Zahlreiche neue Risikogene für Brustkrebs, Ovarial- und Prostatakarzinom identifiziert

Andrea S. Klahre | 11. April 2013

Autoren und Interessenskonflikte

„Die genetische Veranlagung für Brust-, Eierstock- oder Prostatakrebs ist weitaus komplexer als bisher angenommen wurde. Wir gehen davon aus, dass wir immer noch erst einen kleinen Teil erfasst haben.“ Dr. Thilo Dörk-Bousset, Leiter des Forschungszentrums der Frauenklinik an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat guten Grund zu der Annahme, dass Hunderte von Genen das Krebsrisiko beeinflussen:

Als ein deutsches Mitglied des globalen Mega-Projekts Collaborative Oncological Gene-Environment Study (COGS) war Dörk-Bousset mit seinem Team maßgeblich daran beteiligt, dass jetzt eine weitere nennenswerte Anzahl von Genomvarianten für Mamma-, Ovarial- und Prostatakarzinoma identifiziert werden konnte. Die Ergebnisse wurden in mehr als 12 Studien zeitgleich in hochrangigen Fachzeitschriften veröffentlicht, darunter in Nature Genetics [1-5].

Etwa 160 Krebsforschergruppen aus weltweit führenden Instituten haben mit Hilfe eines speziellen Genotypisierungs-Arrays (iCOGS) charakteristische Krebs-assoziierte Genvarianten bzw. Marker (Single Nucleotide Polymorphism, SNP) und Subtypisierungen von mehr als 200.000 Teilnehmern (>100.000 Krebspatienten; >1000.000 gesunden Kontrollen) verglichen.

Die über das gesamte Genom verteilten rund 211.000 SNPs stammten aus 4 der insgesamt 14 genomweiten Assoziationsstudien (Breast Cancer Association Consortium, Ovarian Cancer Association Consortium, Prostate Cancer Association Group to Investigate Cancer-Associated Alterations in the Genome und Consortium of Investigators of Modifiers of BRCA1/2).

Über 80 neue relevante Genvarianten

Es konnten über 80 neue relevante Risikogene für die 3 hormonsensiblen Tumorentitäten nachgewiesen werden: 49 für Mamma-, 23 für Prostata- sowie 8 für Ovarialkarzinom. Zusätzlich wurden u. a. Loci speziell für das Estrogenrezeptor (ER)-negative Mammakarzinom (n=4) und das seröse Ovarialkarzinom (n=1) identifiziert.

Die Zahl der bekannten Risikogene nur für die gynäkologischen Tumore hat sich damit mehr als verdoppelt. „Beim Prostatakarzinom sieht es ähnlich aus wie beim Mammakarzinom, es gibt eine Vielzahl von Genvarianten, die in ihrer Summe einen beträchtlichen Anteil der erblichen Veranlagung erklären“, sagt Dörk-Bousset zu Medscape Deutschland. „Mit den in der Studie neu gefundenen Genomvarianten kennen wir insgesamt nun 78, die für Prostatakarzinom disponieren.“

Somit ist auch das familiäre Risiko für alle 3 Entitäten höher als bislang vermutet. Die aktuellen Schätzungen liegen für Brustkrebs nun bei 28%, für Eierstockkrebs bei 4% und für Prostatakrebs bei 30% [1,3,4].

„Die Erkenntnisse liefern nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der ererbten Anfälligkeit für die drei Krebsarten, sie ermöglichen auch die Entwicklung klinisch relevanter Vorhersagemodelle, die der genetischen Prädisposition der Patienten entsprechen“, schreiben Lori C. Sakoda von der Division of Research bei Kaiser Permanente Northern California, und ihre Mitautoren in einer Zusammenfassung [6]. Darüber hinaus seien sie wertvoll für die weitere Klärung der karzinogenen Mechanismen.

Ergänzt werden diese Ergebnisse um jene in den anderen Publikationen veröffentlichten Daten. Deren Autoren haben sich u. a. auf die Identifikation zusätzlicher Loci in spezifischen DNA-Regionen auch für Tumor-Subgruppen konzentriert, z. B. für Mutationen der Brustkrebsgene BRCA1 oder BRCA2 – und solche auch gefunden [7].

