Je früher, desto besser: Neurostimulation bei Parkinson überzeugt

Andrea S. Klahre | 14. Februar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Die Neurostimulation (Tiefe Hirnstimulation, THS) korrigiert bei Morbus Parkinson nicht nur die klassische Symptomtrias Tremor, Rigor und Bradykinese. Vielmehr zeigt sich in ganzheitlicher Hinsicht ebenfalls eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität (QoL). Das Verfahren ist etabliert, weltweit wurden bisher etwa 75.000 Patienten operativ mit einem Neurostimulator versorgt.

Allerdings kommt die Neurostimulation bislang nur bei Patienten mit einer Krankheitsdauer von 13 bis 14 Jahren und schwerster Symptomatik zum Einsatz. Man geht nämlich davon aus, dass Patienten zu einem früheren Zeitpunkt eher von einer Medikation mit L-Dopa oder einem Dopaminagonisten profitieren. In dem Moment, in dem die ersten Probleme im psychosozialen Bereich, bei Motorik und Mobilität auftreten, sind Parkinsonpatienten im Durchschnitt bereits 5 Jahre erkrankt.

Die am 14. Februar 2013 im New England Journal of Medicine publizierte deutsch-französische EARLYSTIM Study zeigt nun, dass eine Neurostimulation plus „best available medication“ offenbar schon zu einem deutlich früheren Zeitpunkt funktioniert und der alleinigen medikamentösen Therapie überlegen ist [1].

Die Forschergruppe um den Initiator und deutschen Leiter der Studie, Prof. Dr. med. Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, ist zusammen mit dem französischen Team der Frage nachgegangen, ob und inwieweit eine THS den individuellen Krankheitsverlauf bei jüngeren Parkinsonpatienten in einem frühen Stadium gegenüber der medikamentösen Therapie verändert.

Primärer Endpunkt der Studie war die Lebensqualität, sekundäre Endpunkte waren Mobilität, Aktivitäten des täglichen Lebens, Emotionalität, körperliches Befinden, psychosoziale Anpassung, Kognition und Kommunikation.

Homogenes Bild zugunsten der Tiefen Hirnstimulation

 
„Besonders beeindruckend aber war das Outcome bei der Lebensqualität und psychosozialen Anpassung.“
 

„Die Studie hat wie keine andere zuvor ein homogenes Bild zugunsten der tiefen Hirnstimulation erbracht“, sagt Deuschl im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Fast ausnahmslos haben sich alle Parameter der Motorik verbessert. Besonders beeindruckend aber war das Outcome bei der Lebensqualität und psychosozialen Anpassung.“ Beide Effekte führt Deuschl darauf zurück, dass die Patienten ihren Tagesablauf nach der Operation wieder zuverlässig planen können, während die schlechten Phasen das vorher verhindert haben.

Für die Studie haben sich 9 deutsche und 8 französische universitäre Behandlungszentren (Deutschland: Kiel, Köln, Berlin, Düsseldorf, Kassel/Marburg, Tübingen, Freiburg, Heidelberg, München; Frankreich: Paris, Grenoble, Toulouse, Poitiers, Rouen, Nantes, Marseilles, Lyon) zusammengeschlossen, die bereits in der Vergangenheit durch große Studien zur Entwicklung der Neurostimulation beigetragen haben und über entsprechende Erfahrung in der Patientenversorgung durch interdisziplinäre Teams verfügen.

Zwischen 2006 und 2009 wurden insgesamt 251 durchschnittlich 52 Jahre alte Patienten mit rund 7,3-jähriger Krankheitsdauer randomisiert und 2 Jahre beobachtet. Einer Gruppe (n=125; 94 Männer, 30 Frauen) wurden bilateral in einer stereotaktischen Operation Elektroden in den Nucleus subthalamicus bzw. in die tiefen Hirnkerne implantiert und über einen subkutan in die Schlüsselbeingrube verlegten Impulsgeber stimuliert.

Grundlage für das Verfahren ist die Erkenntnis, dass die Symptomatik durch Veränderung der neuronalen Aktivität in diesem Areal verursacht wird. Die andere Gruppe (n=127; 85 Männer, 42 Frauen) erhielt nur Medikamente. Ein wichtiges Kriterium für die Teilnahme war eine hohe L-Dopa-Sensitivität.

Steigerung der Lebensqualität um 26%

Nach 2 Jahren zeigte sich bei den chirurgischen Patienten ein QoL-Zugewinn um 26%: Der Parkinson‘s Disease Questionnaire (PDQ-39) verbesserte sich von 30,2 auf 22,4 Punkte. Die QoL in der Medikamentengruppe verschlechterte sich um 1% oder 0,2 Punkte.

Auch bei fast allen sekundären Endpunkten – gemessen mittels Unified Parkinson´s Disease Rating Scale (UPDRS) – fielen die Ergebnisse für die Neurostimulationsgruppe besser aus: Die Mobilität im schlechtesten Zustand (UPDRS III, ohne Medikamente mit Stimulation) wurde um 53% gesteigert, die Aktivitäten des täglichen Lebens (UPDRS II) um 30%. Die Nebenwirkungen aufgrund einer L-Dopa-Gabe (L-DOPA-induzierte Komplikationen, UPDRS IV) wurden um 61% reduziert.

