudien hat sie die Langzeitfolgen der Prostatektomie vs. Radiotherapie (hier: perkutan) bei 1.655 von initial 3.533 Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom ausgewertet und die Überlegenheit der Strahlentherapie (n=491) bezüglich der Harn-, Darm- und Sexualfunktion zumindest während der ersten 5 Jahre nachweisen können [1].

Erst nach 15 Jahren war die Lebensqualität der operierten Männer (n=1.164) auf vergleichbarem Niveau – wenngleich der Anteil der Operierten, die Kontinenzeinlagen tragen mussten, auch dann noch immer mehr als doppelt so hoch war wie bei den strahlentherapierten Patienten. Die Zahl der Männer, die postoperativ nach 2 und 5 Jahren über Impotenz klagten, war in der Prostatektomie-Gruppe ebenfalls höher – und dies, obwohl die Männer aus der Radiotherapie-Gruppe im Mittel 5 Jahre älter waren. Die Angleichung nach 15 Jahren wird vor allem als Folge des nunmehr hohen Alters gewertet: Mancher Studienteilnehmer ist inzwischen nahezu 90, eine erektile Dysfunktion in der einen wie der anderen Gruppe wird nicht mehr als problematisch erachtet.

„Die Studie zeigt, dass insbesondere ältere Patienten, die bislang keine Probleme mit Kontinenz, Potenz und Darmfunktion hatten, von der Strahlentherapie profitieren“, kommentiert Prof. Dr. Jürgen Dunst, Direktor der Klinik für Strahlentherapie an der Universität zu Lübeck und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), das Ergebnis [2]. „Innerhalb der ersten Jahre haben sie deutliche Vorteile gegenüber operierten Patienten und danach keine wesentlichen Nachteile.“

Zur diesjährigen 19. Jahrestagung der DEGRO, die vom 9. bis 12. Mai unter dem Motto „Radioonkologie im Wandel“ in Berlin stattfindet, machen diese Ergebnisse deutlich, dass das kleine wissenschaftliche Fach der nicht-invasiven Radiotherapie aufgrund der rasanten technologischen und biophysikalischen Grundlagenentwicklung in den letzten Jahren wie kaum eine andere medizinische Fachdisziplin immer raschere Innovationszyklen durchlebt.

Während noch vor etwa 10 Jahren bei den herkömmlichen Techniken die Photonen innerhalb eines Bestrahlungsfeldes homogen abgegeben wurden, kann der Radiologe heutzutage unter einer Reihe von Strahlenarten wählen und die Intensität nahezu beliebig variieren, schreibt die Fachgesellschaft im Vorfeld des Kongresses. Insgesamt ist die Strahlendosis wesentlich niedriger geworden, die Bestrahlung wird exakt geplant und mittels High Technology vorgenommen, die Belastung innerer Organe ist gering.

Das Maß der Dinge sind die bildgeführten intensitätsmodulierten Techniken

Das Maß der Dinge zumindest beim niedrig malignen Tumor der Prostata sind die intensitätsmodulierten Techniken (Intensity-modulated Radiotherapy, IMRT), die eingesetzt werden, wenn neben dem Tumor in kurzer Distanz wichtige, kritische und strahlensensible Organe lokalisiert sind, sowie die bildgeführte Radiotherapie (Image-guided Radiotherapy, IGRT) zur exakten Ortung des Tumorherdes. In jedem Fall geht es um eine optimal angepasste Strahlendosis auf das Zielgebiet bei größtmöglicher Schonung der gesunden Umgebung. Künftig können Hoch-Präzisionsbestrahlungen schon bei der Therapieplanung die Atembewegung berücksichtigen.

Die Wahl der Therapie wird jedoch nicht nur von der Art und Ausdehnung und damit von den jeweiligen Prognosefaktoren des diagnostizierten Tumors bestimmt, „sondern auch vom Alter des Patienten, von dessen Komorbiditäten und prätherapeutischem Allgemeinzustand. Schließlich spielen auch die persönlichen Präferenzen des Patienten eine wesentliche Rolle, vorausgesetzt, er wurde über die verfügbaren Optionen aufgeklärt“, so Prott.

So ist neben den intermittierenden Therapien die Active Surveillance z. B. dann denkbar, wenn insignifikante oder noch insignifikante Tumoren als solche identifiziert werden. Hier kann eine regelmäßige aktive Beobachtung eine potenziell gleichwertige Option darstellen. Diese ermöglicht es dem Behandler, in der gebotenen zeitlichen Ruhe dem Patienten die Angst und Ungewissheit zu nehmen und ihn der individuell besten Behandlung zuzuführen. Derzeit gehen gleich 2 deutsche Studien der Frage nach, ob diese Strategie in frühen Stadien besser ist als die sofortige Therapie: HAROW wird dieses Jahr abgeschlossen, PREFERE ist gerade gestartet.

