Die Hoffnung, dass Rotwein lebensverlängernde Eigenschaften besitzen könnte, erhält durch eine jetzt in der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie neue Nahrung: Durch in-vitro-Versuche und solche mit kultivierten Zellen ist es einem Team von 30 Wissenschaftlern gelungen, die direkte Aktivierung von Sirtuin 1 (SIRT1) durch die im Rotwein enthaltene Verbindung Resveratrol zu demonstrieren [1].
SIRT1 ist ein Protein, das „die Gesundheit und Langlebigkeit in Tiermodellen fördert“, erklärte die Harvard Medical School in ihrer Stellungnahme zu der Forschungsarbeit, an der neben dem Seniorautor und Laborleiter an der Abteilung Genetik Prof. Dr. David A. Sinclair weitere 6 Mitarbeiter dieser Institution beteiligt sind. Mit ihrer Arbeit hätten die Forscher den molekularen Mechanismus der Wechselwirkung zwischen Resveratrol und SIRT1 aufgeklärt und gezeigt, dass eine Gruppe stärker wirksamer Arzneien, die gegenwärtig in klinischen Studien erprobt werden, auf ähnliche Weise wie Resveratrol funktionieren.
Viele Altersforscher hatten sich in der vergangenen Dekade auf die Sirtuine konzentriert, eine Gruppe von Genen, denen eine Schutzwirkung gegen altersbedingte Schäden nachgesagt wird. Resveratrol war seit dem Jahr 2003 als ein bedeutender Aktivator der Sirtuine gehandelt worden. Wurden Mäuse mit hohen Dosen gefüttert, waren sie doppelt so ausdauernd wie Kontrolltiere; und sie schienen geschützt vor Übergewicht und Altersdiabetes. Bei Hefezellen und Fadenwürmern, Bienen, Fliegen und Mäusen war es zudem offenbar gelungen, durch die Aktivierung von Sirtuin-Genen die Lebensdauer zu verlängern.
Forscher und Überzeugungstäter
Als Nahrungsergänzungsmittel ist Resveratrol sowohl in den USA als auch in Deutschland erhältlich und wurde unter anderem vom Seniorautor des aktuellen Artikels über längere Zeit eingenommen. Sein Credo lautet: „In der Geschichte der Pharmazeutika hat es noch kein Arzneimittel gegeben, das die Wirkung eines Proteins in ähnlicher Weise beschleunigt wie Resveratrol dies bei SIRT1 tut.“ Alle anderen Arzneien würden SIRT1 entweder verlangsamen oder blockieren.
Allerdings waren in den vergangenen Jahren Zweifel aufgekommen, ob Resveratrol wirklich, wie von Sinclair postuliert, SIRT1 aktiviert. In den ursprünglichen Tests hatte man zum Nachweis ein Substrat benutzt, bei dessen Verstoffwechselung ein fluoreszierender Farbstoff abgespalten wurde. Konkurrierende Forschergruppen hatten mit anderen Substraten jedoch keinen Effekt von Resveratrol gesehen [2].
Sinclair und seine Mitarbeiter gingen von der Vermutung aus, dass Sirtuin unter natürlichen Umständen mit Verbindungen reagieren müsse, die der fluoreszierenden Seitenkette in dem ursprünglich benutzten Substrat ähneln. Sie fanden solch eine natürlich vorkommende Verbindung in Form der Aminosäure Tryptophan. Als sie damit die fluoreszierende Gruppe ersetzten, gelang es erneut, SIRT1 zu aktivieren.
„Wir haben eine Signatur für die Aktivierung entdeckt, die auch tatsächlich in der Zelle vorkommt, und diese anderen synthetischen Gruppen nicht benötigt“, sagte Erstautor Dr. Basil P. Hubbard. Danach hat das Forscherteam den genauen Angriffspunkt von Resveratrol an SIRT1 identifiziert. Sie schufen dafür etwa 2.000 verschiedene Mutationen im SIRT1-Gen, unter denen eine einzige die Wirkung von Resveratrol vollständig zunichte machte.
Der Austausch einer spezifischen Aminosäure unter den 747 Eiweißbausteinen von SIRT1 blockiert demnach die katalytische Aktivität des Proteins nicht nur in Gegenwart von Resveratrol, sondern auch bei anderen, stärker wirksamen Verbindungen aus einer Stoffbibliothek.
Nach diesen Reagenzglasversuchen überführten die Forscher das mutierte SIRT1-Gen in Haut- und Muskelzellen. Wie erwartet fand sich in diesen Zellen kein Effekt von Resveratrol, sehr wohl aber konnte eine Aktivierung von SIRT1 durch diese Substanz und weitere Arzneikandidaten in normalen Zellen nachgewiesen werden.
„Das war das Killer-Experiment“, so Sinclair in einer Pressemitteilung. „Es gibt keine andere rationale Erklärung, außer dass Resveratrol SIRT1 in Zellen direkt aktiviert. Jetzt, wo wir exakt wissen, an welcher Stelle und wie Resveratrol wirkt, können wir noch bessere Moleküle erschaffen, die noch genauer und effektiver die Effekte von Resveratrol auslösen.“
Verdacht auf Interessenkonflikte
Die Forschungsarbeit hat einen starken kommerziellen Hintergrund: Sinclair ist nicht nur Erfinder und Inhaber eines Patents, das an die Firma Sirtris lizensiert wurde. Er ist auch Mitbegründer und Berater von Sirtris, die im Jahr 2008 für 720 Millionen Dollar von dem Pharmaziehersteller GlaxoSmithKline übernommen wurde. 14 Mitarbeiter von Sirtris waren an der aktuellen Studie beteiligt. Und auch die Harvard Medical School könnte profitieren, denn sie hat zusammen mit Sinclair und Erstautor Hubbard ein Patent für einen Aktivitätstest von Sirtuinen beantragt.
Ursprünglich hatte Sirtris auch einen spezifischen Resveratrol-Extrakt kommerzialisieren wollen. Die letzte von mehreren klinischen Studien dazu war aber Ende 2010 eingestellt worden. Als Naturprodukt ist Resveratrol nicht patentierbar. Aktuell listet die Webseite der Firma dagegen 7 synthetische Verbindungen, die als Sirtuin-Aktivatoren in klinischen Studien der Phase 1 und 2 erprobt werden.
Die nun vorgelegte Studie dient somit auch dem Zweck, die Plausibilität dieser Strategie zu demonstrieren. Noch nicht widerlegt sind indes Zweifel an der Bedeutung der Sirtuine selbst: So kam eine vom Wellcome Trust und der Europäischen Union geförderte Untersuchung im Jahr 2011 zu dem Schluss, dass diese Moleküle die Lebensspanne im Tierversuch nicht verlängern, jedenfalls nicht bei Fadenwürmern und Fliegen [3].
„Sirtuine sind alles andere als der Schlüssel zu einem langen Leben“, hatte damals der Studienleiter Prof. Dr. David Gems vom Institute of Healthy Ageing des University College (London) kommentiert und geraten, man solle „die wissenschaftlichen Bemühungen wieder auf jene Prozesse auszurichten, die wirklich das Altern kontrollieren.“