Rheumatoide Arthritis: Mit straffem Zeitplan die Krankheit zurückdrängen

Simone Reisdorf | 19. Februar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Berlin – Bei 2 von 5 Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) kommt es bereits in den ersten 6 Monaten nach Symptombeginn zu irreversiblen entzündungsbedingten Zerstörungen von Gelenken. Auch im weiteren Krankheitsverlauf spielt Zeit eine entscheidende Rolle: „Time is joint – Zeit ist Gelenk!“ betonte die diesjährige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Prof. Dr. med. Elisabeth Märker-Hermann, Direktorin der Klinik für Rheumatologie an der Dr. Horst Schmidt Klinik in Wiesbaden, bei einem Pressegespräch der DGIM in Berlin [1].

Überholspur für neue RA-Patienten

In Deutschland sind deshalb bereits seit Jahren Bemühungen im Gange, RA-Patienten früher, zügiger und konsequenter als bisher zu behandeln. So wurde die S3-Leitlinie „Management der frühen rheumatoiden Arthritis“ erarbeitet, die unter anderem einen sofortigen Behandlungsbeginn neu diagnostizierter RA-Patienten mit klassischen Disease-Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs) empfiehlt [2].

Zudem wurden, um den oft monatelangen Wartezeiten zu begegnen, Früharthritis-Sprechstunden eingerichtet – gewissermaßen eine Überholspur für neue RA-Patienten. „Fast alle niedergelassenen internistischen Rheumatologen und, soweit möglich, viele Klinikambulanzen haben inzwischen eine solche Option geschaffen“, lobt Märker-Hermann ihre Kollegen im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Vermutlich ist es neben zahlreichen neuen medikamentösen Therapien auch diesem raschen Behandlungsbeginn zu verdanken, dass sich die Situation der RA-Patienten in Deutschland in den letzten 15 Jahren bereits deutlich verbessert hat: „Die Jahresmittelwerte des Disease Activity Score DAS28 haben sich von etwa 4,5 im Jahre 1997 auf etwa 3,2 im Jahre 2011 verringert, also in den Bereich der niedrigen Krankheitsaktivität hinein,“ zitierte Prof. Dr. med. Thomas Dörner, Rheumatologe an der Charité Berlin, Daten der Kerndokumentation der deutschen Rheumazentren [3].

Doch es geht noch besser. Mit den heute verfügbaren Medikationen scheint immer häufiger eine Remission erreichbar. Die Initiative „Treat to Target“ (T2T) will mit ihrem Behandlungsalgorithmus genau dieses ehrgeizige Ziel erreichen: die Remission der Erkrankung bei allen RA-Patienten und nur als Alternative, etwa nach Langzeitverläufen, eine niedrige Krankheitsaktivität. Dörner erläuterte, wie dies detailliert nach den T2T-Kriterien gemessen wird: Neben einem DAS28 von maximal 2,6 als Remissionswert sind der Clinical Disease Activity Index (CDAI, unter 2,8) und der Simplified Disease Activity Index (SDAI, unter 3,3) noch genauer in der Differenzierung der Remission. „Als ‚niedrige Krankheitsaktivität‘ gelten ein DAS28 bis 3,2, ein CDAI unter 10 und ein SDAI unter 11.“

Zeit als wichtigster Faktor

Die genannten Zahlen dieses „zusammengesetzten Messwertes der Krankheitsaktivität“ bei RA sollen als Grenzwerte dienen. Werden sie überschritten, soll dies laut T2T-Algorithmus für Arzt und Patienten Anlass zum Handeln sein – ähnlich wie beim Überschreiten bestimmter Werte für den Blutdruck oder den Langzeitblutzucker in anderen Fachdisziplinen. „Die RA-Therapie sollte dann zeitnah angepasst werden“, so Dörner. „Dies kann etwa durch eine Dosiserhöhung, einen Austausch der Medikation oder eine Zusatzbehandlung geschehen.“