Die Fronten sind noch nicht geklärt

All dies birgt Zündstoff für eine seit Jahren kontrovers geführte Diskussion zwischen Urologen, Strahlentherapeuten und Onkologen. Bis heute herrscht weder Einigkeit über die optimale Therapie, noch sind die Fronten bei der Früherkennung, Frühdiagnose und Frühbehandlung geklärt. Daran hat scheinbar auch die S3-Leitlinie wenig geändert, wenngleich sie 2009 u. a. mit den Worten implementiert worden war, sie biete den Kollegen in der Praxis die seit langem erwartete Orientierung.

Laut Prott, der einer der teilnehmenden Ärzte an der PREFERE-Studie ist, findet die in der Leitlinie als ausdrücklich wünschenswert erachtete doppelte Aufklärung des Patienten zu beiden lokalen Therapieverfahren in der Realität leider nicht statt. „Es ist aus meiner Sicht völlig unannehmbar, dass mindestens 50 Prozent der Patienten nach dem Erstkontakt mit dem Urologen sofort einem operativen Urologen zugewiesen werden und dieser dann radikal prostatektomiert, ohne dass der Patient auch nur einmal erfahren hat, dass er genauso gut strahlentherapeutisch hätte behandelt werden können.“

Stattdessen werde er erst abhängig vom Operationsergebnis einem Radiologen vorgestellt. „Mir sitzt mindestens dreimal pro Woche ein Patient gegenüber, der nicht komplett im Gesunden operiert wurde, der auch schon mal älter als 70 ist und der nichts von der Radiotherapie als ernstzunehmender Alternative weiß“, moniert der Experte. „Einem Mann deutlich über 65 sollte auf keinen Fall mehr eine OP empfohlen werden. Hier ist das Inkontinenzrisiko um etwa das Doppelte höher als bei einem jüngeren Patienten.“

Große Lücke zwischen gewünschter und gelebter Interdisziplinarität

In jeder urologischen Praxis in Deutschland werden im Verlauf eines Jahres etwa 20 Prostatakarzinome neu diagnostiziert. Anders als bei anderen Tumorentitäten, die im Rahmen einer stationären Behandlung entdeckt werden, ist es Aufgabe der niedergelassenen Urologen, sich in besonderer Weise der Entdeckung und Therapie des PCA anzunehmen.

Wie groß die Lücke zwischen gewünschter und gelebter Interdisziplinarität tatsächlich ist, hat die IBuTu-Studie (Interdisziplinäre Behandlung urologischer Tumore) von Prof. Dr. Lothar Weißbach, Meoclinic Berlin, und seinen Kollegen im letzten Jahr aufgezeigt [3]. Demnach verbleibt die Behandlung vor allem des PCA häufig allein beim Urologen (66%), nur 15% bevorzugen einen onkologisch qualifizierten Urologen, 9% einen Onkologen, weitere 10% überweisen ihre Patienten ausschließlich an ein Zentrum.

Die Autoren bezeichnen die Ursachen als zum Teil historisch gewachsen; beeinflusst werden die Kooperationen durch soziodemographische Faktoren (z. B. Alter und Berufsjahre der Ärzte), Praxischarakteristika (Form und Umfeld) sowie persönliche Beziehungen.

Die Zahl der zertifizierten Prostatazentren wiederum ist mit bundesweit 96 im Vergleich zu den Brustkrebszentren bisher eher gering. Allein Baden-Württemberg hat 52 Mammazentren, das Saarland kein einziges Prostatazentrum [4]. Dass sich die strukturelle Schieflage ändert, bezeichnet der Strahlentherapeut Prott daher als eine der großen Herausforderungen für die suffiziente Behandlung des Prostatakrebses.

„Jeder Patient muss nach Sicherung seiner Diagnose in einer interdisziplinären Tumorkonferenz besprochen werden, in der ein Radiologe zur Beurteilung der Bildgebung, ein Urologe zur operativen Intervention, ein Strahlentherapeut zur radiologischen Intervention und ein internistischer Onkologe mit der Frage nach einer Antihormontherapie und/oder Chemotherapie anwesend sein sollte“, betont der Experte.

Die Festlegung eines gemeinsamen Behandlungskonzepts in einem Tumorboard sei die wichtigste Aufgabe, die es ganz schnell zu lösen gelte. „Zum Wohle unserer Patienten.“

Referenzen

Referenzen

  1. Resnick MJ, et al: NEJM 2013; 368(5):436-45.
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23363497
  2. Prostatakrebs: Strahlentherapie oder Operation? Langzeitstudie vergleicht Therapien auf Vorteile der Patienten / Pressemitteilung der DEGRO / März 2013.
    http://www.degro.org/dav/html/presse/201303Prostata.pdf
  3. Beermann S, et al: Der Urologe 2012;51:1085-1088
    http://dx.doi.org/10.1007/s00120-012-2939-x
  4. OnkoZert Zertifizierungsstelle
    http://www.onkozert.de

Autoren und Interessenskonflikte

Andrea S. Klahre
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Prott F-J: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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