Präimplantationsdiagnostik: Der Weg ist frei

Andrea S. Klahre | 5. Februar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

„Es ist nicht gut, mit allen Tricks zu versuchen, auch Paaren mit schweren Erbkrankheiten in der Familie unbedingt ihren Kinderwunsch zu erfüllen.“ Mit diesen Worten hatte Prof. Dr. med. Frank-Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, im Vorfeld des Ende November 2011 verabschiedeten „Gesetz zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik“ (PräimpG) im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung ein Unbehagen in der deutschen Ärzteschaft formuliert, das sich aus mehreren Quellen speist.

Ob die kontroverse Debatte der vergangenen Jahre auch gesamtgesellschaftlich jetzt in ruhigeren Bahnen verlaufen wird, bleibt abzuwarten. Seit 1. Februar 2013 jedenfalls ist der Weg frei: Der Bundesrat hat der „Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik“ (PIDV) mit Änderungen zugestimmt und dem Gesetz somit den letzten Schliff für die Alltagstauglichkeit verpasst [1]. Jetzt fehlt – reine Formsache – nur noch der offizielle Kabinettsbeschluss.

 
„Es gibt endlich Rechtssicherheit für betroffene Paare und alle Beteiligten“
 

Nach Ansicht des Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr ist nunmehr der nach langem Diskurs gefundene Kompromiss umgesetzt worden, die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen und unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zuzulassen. „Es gibt endlich Rechtssicherheit für betroffene Paare und alle Beteiligten“, zeigte sich Bahr zufrieden [2].

Zulassung von Zentren: Nach Bedarf und öffentlichem Interesse

Die Rechtssicherheit bezieht sich auf die konkreten Anforderungen zur Umsetzung einer PID. Das bedeutet vor allem [1]:

  • Ein genereller Anspruch auf Zulassung eines PID-Zentrums besteht nicht. Entscheidend sind der Bedarf und das öffentliche Interesse. Hierdurch soll sich im Sinne der Qualitätssicherung eine Konzentration auf wenige Zentren erreichen lassen.
  • Die Zulassung von PID-Zentren ist Ländersache. Durch hohe inhaltliche, sachliche und personelle Anforderungen soll sichergestellt werden, dass eine PID nur in besonders qualifizierten Einrichtungen durch entsprechend qualifizierte Fachärzte (z.B. gynäkologische Endokrinologen, Reproduktionsmediziner, Humangenetiker) durchgeführt wird.
  • Unabhängige und interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommissionen bewerten die Anträge auf Durchführung einer PID. Neben medizinischen Aspekten sind auch psycho-soziale und ethische Gesichtspunkte zu berücksichtigen; die Entscheidungen müssen mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden. Die Bildung der Kommissionen obliegt ebenfalls den Ländern.
  • Eine beim Paul-Ehrlich-Institut angesiedelte Zentralstelle dokumentiert die von den PID-Zentren durchgeführten Maßnahmen. Die zu meldenden Angaben werden im Hinblick auf die Berichtspflicht der Bundesregierung unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Aspekte konkretisiert. Mit dem Datensatz können Trends in Bezug auf eine mögliche Ausweitung der Präimplantationsdiagnostik erkannt werden.

Als notwendiger Zeitaufwand für die landesrechtliche Umsetzung werden 12 Monate angegeben.

Häufigste Indikationen: Chorea Huntington und Myotone Dystrophie

Nun lässt das „PräimpG“ auch in Deutschland genetische Untersuchungen an Embryonen zu, die durch extrakorporale Befruchtung mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) oder intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) gezeugt wurden, um das Risiko für einen Chromosomendefekt bzw. eine schwere genetische Erkrankung des Kindes abschätzen zu können.

Die Untersuchungen finden vor dem intrauterinen Transfer an Zellen statt, die dem Embryo im Rahmen einer Biopsie entnommen wurden (§ 3a Abs. 1 Embryonenschutzgesetz). Zeigt sich ein potenzielles Risiko, wird der Embryo gegebenenfalls nicht transferiert.

Als Indikationen hierfür werden in der internationalen medizinischen Literatur schwere erbliche Belastungen in der Familie durch monogene Erkrankungen genannt, z.B. Zystische Fibrose, Myotone Dystrophie, Spinale Muskelatrophie, Sichelzellanämie, Chorea Huntington, Marker-X-Syndrom.

