Morbus Parkinson: „Die Philosophie des ‚slow and low´ ist out.�?

Michael Simm | 11. April 2013

Autoren und Interessenskonflikte

 

Prof. Dr. Wolfgang Jost
 

Würzburg In der Behandlung des Morbus Parkinson verschieben sich derzeit die Prioritäten. Trotz vieler verfügbarer Arzneien befindet sich die Therapie der Bewegungsstörungen in einer Sackgasse, meint Prof. Dr. Wolfgang Jost, Leiter des Fachbereichs Neurologie/Schmerztherapie an der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden, im Interview mit Medscape Deutschland, anlässlich des Welt-Parkinson-Tages am 11. April 2013.

Dagegen treten nicht-motorische Symptome, etwa psychiatrische Probleme und Störungen des vegetativen Nervensystems, stärker in den Vordergrund. Sie sind heute als Teil der Parkinson-Erkrankung anerkannt. Doch bereitet gerade die Behandlung solcher Symptome – etwa  von Schlafstörungen oder starkem Harndrang – bei Parkinson-Patienten auch oft besondere Probleme. Der 2. Vorsitzende der Deutschen Parkinson Gesellschaft gibt im Gespräch einige Tipps für die Praxis. Bei der Jahrestagung der Deutschen Parkinson Gesellschaft (dpg) im März in Würzburg waren ebenfalls vor allem klinische Trends und praxisrelevante Erkenntnisse ein Thema.

Medscape Deutschland: Auf dem Parkinson-Kongress konnte man den Eindruck gewinnen, dass es für die motorischen Symptome der Krankheit eine kaum mehr überschaubare Vielfalt von Arzneien gibt - allerdings keine großen Fortschritte, geschweige denn einen Durchbruch. Ist die medikamentöse Therapie der Bewegungsstörungen beim Morbus Parkinson ausgereizt?

Prof. Jost: Die Therapie ist zwar nicht ausgereizt, aber sie stagniert oder befindet sich sogar in einer Sackgasse. Uns fehlt eine neue Substanzgruppe, die jenseits der dopaminergen Stimulation und den etablierten Wirkprinzipien ansetzt. Hier ist auch nichts in fortgeschrittenen klinischen Studien der Phase 3 zu erkennen, was in absehbarer Zeit in der Praxis Einzug halten könnte.

Medscape Deutschland: In Würzburg haben Sie auf einem State of the Art-Symposium speziell über die nicht-motorische Symptom-Therapie gesprochen. Es würde zwar viel darüber geredet, gäbe aber nicht viel Neues - haben Sie sinngemäß Ihren Vortrag eröffnet.

Prof. Jost: Das Problem ist, dass wir autonome, psychiatrische und andere Störungen früher als atypische Parkinson-Symptome eingestuft haben. Erst seit etwa zehn Jahren nehmen wir diese als Teil der Krankheit wahr und haben damit begonnen, vermehrt auch über die nicht-motorischen Parkinson-Symptome zu sprechen – allen voran psychiatrische Probleme und Störungen des vegetativen Nervensystems. Die Folge ist, dass wir keine guten Studien haben, die die Wirkung von Arzneien auf diesen Gebieten spezifisch bei Parkinson-Patienten belegen. Es werden deshalb meist jene Medikamente verschrieben, die sich bei den jeweiligen Symptomen in anderen Indikationen bewährt haben.

Medscape Deutschland: Warum ist das ein Problem?

Prof. Jost: Nehmen wir zum Beispiel Depressionen, so kann man die Situation nicht 1:1 auf Parkinson-Patienten übertragen. Wir wissen einerseits, dass sich die dopaminergen Medikamente per se auch positiv auf Depressionen auswirken. Andererseits hat der Niedergang der dopaminergen Neuronen beim Parkinson auch Implikationen auf die Auswahl der Antidepressiva. Solche, die hauptsächlich oder teilweise die Wiederaufnahme von Dopamin hemmen, sind weniger Erfolg versprechend. Angezeigt sind deshalb selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder kombinierte Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI).

Ganz ähnlich ist die Situation beim Schmerz: Auch darunter leiden Parkinson-Patienten häufiger als gesunde Gleichaltrige, einerseits aufgrund der krankheitsimmanenten Steifigkeit und fehlender Bewegung, andererseits aber auch wegen einer intensiveren Schmerzwahrnehmung. Schon einfaches Sitzen kann daher Schmerzen verursachen und die Behandlung mit Standardanalgetika wird dem nicht gerecht. Auch hier stehen wir vor einem großen, ungelösten Problem.

Medscape Deutschland: Wie gehen Sie mit Vigilanzstörungen um?

Prof. Jost: Auf dieses Symptom sind wir erst in jüngster Zeit aufmerksam geworden. Es wurde in der Vergangenheit als Folge der Medikation betrachtet, heute eher als Teil der Erkrankung. Für diese Sichtweise spricht, dass auch unbehandelte Parkinson-Patienten unter Tagesmüdigkeit und Schlafattacken leiden. Die üblichen Medikamente helfen hier nicht ausreichend und sind aufgrund fehlender Studiendaten auch nicht zu empfehlen. Allenfalls kann der Arzt auf Medikamente wie die Anticholinergika verzichten, die Vigilanzstörungen hervorrufen können. Kaffee hilft interessanterweise auch nicht, verbessert aber die Motorik.