Die Reihenfolge bestimmter Medikamente sei nicht Inhalt der T2T-Empfehlung, betonte der Rheumatologe. Auf Nachfrage von Medscape Deutschland erklärt er: „Wir werden sicherlich weiterhin mit konventionellen DMARDs beginnen und erst danach Biologika einsetzen. Der Schritt zum zweiten oder dritten Biologikum, soweit nötig, wird aber bei Beachtung der T2T-Kriterien künftig nicht mehr so lange hinausgezögert werden.“ So ist es ein zentrales Anliegen von T2T, die Therapie wenigstens alle 3 bis 6 Monatezu kontrollieren und gegebenenfalls anzupassen.

„Das Treat-to-Target-Konzept definiert nicht nur für Patienten mit Früharthritis, sondern auch für die schon länger Erkrankten eine straffe therapeutische Zeitschiene und orientiert sich dabei an strikten Zielen“, erläutert Dörner im Gespräch mit Medscape Deutschland den Stellenwert der Initiative. Diese wurde vor etwa 4 Jahren von europäischen Rheumatologen ins Leben gerufen, im April 2010 wurden ihre Ziele erstmals publiziert, und inzwischen wurden diese unter Mitarbeit einer etwa 60-köpfigen weltweiten Expertenkommission (einschließlich mehrerer Patientenvertreter) weiter entwickelt. Dörner betont: „Die von der Treat-to-Target-Initiative definierte Vorgehensweise einer konsequenten Therapieüberwachung und -anpassung mit engem Zeitrahmen wird heute weltweit von zahlreichen renommierten Kollegen angewandt; T2T beginnt sich zu etablieren.“

 
„T2T beginnt sich zu etablieren.“
Prof. Dr. med. Thomas Dörner
 

S1-Leitlinie gibt konkrete Empfehlungen für Deutschland

Im Gegensatz zum Treat-to-Target-Algorithmus geht eine aktuelle deutsche S1-Leitlinie, die ebenfalls alle Stadien der RA umfasst, bei den indizierten Medikamenten ins Detail [5]: Hier wird wie gewohnt für den Therapiebeginn Methotrexat (MTX) klar bevorzugt, bei Bedarf gefolgt von Kombinationen klassischer DMARDs, dem Einsatz eines Biologikums (in der Regel kombiniert mit MTX) und schließlich dem Wechsel des Biologikums sowie diversen Rescue-Optionen. Nur bei hoher Krankheitsaktivität oder/und ungünstiger Prognose wird bereits in der Zweitlinie der Einsatz eines Biologikums empfohlen. Allgemein wird darauf hingewiesen, dass sich bei den Biologika manchmal das Warten bis in den Therapiemonat vier bis sechs lohnen kann, bevor man einen Wechsel wegen (vermeintlicher) Wirkungslosigkeit in Erwägung zieht.

Referenzen

Referenzen

  1. Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), Berlin, 14. Februar 2013
    http://dgim2013.de/presse/pressekonferenzen/
  2. S3-Leitlinie Management der frühen rheumatoiden Arthritis
    http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/060-002l_S3_Management_fr%C3%BChe_rheumatoide_Arthritis_2011-10.pdf
  3. Kerndokumentation der Rheumazentren (Prof. Dr. Angela Zink, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin, Bereich Epidemiologie)
    http://dgrh.de/kerndokumentation.html
  4. Smolen JS, et al: Ann Rheum Dis 2010;69:631-637
    http://ard.bmj.com/content/69/4/631
  5. S1-Leitlinie Medikamentöse Therapie der rheumatoiden Arthritis
    http://dgrh.de/fileadmin/media/Praxis___Klinik/Leitlinien/2012/leitlinie_s1__medikamentoese_therapie_ra.pdf

Autoren und Interessenskonflikte

Simone Reisdorf
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Prof. Dr. med. Elisabeth Märker-Hermann
Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Prof. Dr. med. Thomas Dörner
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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