Schwindeldiagnostik light – Video-Okulografie hilft Schlaganfall auszuschließen

Petra Plaum | 14. März 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Schwindel kann, muss aber nicht auf einen Schlaganfall hinweisen. Rasch und einfach gutartige Formen des Schwindels von einer zentralen Durchblutungsstörung abgrenzen zu können, wäre wünschenswert. Eine Video-gestützte Okulografie, verpackt in einem Kleingerät, soll das künftig möglich machen. Diese Hoffnung nährt eine aktuelle Studie aus der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. David Newman-Toker von der Abteilung für Neurologie und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Johns Hopkins University School of Medicine, die jetzt in der Zeitschrift Stroke veröffentlicht wurde [1].

Newman-Tokers Team untersuchte Patienten, die mit einem akuten Vestibularsyndrom (AVS) die Notaufnahmen des Johns Hopkins Hospital Baltimore und des University of Illinois College of Medicine in Peoria aufgesucht hatten. Die 10 Männer und 2 Frauen im Alter von 30 bis 73 Jahren litten seit weniger als 7 Tagen unter anhaltendem, starkem Schwindel (Vertigo) bzw. Benommenheit (Dizziness) und wiesen einen pathologischen Nystagmus auf. Zusätzlich brachten sie mindestens eins der folgenden Symptome mit: Übelkeit bzw. Erbrechen, Überempfindlichkeit bei ruckartigen Drehbewegungen des Kopfes oder zuvor nicht aufgetretene Fallneigung und Gleichgewichtsstörungen.

Für die Studie absolvierten alle einen so genannten horizontalen Kopfimpulstest (HIT) mit dem auf seine Verlässlichkeit zu prüfenden Gerät, das mit Hilfe einer Kleinstkamera Augenbewegungen registriert. Es stellte bei 6 Patienten die Diagnose Schlaganfall, bei den 6 anderen sollte er ausgeschlossen sein. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) ließen sich alle 12 Entscheidungen bestätigen [1].

Um beim Vestibularsyndrom einen Schlaganfall auszuschließen, ist eine MRT meist die Untersuchung der Wahl, aber auch sie ist nicht absolut fehlerfrei für die Differenzialdiagnose des Schwindels: „Die Sensitivität von diffusionsgewichteten MRT-Aufnahmen innerhalb von 24 Stunden bei vertebro-basilärer Ischämie liegt bei nur 70 – 88%“, betont PD Dr. med. Mark Obermann, Oberarzt der Klinik für Neurologie und Leiter des Schwindel-Zentrums Essen.

Einfacher und sicherer Bedside Test

In mehreren Studien haben sich 3 vergleichsweise einfache Untersuchungsmethoden als verlässlich erwiesen, um beim akuten Vestibularsyndrom eine periphere Ursache (z. B. Neuritis vestibularis) von einer zentralen Ursache (z. B. Schlaganfall) zu unterscheiden: der horizontale Kopfimpulstest (HIT) als wichtigste Untersuchung, dann noch der Nystagmus-Test und die Überprüfung der vertikalen Divergenz.

Der HIT testet auf einfache Weise die horizonalen vestibulo-okulären Reflexe, es handelt sich um eine Funktionsprüfung der Bogengänge. Sind sie gestört, spricht dies für eine periphere – zum Beispiel im Gleichgewichtsorgan im Ohr gelegene Ursache. Der Arzt bittet seinen Patienten, ein vor ihm befindliches Ziel zu fixieren. Er hält den Kopf des Patienten mit den Händen und bewegt in schnell aber nur um wenige Grade nach rechts und nach links. Der Gesunde gleicht dies durch eine rasche Augenbewegung zur Gegenseite der Drehrichtung aus.

Patienten, deren Schwindel eine periphere Ursache hat, benötigen zum Fixieren des Ziels eine gut sichtbare Korrektur-Sakkade. Zweiseitige Schädigungen der Labyrinthe etwa durch ototoxische Antibiotika lassen Sakkaden nach beiden Seiten erkennen. Bleiben die Sakkaden jedoch aus, ist das ein Hinweis auf eine zentrale Ursache der vestibulären Störungen.

Der HIT ist als „Bedside-Test“ schon länger als orientierende Untersuchung in der Schwindeldiagnostik etabliert. Allerdings fehlte es bislang an einer standardisierten und quantitativen Erfassung der Bogengangschädigung. Zudem beherrschen ihn nicht alle Ärzte in der Notaufnahme und können die Befunde richtig deuten. Seit wenigen Jahren stehen mehrere Geräte zur Verfügung, die beim HIT die vestibulo-okulären Reflexe der Patienten messen und eine quantitative Auswertung ermöglichen.

Das von Newman-Tokers Team in ihrer Studie eingesetzte Gerät ähnelt optisch einer Schwimmbrille und trägt eine Webcam und einen Beschleunigungsmesser im Rahmengestell. Mittels USB werden die Daten auf einen Laptop übertragen. Das Team um Newman-Toker überprüfte zusätzlich Nystagmus und vertikale Divergenz der Patienten.

Bei peripherer Schwindelursache ist ein horizontaler Spontannystagmus zur nicht betroffenen Seite zu beobachten. Ist der Ausschlag jedoch vertikal oder rotierend, deutet dies auf einen Schlaganfall hin. Die vertikale Divergenz bezeichnet eine Abweichung in der Höhe der beiden Bulbi, was auf eine Hirnstamm- oder Kleinhirnläsion hinweist. Es gibt inzwischen auch Geräte die alle 3 Untersuchungsverfahren in sich vereinen. Manchen Studien zufolge ist die Aussagekraft der Kombination dieser 3 Tests größer als die eines bildgebenden Verfahrens.

Das künftige EKG der Oto-Neurologen?

Der Umgang mit dieser Form der Video-Okulografie sei einfach gewesen, die Patienten hätten „die Tests mit dem Gerät gut toleriert“ lobte das Team. Sollte sich die gute Diskriminierungsfähigkeit dieser Art von Geräten in größeren Studien bestätigen, sagt Newman-Toker der Video-Okulografie eine große Karriere voraus – sie könnte „eines Tages die Bedeutung eines Elektrokardiogramms (EKG) bekommen“.

In den USA ist das bei der Studie eingesetzte Gerät noch nicht zugelassen, in Europa schon. Das Schwindel-Zentrum Essen nutzt die Video-Okulografie bereits. Obermann betont, er sei „sehr zufrieden“ damit. Allerdings entziehen sich manche speziellen Schlaganfallformen dieser Form der Diagnostik von vorneherein. Deshalb gibt Obermann zu bedenken: „Dieses Gerät stößt dann an seine Grenzen, wenn es darum geht, eine Pseudoneuritis vestibularis auszuschließen – also einen Hirnstamminfarkt im Bereich der Vestibulariskerne, bei dem der Kopfimpulstest pathologisch ist.“ Grundsätzlich befürwortet er weitere, größere Studien.

Referenzen

Referenzen

  1. Newman-Toker DE, et al: Stroke (online) 5. März 2013
    http://dx.doi.org/10.1161/STROKEAHA.111.000033

Autoren und Interessenskonflikte

Petra Plaum
Es liegen keine Interessenskonflikte vor.

Obermann M: Es liegen keine Interessenskonflikte vor.

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