Weitere Indikationen sind chromosomale Erkrankungen – die bekannteste ist die Trisomnie 21 – oder wiederholte Fehl- und Totgeburten, für die Chromosomenstörungen ursächlich sein können. In einzelnen Fällen soll auch abgeklärt werden können, ob ein Embryo Stammzellen für die Behandlung eines erkrankten Geschwisterkindes spenden könnte (Stichwort: Retter-Geschwister oder engl. Saviour Sibling).

Insgesamt lässt sich hierzulande von den Erfahrungen vor allem in den USA, Großbritannien und Belgien profitieren, wo die PID zwischen Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre entwickelt wurde und seither praktiziert wird. Alle Daten der internationalen Zentren für Präimplantationsdiagnostik (Preimplantation Genetic Diagnosis, PGD) werden seit gut 25 Jahren im PGD Consortium der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) gesammelt. Als häufigste Anlässe für eine PID werden hier die beiden nicht behandelbaren neuronalen Erkrankungen Chorea Huntington und Myotone Dystrophie angegeben.

Die Gesamtzahl der Anträge in Deutschland auf Durchführung der PID wird im Bundesgesundheitsministerium auf 200 bis 300 pro Jahr geschätzt. Die Schätzungen für Europa liegen laut einer lesenswerten Analyse des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) bei etwa 12.000 bis zum Jahr 2005; die Anzahl der nach PID geborenen Kinder ist nicht exakt beziffert und wird zwischen 2.000 und 5.000 oder höher vermutet [3].

Ethisch-moralisch schwierige Fragen

Allerdings scheuen viele Paare selbst nach intensiver Beratung die PID und geben als Gründe die Komplexität des Themas und Risiken an. Letztere entsprechen denen der IVF/ICSI ohne PID, heißt es in der DRZE-Analyse: „Zum einen können durch die Eizellentnahme und beim Transfer der Embryonen nach der Diagnose Infektionen hervorgerufen werden, zum anderen tritt das ovarielle Hyperstimulations-Syndrom oft verstärkt auf ... Ein weiteres Risiko stellen gehäuft auftretende Mehrlingsschwangerschaften dar. Einige Studien belegen, dass in vitro gezeugte Embryonen ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko aufweisen.“

Hinzu kommen die ethisch-moralisch schwierigen Fragen wie „Rechtfertigt der Wunsch nach einem gesunden Kind, erwünschtes von unerwünschtem menschlichen Leben zu unterscheiden – das eine zu erwählen, das andere zu verwerfen, im Wortsinne wegzuwerfen?“ oder „Wird mit der diagnostischen Selektion die Würde des Embryos verletzt?“

 
"Aufgrund seiner reproduktions-
medizinischen Erzeugung unterliegt der Embryo in vitro einer besonderen Verantwortung; an ihr sind Ärzte und potenzielle Eltern in gleicher Weise beteiligt"
 

„Aufgrund seiner reproduktionsmedizinischen Erzeugung unterliegt der Embryo in vitro einer besonderen Verantwortung; an ihr sind Ärzte und potenzielle Eltern in gleicher Weise beteiligt“, sagte der Theologe Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates [4]. „Diese Verantwortung ist neuartig, weil bei natürlicher Empfängnis vergleichbare Eingriffsmöglichkeiten in den ersten Tagen der embryonalen Entwicklung gar nicht entstehen. Mit dieser Verantwortung verträgt es sich nicht, einen Embryo zu erzeugen, um ihn im Falle unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen.“

Menschen mit genetisch bedingten Behinderungen würden sich durch die Weiterentwicklung der PID und den damit verbundenen Ausweitungstendenzen tief infrage gestellt sehen, so Huber. „Den Bemühungen um Integration und Inklusion von Behinderten liefe eine solche Entwicklung zuwider.“

Referenzen

Referenzen

  1. Beratungsvorgang 717/12 (B)
    http://www.bundesrat.de/cln_320/nn_2372724/SharedDocs/Beratungsvorgaenge/2012/0701-800/0717-12.html
  2. Bundesrat stimmt Verordnung zur Präimplantationsdiagnostik zu – Bundesgesundheitsministerium: Pressemitteilung Nr. 5 vom 01.02.2013
  3. Präimplantationsdiagnostik – DRZE (Stand: Dezember 2012
    http://www.drze.de/im-blickpunkt/pid
  4. http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/pressekonferenz-2011-03-08-statement-huber.pdf

Autoren und Interessenskonflikte

Andrea S. Klahre
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