Neue Herzinsuffizienz-Leitlinien auf Deutsch: Praxisrelevantes für die Kitteltasche

Rainer Klawki | 4. April 2013

Autoren und Interessenskonflikte

 

Prof. Dr. med. Gerd Hasenfuß
 

Mannheim - Die DGK (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie) hat pünktlich zum Start ihrer Jahrestagung die europäischen Pocket-Leitlinien zur chronischen Herzinsuffizienz auf Deutsch herausgegeben [1,2]. Grundlage ist die englischsprachige Leitlinie der ESC (European Society of Cardiology), wie Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender des Herzzentrums an der Universitätsmedizin in Göttingen, bei der Tagung erläutert hat. Außerdem wurden die Leitlinien aktuell kommentiert [3].

Neu und praxisrelevant sind z.B. Änderungen der Cut-off-Werte zum Ausschluss einer Herzinsuffizienz anhand von Biomarkern.  „Hier wurden die Grenzen nach unten korrigiert, um einen höheren negativen prädiktiven Wert zu erzielen", erklärt Hasenfuß. So kann beim Neuauftreten von Symptomen eine akute Herzinsuffizienz des Biomarkers NT-ProBNP bei Werten unter 300 Mikrogramm pro Liter ausgeschlossen werden, eine chronische Herzinsuffizienz bei Werten kleiner 125 Mikrogramm pro Liter. Für das Polypeptid BNP als Marker betragen die entsprechenden Grenzwerte 100 (akut) bzw. 35 Mikrogramm pro Liter (chronisch).

Welche Medikamentenkombinationen eher schaden als nutzen

Ebenfalls wichtig für die Praxis: Die so genannten "No goes", auf die Hasenfuß explizit hinweist – also Medikamentenkombinationen, die bei Herzinsuffizienz nicht angewendet werden sollten. Auf 9 von ihnen ging er eigens ein.

  1. Dreierkombinationen aus MRA (Mineralokortikoidrezeptorantagonist), ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorantagonist (Sartan).  „Das geht nicht gleichzeitig – hier dürfen nur zwei kombiniert werden".
  2. Beim MRA Eplerenon müssen Interaktionen mit CYP3A4-Inhibitoren (z.B. Ketoconazol, Itraconazol, Chlarithromycin, Ritonavier und anderen) vermieden werden.
  3. Glitazone (z.B. Actos®, Avandia®) zur Typ-2-Diabetestherapie sind bei Patienten mit Herzinsuffizienz nicht indiziert.
  4. COX-2-Hemmer sollen wegen der Gefahr der Flüssigkeitsretention nicht verabreicht werden.
  5. Verapamil und Diltiazem haben bei systolischer Herzinsuffizienz eine negativ inotrope Wirkung und sollten daher vermieden werden.
  6. Moxonidin wird bei Herzinsuffizienz nicht empfohlen (wegen Übersterblichkeit in der MOXCON-Studie).
  7. Bei struktureller Herzerkrankung sollten Klasse-I-Antiarrhythmika oder Dronedaron) nicht gegeben werden (Studien: CAST, ANDROMEDA, PALLAS).
  8. Bei gleichzeitig bestehender koronarer Herzerkrankung sollte bei Indikation für eine orale Antikoagulation nicht zusätzlich ASS gegeben werden (Studie: WOEST).
  9. Und schließlich: Bei Vorliegen einer Prostatahyperplasie sind Alpha-Adrenozeptor-Blocker nicht indiziert. Stattdessen besser 5-alpha-Reduktaseinhibitoren (Dutasterid, Avodart® oder Finasterid, Proscar®), führt Hasenfuß aus.

Zwei neue Substanzen gehören jetzt zur Pharmakotherapie dazu

In der Pharmakotherapie hat sich bei der Empfehlung für Betablocker und ACE-Hemmer nichts geändert. Hinzugekommen ist der Aldosteronantagonist Eplerenon (Inspra®, Pfizer). Sowohl Spironolacton als auch Eplerenon werden jetzt neu in der Klasse der  MRA zusammengefasst. Eplerenon hat eine Indikation für die Herzinsuffizienz im Stadium II erhalten. 

Die Empfehlung beruht auf der EMPHASIS-Studie, die für Patienten mit einer Auswurffraktion unter 35% eine „eindrucksvolle Reduktion" im primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierung ergeben hatte (von 25,9% unter Placebo auf 18,3% unter Eplerenon), erläutert Hasenfuß. Nur 13 Patienten müssen 21 Monate lange behandelt werden, um eines dieser Ereignisse zu verhindern (NNT=33). Die Gesamtmortalität war in diesem Zeitraum um 24% reduziert.

