Wiesbaden – Maligne Erkrankungen treten bei Menschen mit Adipositas und/oder Diabetes gehäuft auf, das belegt die Statistik. Warum das so ist, darüber gibt es eher nur Vermutungen. Ob sich aus den bisherigen Erkenntnissen therapeutische Konsequenzen ergeben, lässt sich noch weit weniger eindeutig beantworten. Abnehmen scheint immerhin präventiv zu wirken – und dies könnte auch für Metformin und eine gute Blutzuckereinstellung gelten. So lauten jedenfalls einige der Erkenntnisse, die während eines klinischen Symposiums auf dem Internistenkongress in Wiesbaden vorgestellt wurden [1].
Leberzellkrebs tritt bei Diabetikern etwa 2,5-mal so häufig, Endometrium- und Pankreaskarzinome doppelt so häufig wie bei Nichtdiabetikern auf, und auch das Risiko für Kolorektal-, Blasen- und Brustkrebs ist erhöht [2]. Auch die Adipositas per se ist mit einer erhöhten Tumorinzidenz verbunden – „namentlich mit Kolon-, Leber- und Nierenzellkarzinomen, Adenokarzinomen des Oesophagus und gynäkologischen Tumoren“, erklärte Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Endokrinologe und Diabetologe an der Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg, beim Internistenkongress. Und weiter: „Dabei kommt Leberkrebs mehr als doppelt so häufig bei adipösen Männern wie Frauen vor, beim Nierenzellkarzinom ist es dagegen umgekehrt.”
Fehlgeleitetes Insulin und promiskuitive Rezeptoren
Die Ursachen sind vielfältig und nicht nur lebensstilbedingt. So ist etwa die Insulinresistenz ein gemeinsamer Risikofaktor von Adipösen und Typ 2-Diabetikern. Prof. Dr. Harald H. Klein, Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil, Bochum, erläuterte in Wiesbaden: „Der Insulinrezeptor hat vielfältige Funktionen. Ist der Signalweg über Insulinrezeptor-Substrate gestört, wird wohl verstärkt der MAP-Kinase-Signalweg angeschoben und so eine überschießende Zellproliferation initiiert.“
Zudem seien Insulin- und Insulin-like Growth-Rezeptoren „promiskuitiv“: „Sie interagieren sowohl mit Insulin als auch mit IGF-I und -II, wenn auch mit unterschiedlichen Affinitäten, und es gibt sogar einen Hybridrezeptor“, so der Endokrinologe und Diabetologe. „Dies kann bei hohen Insulinspiegeln eine Rolle spielen.“
„Das Fettgewebe per se ist die Quelle für Aromatase und damit für die Bildung von Östrogenen, zudem kann fehlgesteuertes Fettgewebe Inflammation induzieren“, erläuterte Müller-Wieland. Ein wenig beachteter Punkt sei die parakrine Funktion der Adipozyten mit vermehrter Sekretion extrazellulärer Matrix, welche die Differenzierung und Proliferation der Tumorzellen fördern könne.
Tumor-Screening: Für Diabetiker nicht häufiger
„Trotzdem wird bisher für Diabetiker kein häufigeres Krebs-Screening empfohlen“, konstatierte Prof. Dr. Michael Roden, Deutsches Diabetes-Zentrum an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er erinnerte aber daran, dass Diabetologen und Onkologen ihre Patienten jeweils auch wechselseitig zur Einhaltung aller empfohlenen Routine-Screenings und zur Anpassung des Lebensstils anhalten sollten.
Dass eine Gewichtsabnahme das Krebsrisiko zumindest bei stark adipösen Frauen reduzieren kann, legen Daten der schwedischen SOS-Studie nahe: Teilnehmerinnen, die mittels bariatrischer Chirurgie behandelt wurden, hatten langfristig eine um 42% verringerte Krebsinzidenz [3].
Bei Diabetestherapie nicht auf Krebsrisiken schielen
Nicht zuletzt kann auch die medikamentöse Stoffwechseleinstellung der Diabetiker ihr Malignitätsrisiko beeinflussen: Während man bei Metformin einen gewissen „schützenden“ Effekt vermutet, der aber noch nicht schlüssig belegt ist, ist das Insulin in die Kritik geraten. Ein möglicher onkogener Einfluss von Insulin allgemein oder von bestimmten Insulinanaloga wird intensiv diskutiert.
Roden selbst ist jedoch überzeugt, dass das Krebsrisiko allgemein mit der Diabetesdauer steigt – dies mit oder ohne Insulintherapie. Patienten mit langjähriger Diabetesdauer werden aber auch häufiger mit Insulin behandelt. Roden verwies dabei auf eine aktuelle Studie [4]: „Hier schien es zunächst eine Häufung von Krebsfällen unter Insulin zu geben, aber nach multivariater Adjustierung (unter anderem für die Diabetesdauer)war kein signifikanter Unterschied mehr festzustellen“, berichtete der Endokrinologe und Diabetologe.
Auch in der ORIGIN-Studie mit rund 12.000 Diabetespatienten in der Frühphase der Erkrankung hatte sich kein Hinweis auf ein erhöhtes Tumorrisiko unter Insulin glargin im Vergleich zu einer oralen Standardtherapie ergeben [5] „Ein vermutetes Krebsrisiko durch Medikamente sollte jedenfalls nicht das entscheidende Kriterium für oder gegen eine Diabetestherapie sein“, forderte Roden. Zum gleichen Schluss ist auch im Jahr 2010 veröffentlichter Konsensus-Report US-amerikanischer und kanadischer Experten zum Thema „Diabetes und Krebs“ gelangt [2].