„Alle Werte waren damit hochsignifikant besser als die der medikamentösen Kontrollgruppe“, sagt Deutschl. „Das galt sogar für die wichtige neuropsychiatrische Komorbidität der Depression, da die Off-Phasen verkürzt wurden.“ Die Off-Phasen-assoziierte Depression tritt in späten Parkinsonstadien im Rahmen zeitlicher Schwankungen der Medikamentenwirkung auf. Die Patienten werden dyskinetisch und in der Folge schlimmstenfalls suizidal, weil sie fürchten, sich nie wieder bewegen zu können.

In der Medikamentengruppe verschlechterte sich die Dyskinesie, da die tägliche L-Dopa-Äquivalenzdosis um 21% zunahm. Keine Unterschiede zwischen den beiden Therapiearmen fanden sich bei den kognitiven Fähigkeiten und der Apathie, dagegen zeigten die THS-Patienten eine erhöhte Impulsivität. Insgesamt wiesen sie mehr Nebenwirkungen auf, darunter 27 schwerwiegende, die durch den Eingriff bedingt waren, jedoch bis auf eine Narbe bei einem Patienten folgenlos blieben. In der Medikamentengruppe kam es zu 56 schweren Nebenwirkungen.

Suizidalität nicht erhöht

 
„Wir gehen davon aus, dass nicht die THS per se Suizide auslöst, sondern dass sich für eine THS per se mehr suizidale Patienten entscheiden.“
 

Als weiteres „knackiges“ Ergebnis bezeichnet Deuschl das zur Suizidalität: „Wir haben gedacht, dass das Risiko sich unter einer THS erhöhen würde, das war aber nicht so.“ Im Verlauf der Studie kam es zu 3 Suiziden und 4 Versuchen, jeweils auf beide Gruppen homogen verteilt. „Wir gehen davon aus, dass nicht die THS per se Suizide auslöst, sondern dass sich für eine THS per se mehr suizidale Patienten entscheiden.“

Unbedingt notwendig sei daher ein engmaschiges Monitoring mithilfe eines standardisierten Fragebogens, neurologischen Gesprächs und einer konsiliarischen Untersuchung. Deuschl, der in Kiel inzwischen 650 Patienten mit einem Neurostimulator versorgt hat, freut sich: „Der Population, die früher nie operiert werden konnte, kann ich nun mit gutem Gefühl diese Option empfehlen.“

Prof. Yves Agid, Neurologe, Psychiater, Honorarprofessor am Pitié-Salpêtrière University Hospital in Paris und neben Deuschl zweiter Senior-Autor, sagt: „Die Arbeit hat den Beweis für die Überlegenheit der Neurostimulation zu einem früheren Zeitpunkt erbracht. Der Therapieerfolg hängt jedoch davon ab, dass klare Indikationskriterien und die Versorgung der Patienten durch ein multidisziplinäres Team gegeben sind.“

Und im Editorial des NEJM kommentiert Dr. Caroline M. Tanner vom Parkinson’s Institute Sunnyvale in Kalifornien, dass es sich um eine der am strengsten durchgeführten Studien zur Neurostimulation handele, die damit Maßstab für künftige Untersuchungen sei [2].

„Die Behandlung wurde evidenzbasiert und systematisch durchgeführt und von einem unabhängigen Panel beurteilt“, schreibt Tanner. „Wenngleich eine echte Verblindung in Neurostimulationsstudien schwierig ist, schätzten die Reviewer in Unkenntnis der Bedingungen und auf Basis standardisierter Videoaufnahmen die motorischen Funktionen ein.“

Selbst wenn bisher wenig Wissen über den Langzeiteffekt der Neurostimulation vorliege und dadurch auch nicht alle Symptome gelindert werden könnten, so verhelfe sie dennoch einer sorgfältig evaluierten Patientengruppe zu vielen guten Jahren.

Morbus Parkinson ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Weltweit sind rund 4,1 Millionen Menschen erkrankt, das entspricht knapp 2% der Bevölkerung im Alter über 60 Jahren. Wegen der demographischen Entwicklung gehen Schätzungen davon aus, dass sich die Zahl bis 2030 weltweit auf 8,7 Millionen verdoppeln wird. In Deutschland sind zwischen 250.000 und 280.000 Personen betroffen.

Referenzen

Referenzen

  1. Schuepbach WMM, et al: NEJM. 2013;368(7):610-622
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1205158?query=featured_home
  2. Tanner CM: NEJM. 2013;368(7):675-676.
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMe1214913?query=featured_home

Autoren und Interessenskonflikte

Andrea S. Klahre
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Finanziert wurde die Studie mit Geldern des deutschen Bundesforschungsministeriums, des französischen Programmes Hospitalier de Recherche Clinique National und durch die Firma Medtronic, dem Hersteller der implantierten Neurostimulatoren. Das Unternehmen hatte keinen Einfluss auf das Protokoll.

Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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