Sepsis: Frühzeitiger Flüssigkeitsausgleich kann Leben retten

Nancy A. Melville | 30. Januar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

San Juan/Puerto Rico – Die Prognose einer schweren Sepsis oder eines septischen Schocks ist schlecht, der frühestmögliche Therapiebeginn deshalb entscheidend für ein Überleben. Auf dem gerade zu Ende gegangenen 42. Critical Care Congress der Society of Critical Care Medicine in San Juan wurden die Ergebnisse einer Studie präsentiert, in der erstmals die Wirkungen eines Flüssigkeitsausgleichs innerhalb der ersten 3 Stunden analysiert wurden [1].

Bisher sieht das Behandlungsprotokoll bei Sepsis, die Early Goal-Directed Therapy (EGDT), eine erhöhte Flüssigkeitszufuhr in den ersten 6 Stunden vor [2]. Die EGDT soll bereits in der Notaufnahme beginnen, die Patienten sollen binnen 6 Stunden auf die Intensivstation verlegt werden. Ziel ist eine frühzeitige hämodynamische Stabilisierung.

Die leitende Autorin der vorgestellten Studie, Dr. Sarah Lee, Fellow für Internistische Intensivmedizin an der Mayo Clinic in Rochester/Minnesota, verwies im Gespräch mit Medscape Medical News darauf, dass bislang keine Forschungsergebnisse zu einer sehr frühzeitigen erhöhten Flüssigkeitszufuhr vorlagen: „Physiologisch gesehen ist es absolut nachvollziehbar, dass weniger Organschäden auftreten, wenn die Mangeldurchblutung zeitnah behoben wird. Zumindest in der Literatur gab es aber bisher schlicht keine Überlegungen dazu, schneller Flüssigkeit zuzuführen. Wir wollten den verinnerlichten Lehrsatz auf den Prüfstand stellen – ein Zeitraum von sechs Stunden ist möglicherweise einfach nicht gut genug.“

Das Team um Lee hat Daten von 594 Patienten ausgewertet, die mit einer schweren Sepsis oder septischem Schock ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, und für die ausführliche Daten über den Flüssigkeitshaushalt vorlagen.

Eine univariate Analyse ergab, dass die überlebenden Patienten in den ersten 3 Stunden nach Beginn der Sepsis mehr Flüssigkeit erhalten hatten (2.085 vs. 1.600 ml; p=0,007). Die Wissenschaftler passten ihre Berechnungen an für Alter, Körpergewicht bei Aufnahme, Gesamtflüssigkeitszufuhr in den ersten 6 Stunden nach Beginn der Sepsis, Komorbidität und APACHE-III-Score, ein Prognoseverfahren zur Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten einer Intensivstation.

Fazit: Mehr Flüssigkeit innerhalb der ersten 3 Stunden senkte die Krankenhausmortalität (OR: 0,34; 95% CI 0,15-0,75; p= 0,008). „Obwohl in beiden Gruppen – sowohl bei Überlebenden als auch bei Patienten, die im Krankenhaus starben – die gleichen Gesamtmengen an Flüssigkeit binnen 6 Stunden zugeführt wurden, wichen die klinischen Ereignisse stark ab zugunsten der Gruppe, die mehr Flüssigkeit über die ersten 3 Stunden erhalten hatte“, berichtete Lee.

Jede Stunde zählt

Die Studie unterstreiche laut Lee die Bedeutung der zentralvenösen Sauerstoffsättigung (ScvO2) bei Sepsis. „Bei den Patienten, die verstarben, entsprachen die mittleren Werte für den zentralen Venendruck und für den mittleren arteriellen Druck den Empfehlungen der EGDT, das galt jedoch nicht für die ScvO2. Dies entspricht Ergebnissen anderer Studien, wonach ScvO2 der bedeutsamere klinische Marker bei verminderter Gewebedurchblutung ist.“

Wie wichtig es sein kann, schon vor Aufnahme ins Krankenhaus Flüssigkeit zuzuführen, wird seit einigen Jahren zunehmend diskutiert. Notfalleinsatzkräfte beginnen bei vermuteter Sepsis bereits am Einsatzort mit dem Flüssigkeitsausgleich. Ihre Studie unterstütze ein solches Vorgehen, sagte Lee. „Wir wollen Ärzte davon überzeugen, dass jede Stunde zählt.“

 
„Wir wollen Ärzte davon überzeugen, dass jede Stunde zählt.“
 

Zustimmung finden die Ergebnisse auch bei Dr. Lance Becker, Professor für Notfallmedizin an der University of Pennsylvania in Philadelphia: „Über die physiologischen Vorgänge wissen wir, dass die Gewebeveränderungen bei einem Schock diesen gewissermaßen verstärken, wenn Menschen im Schockzustand verbleiben – es ist wie in einem Teufelskreis. Bei niedrigem Blutdruck führen einige der physiologischen Signale dazu, den Blutdruck weiter niedrig zu halten, wodurch sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtert. Deshalb kann ein Schock unbehandelt zum Tod führen,“ sagte er Medscape Medical News.

Da es bisher keine Guideline für einen frühzeitigen Flüssigkeitsausgleich gibt, hält Becker die Studienergebnisse für wichtig. „Vieles spricht für eine Verankerung in den Leitlinien, doch die Datenlage ist zu spärlich. Wissenschaftliche Gesellschaften zögern, konkrete Zeitpläne zu empfehlen. Ich denke, die vorliegende Studie zeigt, worauf geachtet werden muss und wird die Fachdiskussion für alle voranbringen, die sich um Schockpatienten kümmern.“

Dieser Artikel wurde von Andrea Thode aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

Referenzen

Referenzen

  1. 42nd Critical Care Congress of the Society of Critical Care Medicine (SCCM); 19.-23. Januar 2013, San Juan, Puerto Rico. Lee S: Abstract 26. Vorgestellt am 20. Januar 2013.
    http://www.sccm.org/Annual_Congress/Pages/default.aspx
  2. Rivers E, et al: N Engl J Med. 2001;345:1368-1377.
    http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa010307

Autoren und Interessenskonflikte

Nancy A. Melville
Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Dr. Sarah Lee und Dr. Lance Becker haben keine relevanten finanziellen Beziehungen offenbart.

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