Medscape Deutschland: Den Vigilanzstörungen am Tag stehen Schlafstörungen in der Nacht gegenüber…

Prof. Jost: In der Tat schlafen viele Patienten schlechter ein und sie schlafen schlechter durch, häufig verlagern sie den Schlaf auch auf den Tag. Die nächtliche Steifigkeit mindert die Schlafqualität und führt zu Schmerzen. Oft kommt es auch zu REM-Schlafstörungen. Wünschenswert wären hier lang wirksame Schlafmittel. Die meisten aber helfen nur für einen Zeitraum bis zu vier Stunden. Auch Melatonin wirkt bei den meisten nicht, und die Benzodiazepine will man auch nicht unbedingt auf Dauer verschreiben. Das ist ein Dilemma.

Medscape Deutschland: Vor allem im fortgeschrittenen Krankheitsstadium sind Kreislaufregulationsstörungen häufig. Was ist hier zu tun?

Prof. Jost: Die fehlende Regulation des Blutdrucks in der Orthostase mit einem entsprechenden Abfall ist das eine Problem, für das tagsüber Stützstrümpfe eine sinnvolle Therapie ohne Nebenwirkungen darstellen. Das andere Problem ist das Ausbleiben des nächtlichen Blutdruckabfalls. Während Blutdrucksenker sonst eher morgens verschrieben werden, sollte man bei Parkinson-Patienten eine 24-Stunden-Messung machen und je nach Ergebnis die Arzneien eher Abends einnehmen lassen.

Medscape Deutschland: Wie kommt es im späteren Krankheitsstudium zu dem oft starken Harndrang?

Prof. Jost: Ebenso wie beim Schmerz ist die Hemmung gestört, und die Patienten können das unangenehme Gefühl einer sich füllenden Blase im Gegensatz zu Gesunden nicht unterdrücken. Dieser starke Harndrang setzt auch bereits bei einem geringen Volumen ein. Zur Beruhigung der Blase setzen wir dann Anticholinergika ein.

Die beseitigen das Problem zwar nicht vollständig und sind auch mit Nebenwirkungen behaftet. Immerhin kann dadurch aber die Frequenz verringert werden, mit der die Patienten etwa nachts auf die Toilette müssen. In schweren Fällen ist eine Behandlung mit Botulinumtoxin denkbar, die ja seit kurzem auch zugelassen ist.

Medscape Deutschland: Welchen Stellenwert haben nicht-medikamentöse Therapien beim Morbus Parkinson?

Prof. Jost: Wir sind uns alle seit Jahren darüber einig, dass die Physiotherapie wichtig ist. Gleichzeitig haben wir Neurologen das nicht intensiv genug verfolgt und es den Physiotherapeuten selbst überlassen, deren Behandlungsangebote lange Zeit recht uneinheitlich waren. Jetzt liegen zwar die ersten Studien vor, die beispielsweise die Wirksamkeit von Tai Chi belegen, oder auch der BIG-Methode, einer spezifischen Therapie, bei der Bewegungen mit großer Amplitude eingeübt werden.

 Aber ich bin davon überzeugt, dass wir den gleichen Effekt auch mit einer regelmäßigen klassischen Physiotherapie erzielen würden und dass die Patienten generell von viel Bewegung profitieren. In den nächsten Jahren erwarte ich, dass neue Studien dies bestätigen und unsere Wissenslücken stopfen werden.

Medscape Deutschland: Viele Ihrer Kollegen setzen große Hoffnungen in die Früherkennung, mit dem Ziel, die Therapie früher zu beginnen. Andererseits herrscht oft noch die Meinung, man sollte mit den dopaminergen Arzneien haushalten, um sein Pulver nicht zu früh zu verschießen. Wie ist Ihr Standpunkt?

Prof. Jost: Ganz eindeutig lautet mein Standpunkt, dass wir die Diagnose möglichst früh stellen sollten und unmittelbar danach mit der Therapie beginnen. Diese Logik gilt bei allen Krankheiten und es gibt keinen Grund, warum dies beim Morbus Parkinson anders sein sollte. Die Philosophie des „slow and low“ ist out. Eine Therapie, die man nicht bekommt, ist eine verlorene Therapie. Mit Dyskinesien muss beim Parkinson genauso gerechnet werden, wenn die Behandlung verzögert beginnt. Die Patienten verschlechtern sich alle im höheren Alter, etwa zwischen 70 und 80 Jahren, aber viele verlieren Qualitätszeit, weil sie davor nicht ausreichend behandelt wurden.

Medscape Deutschland: Von regenerativen Therapien war in Würzburg kaum die Rede – müssen wir die Hoffnung auf eine Gentherapie oder Zelltransplantationen begraben?

Prof. Jost: Wir hatten in der Tat große Hoffnungen, dann gab es einige Misserfolge. Nun ist es zwar ruhiger um diese Methoden geworden, aber die Arbeiten gehen weiter. Wir haben gelernt, Neuronen zu implantieren, aber sie machen noch nicht, was sie tun sollen. Momentan kann man den Patienten solche Versuche daher nicht empfehlen.

Medscape Deutschland: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Referenzen

Referenzen

    8. Deutscher Parkinson Kongress, 13. – 15. März 2013, Würzburg
    State of the Art-Symposium 4:
    Medikamentöse Innovationen der Parkinson-Therapie - Nicht-motorische Symptom-Therapie, 14. März 2013
    http://www.congrex.de/parkinson2013.html

Autoren und Interessenskonflikte

Michael Simm
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