Lungenkrebs: Profitieren Patienten von einer prophylaktischen Antikoagulation?

Dr. med. Sylvia Bochum | 7. März 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Venöse Thromboembolien (VTE) sind eine häufige Komplikation bei Patienten mit Lungenkrebs und verschlechtern die Prognose. Eine prophylaktische Antikoagulation kann bei diesen Patienten nicht nur thromboembolische Komplikationen verhindern, sondern sogar das Leben verlängern. Zu diesem Ergebnis ist eine von Jing Zhang vom Shanghai Medical College gemeinsam mit Kollegen durchgeführte Meta-Analyse jetzt gelangt. Die Arbeit wurde kürzlich in der Zeitschrift Thorax veröffentlicht [1].

Etwa 20% aller tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien treten bei Personen mit einer Malignomerkrankung auf. Krebspatienten haben im Vergleich zur Normalbevölkerung ein vier- bis sechsfach erhöhtes Risiko für eine VTE. Vor allem bei Patienten mit einem Lungenkarzinom ist die Inzidenz deutlich erhöht. Gleichzeitig verschlechtert eine VTE signifikant die Überlebenswahrscheinlichkeit von Krebspatienten.

Die Thrombose-Prophylaxe mit Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten mit Lungenkrebs erscheint deshalb naheliegend – zumal diesen Wirkstoffen neben einer anti-thrombotischen Wirkung mittlerweile auch ein zusätzlicher anti-neoplastischer Effekt zugesprochen wird. Bei stationären Tumorpatienten ist die medikamentöse Thromboseprophylaxe deshalb inzwischen Standard, bei ambulant behandelten Patienten wird sie bislang aber noch nicht empfohlen.

Antikoagulation scheint Überlebensrate zu verbessern

Ob der prophylaktische Einsatz von Antikoagulanzien bei Lungenkrebspatienten neben der Reduktion des VTE-Risikos auch das Überleben verbessern kann, untersuchten die Autoren jetzt mit Hilfe einer Meta-Analyse. In diese wurden nach einer systematischen Literaturrecherche 9 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 2185 Lungenkrebspatienten eingeschlossen. Der Jadad-Scale – ein Maß zur Beurteilung der methodischen Qualität von Studien – lag im Durchschnitt bei 3,1 (Range 2-5). Ein Wert von ≥3 gilt allgemein als Äquivalent für eine hohe Qualität.

Die Meta-Analyse ergab, dass die prophylaktische Antikoagulation bei Lungenkrebspatienten zu einer signifikanten Verbesserung der 1-Jahres-Überlebensrate (RR 1,18) führte. Heparin s.c. erwies sich dabei als wirksamer als die oral verabreichten Vitamin-K-Antagonisten (RR 1.28 versus 1.13). Ein günstiger Effekt auf das Überleben ließ sich auch nach 2 Jahren nachweisen (RR 1,27), nicht aber nach nur 6-monatiger Gabe (RR 1,03).

Die Subgruppenanalyse ergab zudem, dass die Antikoagulation vor allem bei Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom (SCLC) oder in einem nicht-fortgeschrittenen bzw. limitierten Tumorstadium wirksam ist. Kein signifikanter Vorteil fand sich hingegen bei Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) oder in einem lokal fortgeschrittenen Tumorstadium.

Heparin mit weniger Komplikationen assoziiert

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Antikoagulation bei Patienten mit Lungenkrebs keinen kurzfristigen Überlebensvorteil generiert, sondern dieser erst nach einer längerfristigen Antikoagulation zum Tragen kommt – und zwar vor allem bei Patienten mit einem SCLC und jenen in einem günstigeren Tumorstadium. Ursächlich für diesen Überlebensvorteil ist nach Einschätzung der Autoren das mit der Antikoagulation einhergehende signifikant geringere Risiko für das Auftreten einer VTE (RR 0,55) oder eines anderen thromboembolischen Ereignisses (RR 0,48). 

Erwartungsgemäß erhöhte die Antikoagulation allerdings das Risiko für eine hämorrhagische Komplikation (RR 2,82). Mit dem Risiko für eine schwerwiegende Blutung scheinen aber vornehmlich die Vitamin-K-Antagonisten assoziiert zu sein (RR 5,14) – eine Beobachtung, die im Einklang mit den Ergebnissen zahlreicher anderer Studien steht. Die Autoren geben deshalb die Empfehlung, bei Lungenkrebspatienten zur Prophylaxe venöser Thromboembolien Heparin gegenüber Vitamin-K-Antagonisten den Vorzug zu geben. Damit sind sie mit der aktuellen Leitlinie des American College of Chest Physicians konform.

Nutzen-Risiko-Profil der Primärprophylaxe nicht gesichert

„Die Ergebnisse passen eigentlich sehr gut in das von vielen propagierte Konzept, dass eine prophylaktische Antikoagulation sich günstig auf die Tumorprognose auswirkt”, erklärt PD Dr. med. Florian Langer, Oberarzt an der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Allerdings sei zu bedenken, dass in dieser nur 9 Studien umfassenden Meta-Analyse einzelne Studien unverhältnismäßig stark ins Gewicht fallen.

Dazu gehöre auch eine Arbeit aus dem Jahr 2004, die unter Antikoagulation einen Überlebensvorteil bei Patienten mit einem SCLC suggeriert [2]. „Das war aber nur eine unizentrische Studie mit lediglich 42 Probanden je Behandlungsarm”, gibt Langer zu bedenken, der am UKE den Bereich Hämostaseologie leitet. Gleich mehrere internationale, multizentrische und randomisierte Studien hätten dagegen keinerlei Hinweise für einen Überlebensvorteil erbracht.

 
„Die aktuelle Datenlage rechtfertigt demnach keine routinemäßige Heparin-Prophylaxe.”
PD Dr. med. Florian Langer
 

„Die aktuelle Datenlage rechtfertigt demnach keine routinemäßige Heparin-Prophylaxe”, so Langer. Entsprechend gebe es auch keine Veranlassung, die gültigen Leitlinien zu überdenken. „Für ein klares Nutzen-Risiko-Profil ist die Gesamthäufigkeit einer Thrombose bei Lungenkrebspatienten absolut gesehen wahrscheinlich zu gering”, so Langer. Die Primärprophylaxe während einer ambulanten Tumorbehandlung bleibe deshalb bis auf Weiteres Einzelfällen mit einem hohen thromboembolischen Risiko vorbehalten.

Die einzige Tumorentität, für die sich momentan eine Indikation abzeichne, sei das Pankreaskarzinom. „Es gibt zwei unabhängige randomisierte Studien, die zeigen, dass bei dieser Krebserkrankung die Inzidenz hoch genug und die Risikoreduktion ausgeprägt genug ist, um die Primärprophylaxe zu rechtfertigen”, so Langer.

Referenzen

Referenzen

  1. Zhang J et al: Thorax (online) 15. Januar 2013
    http://dx.doi.org/10.1136/thoraxjnl-2012-202592
  2. Altinbas M et al: J Thromb Haemost. 2004; 2(8): 1266-1271
    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15304029

Autoren und Interessenskonflikte

Dr. med. Sylvia Bochum
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

J. Zhang: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

F. Langer: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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