Überdies ließ sich in der TERT Region (Telomerase Reverse Transcriptase), einer katalytischen Untereinheit des Telomerase-Komplexes, ein Zusammenhang zwischen verschiedenen SNPs für Mamma-, Prostata- und Ovarialkarzinom sowie der Länge der Telomere nachweisen – die Telomere stellen gleichsam die „Hardware“ der Lebensuhr dar [5, 8]. Wir erinnern uns: Tumorzellen nutzen die Telomerase, das Enzym ist in 90% aller Tumoren aktiv. Und: Je kürzer die Telomere, umso kürzer das Leben.

Relativ geringes Risiko, aber genomweit verbreitet

Insgesamt erhöhen die neuen Genomvarianten die Erkrankungswahrscheinlichkeit nicht um ein Vielfaches wie etwa BRCA 1/2-Mutationen, sondern um jeweils etwa 10-50%, erklärt Dörk-Bousset. Sie waren deshalb bisher so schwierig zu finden, weil man zum zweifelsfreien Nachweis niedriger Risiken große Fallzahlen benötigt. „Der Schlüssel für diesen Erfolg lag in der internationalen Zusammenarbeit. Nur dadurch konnten die hohen Fallzahlen erreicht werden, die für statistisch sichere Aussagen erforderlich sind.“

Initiiert und geleitet wurde das Projekt von Wissenschaftlern der University of Cambridge und koordiniert am schwedischen Karolinska Institutet. An den Untersuchungen waren auch mehrere deutsche Zentren beteiligt. Neben der Frauenklinik an der MHH steuerten z. B. die universitären Zentren in Erlangen, Hamburg und Heidelberg umfangreiche Patientinnenkollektive und Datensätze bei. Finanziert wurde das Projekt außer durch nationale und lokale Forschungsförderungen der teilnehmenden Gruppen auf europäischer Ebene durch 12 Millionen Euro des 7. Forschungsrahmenprogramms der EU.

Die neuen Genomvarianten gehen zwar mit relativ geringen Risiken einher, sie sind jedoch viel weiter verbreitet als Mutationen in BRCA1 oder BRCA2: Fast jeder Mensch trägt zumindest einige dieser Varianten. In ihrer Kombination prägen sie dann die individuelle Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung, die durch schädliche Umwelt- bzw. Lebensstileinflüsse weiter getriggert werden kann. Hier hat auch COGS erneut gezeigt, dass insbesondere Alkoholkonsum verschiedene Genomvarianten zumindest für Brustkrebs modifiziert.

Mit Blick auf künftige Studien ist laut Prof. Dr. Per Hall, dem Koordinator des Konsortiums am Karolinska Institutet, auch die Erkenntnis wertvoll, wie viele zusätzliche SNPs das Risiko von Brust- und Prostatakrebs beeinflussen könnten [9]. „Für Brustkrebs lautet die Zahl 1.000, für Prostatakrebs 2.000. Wir haben sogar ein Bild davon, wo im Genom wir in Zukunft suchen müssen."

Referenzen

Referenzen

  1. Michailidou KM, et al: Nat. Genet. (online) 27. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2563
  2. Garcia-Closas M, et al: Nat. Genet. (online) 27. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2561
  3. Pharoah PDP, et al: Nat. Genet(online) 27. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2564
  4. Eeles RA, et al: Nat. Genet. (online) 27. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2560
  5. Bojesen SE, et al: Nat. Genet. (online) 27. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2566
  6. Sakoda LC, et al: Nat. Genet. 45 (4): 345-348.
    http://dx.doi.org/10.1038/ng.2587
  7. Nickels S, et al: PLoS Genet. 9, e1003284 (2013)
    http://www.plosgenetics.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pgen.1003284
  8. Kote-Jarai Z, et al: Hum. Mol. Genet. (online) 27. März 2013.
    http://dx.doi.org/10.1093/hmg/ddt086
  9. COGS: Unique study reveals genetic spelling mistakes. Press release, 28. März 2013
    http://www.cogseu.org/

Autoren und Interessenskonflikte

Andrea S. Klahre
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.