San Francisco – Müssen Internisten und Kardiologen künftig vor dem Start einer antihypertensiven Therapie gezielt nach dem ophthalmologischen Status ihres Patienten fahnden? Denn die Senkung des systemischen Blutdrucks kann einer neuen Studie zufolge das Risiko erhöhen, dass sich ein gleichzeitig bestehendes Normaldruckglaukom progressiv verschlechtert – bis hin zum Verlust der Sehkraft.
„Unsere Studie stellt die Redewendung, dass ein niedriger Blutdrucks die beste Lebensversicherung sei, in Frage. Sie lässt nämlich vermuten, dass die Übertherapie einer arteriellen Hypertonie bei einem Normaldruckglaukom zum Verlust der Sehkraft führt“, sagte der leitende Studienarzt Dr. Carlos De Moraes auf dem 23. Jahrestreffen der American Glaucoma Society (AGS) in San Francisco. Das Forschungsteam fand heraus, dass neben der Bluthochdrucktherapie als solcher auch das Ausmaß und die Dauer des nächtlichen Blutdruckabfalls Prädiktoren für die Progression des Glaukoms darstellen.
Unter den 85 Studienteilnehmern hatten 32% eine Hypertonie und litten gleichzeitig an einem Normaldruckglaukom. Bei dieser Form des Glaukoms liegt der Augeninnendruck zwar im Normbereich, also unter 21 mmHg, dennoch drohen eine Schädigung des Sehnerven oder sogar der Verlust des Sehvermögens, wie De Moraes erläuterte, der am New York University Langone Medical Center in New York tätig ist.
Aus früheren Studien gibt es Hinweise, dass eine nächtliche Hypotonie häufig zusammen mit einem Normaldruckglaukom und einem zunehmenden Gesichtsfeldverlust auftritt. Selbst bei normalen Blutdruckwerten gilt ein zu niedriger relativer Abfall in der Nacht (<10%), als auch eine zu starke Absenkung (>20%) als eigenständiger Risikofaktor für ein Normaldruckglaukom [2].
In dieser Studie wurden daher Teilnehmer, die ein Normaldruckglaukom hatten und über Gesichtsfelddefekte berichteten, alle 6 Monate von einem Augenarzt untersucht. Außerdem erhielten sie eine Langzeit-Blutdruckmessung über 48 Stunden, bei der tagsüber und nachts alle 30 Minuten gemessen wurde.
Es zeigte sich, dass Patienten unter einer Hypertonietherapie, die ein Normaldruckglaukom hatten und deren Blutdruck über einen langen Zeitraum anhaltend in der Nacht abfiel, ein höheres Risiko für eine Glaukomprogression hatten als Teilnehmer mit einem normalen systemischen Blutdruck (p=0,020).
Leider lassen sich bei Patienten, die an Hypertonie und Glaukom leiden, auch nicht zwei Fliegen mit einer Klappe – in dem Fall mit Betablockern – schlagen. Zwar gelten Betablocker als Therapieoption auch beim Normaldruckglaukom, da selbst bei definitionsgemäß normalem Augeninnendruck aber bereits erkennbaren Glaukomschäden eine Senkung des Augeninnendruckes vorteilhaft ist [3,4]. Aber die Einnahme von Betablockern zur Therapie der systemischen Hypertonie erwies sich in dieser Studie nicht als protektiv gegenüber einem fortschreitendem Gesichtsfeldverlust, bemerkte De Moraes.
Fachübergreifender Therapieansatz
„Es ist notwendig, jene Patienten genau zu identifizieren, die das höchste Risiko für eine Verschlechterung des Normaldruckglaukoms haben. Um diese Patienten zu erkennen, insbesondere wenn es um Hypertoniker geht, müssen Kardiologen und Augenärzte fächerübergreifend zusammenarbeiten“, sagte De Moraes.
Das dürfte kein seltenes Problem sein: Rund 5% der 60- bis 70-Jährigen und etwa 14% der über 80-Jährigen leiden an einem so genannten Offenwinkelglaukom, der häufigsten Glaukomform überhaupt. Davon haben rund 50 bis 30% einen normalen Augeninnendruck, bei den übrigen ist er erhöht [3, 4]. Eine aktuelle epidemiologische Studie aus China fand unter 200 Hypertonikern (>40 Jahre) 7,9% Glaukompatienten, darunter überwiegend (6,2%) solche mit einem Normaldruckglaukom [5]. So aktuelle Erhebungen aus Deutschland zur Komorbidität der beiden Erkrankungen gibt es nicht.
Dr. Andrew Iwach, Sprecher der American Academy of Ophthalmology und Direktor des Glaucoma Center in San Francisco, wies im Gespräch mit Medscape Medical News auf die unterschiedlichen Herausforderungen von Glaukomformen mit erhöhtem und normalem Augeninnendruck hin. Der wesentliche Risikofaktor der meisten Glaukom-Patienten sei ein erhöhter Augeninnendruck, und viele von ihnen sprächen gut auf die Standardtherapien an. Die Behandlung eines Normaldruckglaukoms bei Patienten, die auch noch andere systemische Erkrankungen haben, könne sich jedoch komplexer gestalten.
„Wenn diese Patienten Bluthochdruck haben, ist in der Tat ein fachübergreifender Teamansatz notwendig, um die Risikofaktoren im Griff zu behalten“, sagte Iwach. „Die Konsequenzen von unbehandeltem Bluthochdruck sind erheblich, aber wir müssen auch daran denken, die Sehkraft derjenigen Patienten zu schützen, die Blutdruckmedikamente einnehmen.“ Bei Patienten mit fortschreitendem Verlust der Sehfähigkeit in Verbindung mit einem Normaldruckglaukom und einer Hypertonie hält Iwach daher ein nächtliches Screening des Blutdrucks für sinnvoll.
Dieser Artikel wurde von Andrea Thode aus Medscape.com übersetzt und adaptiert.