Neu in die  Leitlinie aufgenommen wurde der Sinusknoteninhibitor Ivrabadin (Procoralan®, Servier). Die SHIFT-Studie über 22,9 Monate hatte im kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz eine relative Risikoreduktion von 18% erbracht (17,7% unter Placebo vs. 14,5% unter Ivabradin). Demnach müssen 26 Patienten ein Jahr lang behandelt werden, um ein Ereignis zu verhindern.

Bei der Indikation für eine Ivabradin-Therapie gibt es eine kuriose Diskrepanz zwischen der von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) aufgrund von Subgruppenanalysen zugelassenen Indikation (Herzfrequenz 75 Schläge pro Minute oder höher) und den Empfehlungen der Fachgesellschaften, wie Hasenfuß berichtet. Denn sowohl DGK als auch ESC empfehlen die Ivabradin-Gabe in der Pocket-Leitlinie bereits bei Herzinsuffizienz-Patienten mit einer Herzfrequenz ab 70 Schlägen pro Minute.

Weitere Leitlinien-Änderungen betreffen die instrumentelle Therapie. Breiten Platz nehmen die kardialen Unterstützungssysteme in höheren Stadien der Herzinsuffizienz in den Leitlinien ein. Ferner darf die kardiale Resynchronisationstherapie nun bereits im Stadium II der Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen.

Die ganzheitliche Behandlung in den Leitlinien zur Herzinsuffizienz

Auf Skepsis bei einigen deutschen Kollegen stößt auch die in der Leitlinie empfohlene „holistische Behandlung". Dazu gehören z.B. Ausdauertraining und die Eisentherapie. Dabei ist das Training vor allem für Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz zu empfehlen, meint Hasenfuß. „Bei der diastolischen Herzinsuffizienz liegen Studien mit großen Patientenzahlen noch nicht vor."

Die Eisensubstitution als Infusion gilt bei einem Ferritinwert unter 100 Mikrogramm pro Liter als indiziert, oder wenn die Transferrin-Sättigung unter 20% liegt, erläutert Hasenfuss. Auf die Frage aus dem Auditorium, welcher Art „symptomatischer Verbesserung“ durch eine solche Intervention zu erwarten sei, verwies der Herzinsuffizienz-Experte vor allem auf eine erleichterte Atmung des Patienten.

Probleme bei der Umsetzung der neuen ganzheitlichen Empfehlungen in der Klinik sieht Prof. Dr. Reinhard Griebenow  von der Medizinischen Klinik II in Köln-Merheim. Wie er im Gespräch mit Medscape Deutschland gesagt hat, können die Empfehlungen den Patienten allenfalls verbal vorgestellt werden. Denkbar wäre jedoch, dass bereits bestehende Strukturen für Koronarkranke auch für Patienten mit Herzinsuffizienz genutzt werden könnten.  „Möglichkeiten zum aeroben Training  stehen zum Beispiel  bei denjenigen niedergelassenen Kardiologen zur Verfügung, die ambulante Rehabilitation für Koronarpatienten betreiben.“ Das Spektrum reicht vom Ergometertraining bis zur Diätberatung.

Auch bei der Eisentherapie könne die Frage „Infusion oder Eisentablette?“ nur so beantwortet werden, dass beim Eisen die Pharmakokinetik von entscheidender Bedeutung ist. „Die Eisenresorption und damit die Aufsättigung des Eisens in gewünschter Höhe ist bei Herzinsuffizienzpatienten aufgrund eingeschränkter Resorption nur dann gesichert, wenn es parenteral gegeben wird“, betont Griebenow.

Referenzen

Referenzen

  1. 79. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Mannheim 3. bis 6. April 2013: ESC-Leitliniensitzung 3. April 2013
    http://ft2013.dgk.org/
  2. ESC-Pocket Guidelines. Herzinsuffizienz. Leitlinien für die Diagnose und Behandlun der akuten und chronischen Herzinsuffizienz. Börm Bruckmeier Verlag GmbH 2013 (print, online-PDF ist noch nicht verfügbar)
  3. Hasenfuß G, et al: Der Kardiologe 2013;7:105–114
    http://leitlinien.dgk.org/2013/kommentar-zu-den-leitlinien-der-europaischen-gesellschaft-fur-kardiologie-esc-zur-diagnostik-und-behandlung-der-akuten-und-chronischen-herzinsuffizienz/

Autoren und Interessenskonflikte

Rainer Klawki
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich auf der Leitlinien-Seite der DGK.

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