Im Falle einer Appendizitis gelten für die Entscheidung zwischen Operation und konservativer Behandlung bei Kindern andere Kriterien als bei Erwachsenen: Ist der Wurmfortsatz akut entzündet, sollte bei Kindern rasch operiert werden, rät PD Dr. med. Philipp Szavay, Chefarzt der Kinderchirurgie am Kantonsspital Luzern.
„Abwarten ist bei Heranwachsenden nicht besser, auch wenn das in der Erwachsenenmedizin nun immer häufiger praktiziert wird“, sagt Szavay, der derzeit auch der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) ist. In einem aktuellen Beitrag der Monatsschrift Kinderheilkunde lautet sein Fazit: „Zusammenfassend gibt es nach heutigem Stand keine ausreichende Evidenz, eine nicht-operative Therapie der akuten Appendizitis beim Kind zu empfehlen“ [1].
Bei Erwachsenen ist das anders: Eine konservative Behandlung einer unkomplizierten Appendizitis mit Antibiotika kann Studien zufolge rund 2 Dritteln der Patienten die Operation langfristig ersparen [2,3]. Bei Kindern sind die Risiken des Abwartens (z.B. Perforation, Peritonitis, Abszesse) weitaus höher als die Risiken eines Eingriffs. Solange es keine aussagekräftigen Studienergebnisse gibt, die anderes beweisen, sprechen sich Szavay und andere Experten darum für die Appendektomie aus.
Kleine Kinder können Symptome nicht immer kommunizieren. Da manchmal trotz klinischer Untersuchung plus Ultraschall eine klare Diagnose nicht möglich ist, kommt es auch heute noch zu unnötigen Operationen – allerdings selten, sind Experten sich einig. Dazu hat nicht zuletzt die verbesserte Bildgebung mittels Ultraschall, die zudem verträglich und kostengünstig ist, erheblich beigetragen.
Szavay betont: „Mit hochauflösenden Ultraschallgeräten können sogar leichte Schwellungen des zwei bis sechs Millimeter dünnen Wurmfortsatzes gesehen werden.“ Er zitiert eine Studie, die dem Ultraschall in diesen Fällen eine Sensitivität von bis zu 98,7% und eine Spezifität von bis zu 95,4% zuspricht [4].
Laparoskopie eindeutig bevorzugt
Eine richtige Entscheidung ist für viele relevant: 28.000 Kinder unter 15 müssen in Deutschland pro Jahr wegen einer Appendizitis ins Krankenhaus. Bei den 2- bis 15jährigen ist die Appendektomie der häufigste Baucheingriff [5].
Sobald die Indikation zur Operation gestellt ist, ist immer häufiger die Laparoskopie das Verfahren der Wahl – und für die jungen Patienten mit weniger Schmerzen und Risiken behaftet als die klassische, offene Appendektomie.
Das ergab eine aktuelle Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Minimalinvasive Chirurgie der DGKCH an 98 kinderchirurgischen Kliniken in Deutschland unter Federführung von Erstautor Dr. med. Jens Dingemann, Abteilung für Kinderchirurgie der Universitätsklinik in Hannover und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für minimal-invasive Chirurgie der DGKCH [6].
Laut dieser Umfrage ist die Laparoskopie bei 79% der Kliniken das Standardverfahren. 52% halten es für besser als den offenen Zugang, 38% stuften beide Verfahren als gleichwertig ein, noch 3% hielten die offene Vorgehensweise für besser und 7% konnten die Frage nicht beantworten. Viele Details beim operativen und perioperativen Vorgehen – etwa bei der Gabe von Antibiotika – werden keineswegs einheitlich gehandhabt und bedürfen dringend einer Standardisierung, wie die Autoren rügen.
In 87% der Kliniken operieren Assistenten laparoskopisch den Blinddarm unter Aufsicht während der üblichen Arbeitszeiten am Tag, 63% auch in Nacht- und Wochenenddiensten. „87Prozent ist eine ganz ordentliche Zahl“, kommentiert Dingemann dieses Ergebnis auf Nachfrage von Medscape Deutschland, und schlussfolgert: „Die laparsokopische Appendektomie ist somit ein ganz klassischer Weiterbildungseingriff für die Laparoskopie“.
Einen Wermutstropfen gibt es gleichwohl: Obwohl 93% die Laparaskopie für einen wichtigen Aspekt der Ausbildung zum Kinderchirurgen halten, lehnen es doch 21% der befragten Kliniken ab, an einem speziellen Unterweisungsprogramm durch die AG Minimal-Invasive Chirurgie teilzunehmen, um das Verfahren bei sich zu implementieren.
Schneller fit mit minimal-invasiver OP und Kaugummi
Dass die zunehmende Verbreitung des minimal-invasiven und weniger belastenden Vorgehens die Zahl voreiliger Appendektomien steigen lässt, befürchtet Szavay nicht: „Die Indikationsstellung bei offener und laparoskopischer Appendektomie ist dieselbe“, sagt er im Interview mit Medscape Deutschland. Und: „Uns Chirurgen geht es darum, Kinder möglichst wenig zu traumatisieren.“
Szavay räumt ein, dass es Kinder gibt, bei denen eine offene Operation vorzuziehen ist: „Etwa bei multiplen Voroperationen, Herzfehlern und anderen Befunden, die gegen eine Gasbefüllung des Bauchraums sprechen.“ Die Laparoskopie punktet auch nicht unter allen Aspekten: Sie ist teurer, - worauf immerhin 58% der befragten deutschen Kliniken aufmerksam gemacht haben -, und es könnte eher zu intra-abdominalen Abszessen kommen als nach offenen Operationen [7].
Einschlägige Studien belegen trotz dieser Einschränkungen speziell auch für Kinder und Jugendliche: Eine Laparoskopie hat in aller Regel mehr Vorteile als Nachteile. Sie geht mit weniger postoperativen Schmerzen, weniger Wundinfektionen, besserer Narbenentwicklung und schnellerer Rückkehr ins Alltagsleben einher, heißt es in der Arbeit von Dingemann.
Auch Spätfolgen wie z.B. einen Ileus scheint es nach der Laparoskopie seltener zu geben – „da müssen wir allerdings noch abwarten, bis Langzeitergebnisse vorliegen“, betont Szavay, der selbst seit 13 Jahren minimal-invasiv operiert. Ein Ileus als Spätfolge einer Appendektomie tritt teilweise erst nach Jahrzehnten auf.
Unabhängig vom OP-Verfahren sprechen mehrere kleine Studien dafür, dass Patienten mit einem simplen Trick dazu beitragen können, ihren Darm nach einer OP wie der Appendektomie schneller wieder zu aktivieren. Kindern wird dieser Trick gefallen: zuckerfreien Kaugummi kauen. Am Yaounde General Hospital in Kamerun taten 23 Patienten genau das nach einer offenen Appendektomie [8].
Nach dreimal täglich je 30 Minuten Kaugummikauen durften sich die Patienten darüber freuen, dass ihr Darm seine Tätigkeit schnell wieder aufnahm (0,8 Tage früher als bei der Kontrollgruppe ohne Kaugummi). Zudem konnten sie im Durchschnitt 1,8 Tage früher die Klinik verlassen. „Kaugummi verbessert die Genesung nach einer offenen Appendektomie“, folgerten die Studienleiter.