Dresden – Bei sexuell übertragbaren Infektionen (sexuelly transmitted infections, STI) denken die meisten an HIV und Hepatitis B. Das ist eine Fehleinschätzung, denn viele bakterielle Infektionskrankheiten wie Syphilis, Chlamydieninfektionen und Gonorrhoe sind sogar sehr verbreitet und noch längst nicht besiegt. Gegen letztere müssen Ärzte sogar immer öfter die Waffen strecken: Resistenzen gegen Antibiotika sind im Kommen.
„Die Gonorrhoe ist nach WHO-Schätzungen die weltweit dritthäufigste sexuell übertragbare Infektionskrankheit“, betonte Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Dermatologe aus Bochum und Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) anlässlich der 47. Jahrestagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft in Dresden [1].
In Deutschland existiert seit 2001 keine bundesweit einheitliche Meldepflicht mehr für Gonorrhoe. Allein die in den letzten 10 Jahren freiwillig gemeldeten Erkrankungen zeigen aber einen Anstieg auf 16.000 Fälle jährlich, wie Brockmeyer berichtete. Die Zahl der Syphilis-Infektionen sind genauer zu beziffern, denn diese müssen gemeldet werden: Hier verfünffachte sich die Zahl der Infizierten von 860 Fällen im Jahr 2000 auf 4.600 im Jahr 2010, Tendenz weiter steigend.
Einige Gonokokkenstämme schon vollständig immun gegen Antibiotika
Im Gegensatz zur Syphilis, die auch heute noch meist auf Penicillin anspricht, muss die Gonorrhoe bereits kombiniert mit 2 Antibiotika behandelt werden. Ein Präparat allein bietet keine ausreichende Sicherheit mehr: „Selbst gegen Cephalosporine der dritten Generation gibt es bereits Resistenzen, und in Japan wurden schon komplett immune Gonokokken entdeckt“, so Brockmeyer.
Er wandte sich deshalb an die pharmazeutischen Unternehmen mit der Aufforderung, die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika zu intensivieren. Zudem hofft er auf ein regulatorisches Eingreifen des Gesetzgebers: „Der Antibiotikaverbrauch in der Tiermast nimmt absurde Relationen an“, klagte er.
Und schließlich müsse die Aufklärung der Bevölkerung verstärkt werden: „Trotz des kostenlosen jährlichen Chlamydienscreenings für junge Frauen bis 25 Jahre sowie des Schwangerenscreenings haben wir eine Inzidenz von etwa 100.000 Erkrankungen, und diese führen in geschätzt 1.000 Fällen jährlich zu Sterilität“, mahnte der Infektiologe.
Beim Übertragungsweg gezielt nachfragen
„Chlamydieninfektionen treten vor allem bei jungen, unerfahrenen Menschen auf“, so Brockmeyer. „Gonorrhoe und Syphilis dagegen werden zu bis zu 90% von Menschen mit Hochrisikokontakten erworben, also von Personen mit häufigem Partnerwechsel, ungeschütztem Verkehr und/oder Sexualpraktiken, die ein Risiko für kleinere, unbemerkte Verletzungen in sich tragen.“ In Deutschland sind von Syphilis und Gonorrhoe am häufigsten Männer betroffen, die Sex mit Männern haben.
Während männliche Gonorrhoepatienten aber meist unter Schmerzen in der Harnröhre leiden, die zu einer frühzeitigen Behandlung und Limitierung der Erkrankung führen, verläuft dagegen die Gonorrhoe bei Frauen oft unbemerkt. Ebenso unbemerkt bleiben die meisten Chlamydieninfektionen sowie viele bakterielle (und übrigens auch virale) STI des Rachenraums.
„Die individuelle Sexualität der Patienten endet nicht unbedingt dort, wo die Fantasie des Behandlers aufhört“, gab Brockmeyer zu bedenken. So seien auch Finger, Zunge oder Sexspielzeuge mögliche Übertragungswege, und 30% der heterosexuellen Paare hätten heute auch Analsex. Die wenigsten redeten aber von sich aus darüber – hier sei gezieltes Nachfragen angezeigt.
„In Deutschland ist die Deutsche STI-Gesellschaft die stärkste Institution, die sich für Prävention, optimierte Diagnostik und Therapie von STI sowie für breite Aufklärung einsetzt“, machte Brockmeyer Werbung für seine Fachgesellschaft: „Nur wer Zugang zu Informationen hat, kann sich bewusst präventiv verhalten.“