Impfstoff gegen B-Meningokokken zugelassen und ab Mitte 2013 verfügbar

Jasmin Andresh | 28. Januar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Am 22. Januar 2013 wurde ein neuer Impfstoff gegen Meningokokken der Serogruppe B (MenB) durch die Europäische Kommission zugelassen. Die Marktzulassung von Bexsero® erfolgte auf Grundlage von Studiendaten, die das britische Fachjournal The Lancet  am 14. Januar 2013 vorab online veröffentlicht hatte [1]. Der Impfstoff soll in den nächsten Monaten, spätestens bis Mitte des Jahres 2013 verfügbar sein, sagte Dr. Volker Husslein, Sprecher des Herstellers Novartis, der Redaktion von Medscape Deutschland. Zur Frage der Kostenübernahme erläuterte Florian Lanz vom Stabsbereich Kommunikation des GKV-Spitzenverbandes, dass die Impfung erst dann als Kassenleistung erstattet werden könne, wenn eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) sowie ein Beschluss des G-BA vorliege. Die Kassen könnten sie bis dahin jedoch als Satzungsleistung erstatten.

Impfung scheiterte bisher an der Bakterienkapsel

Obwohl es schon längere Zeit Impfstoffe gegen andere Meningokokken-Serogruppen gibt, scheiterte man Jahrzehnte an dem Versuch, einen Impfstoff gegen Typ B zu entwickeln. Der Grund: Die Kapsel gleicht fetalen menschlichen Nervenzellen, gegen die man keine Abwehrreaktionen hervorrufen wollte. Sie ist außerdem wenig immunogen. Um Kreuzreaktionen und Toleranzentwicklung zu vermeiden und um eine bessere Immunantwort zu erzielen,  entwickelte man einen Impfstoff, der dem Immunsystem keine Kapselbestandteile sondern andere Bakterienstrukturen präsentiert. Das Genom der Serogruppe B half dabei, 3 besonders immunogene Antigene als die Kandidaten zu identifizieren: Faktor-H bindendes Protein, Neisseria Adhesin A und Neisseria Heparin bindendes Protein.

Außerdem sollte der Impfstoff möglichst viele der B-Meningokokken-Stämme abdecken. Der aus 4 Komponenten bestehende, tetravalente Konjugatimpfstoff 4MenB enthält deshalb eine weitere Komponente, die mit dem neuseeländischen MenB-Impfstoff identisch ist (NZ98/254). Damit konnte bereits der Ausbruch einer Meningitis-Endemie kontrolliert werden, die von einem Stamm herrührte, der in den letzten 20 Jahren auch in Europa zirkulierte.

Ein Team um Prof. Dr. Timo Veskari von der Universität der Tampere Medical School (Finnland) prüfte den neuen 4MenB-Impfstoff  auf seine Chargenkonsistenz, Sicherheit und Stärke der Immunantwort. Zudem erhoben sie Daten darüber, ob bei gleichzeitiger Gabe von 4MenB mit einem Routine-Impfstoff die Immunantwort womöglich abgeschwächt wird.

Gemäß Studiendesign erhielten 2.627 Kinder im Alter von 2, 4 und 6 Monaten entweder eine Routine-Impfung (DTaP-IPV-HepB-HIB als Infanrix Hexa® und Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff Prevenar®) zur Grundimmunisierung (n=659) oder diese und zusätzlich 4MenB (n=1968) aus einer von 3 Chargen.

Alle 3 verwendeten Chargen erzielten konsistente Ergebnisse (95% Konfidenzintervall (KI): 0,74 – 1,33). Bei einer Blutuntersuchung mit 7 Monaten wiesen die so geimpften Kinder zu 84-100% Antikörperspiegel gegen 4 Referenzstämme von B-Meningokokken auf, die als ausreichend für den Schutz vor einer Infektion eingestuft wurden. Außerdem zeigte sich, dass die Kombination mit der Routineimpfung deren Immunisierungspotenzial nicht abschwächt.

Testung von Nebenwirkungsprofil und Booster-Effekten

Außerdem wurde das Nebenwirkungsprofil der verschiedenen Chargen des 4MEnB-Impfstoffes im Vergleich zu einer Impfung gegen MenC geprüft. Von insgesamt 1.003 Kindern erhielten 513 dreimal eine Routinegrundimmunisierung kombiniert mit 4MenB und 490 Testpersonen eine solche mit MenC.

Um die Boosterung zu testen, wurden die Eltern aller Kinder, die in der ersten Studie den 4MenB-Impfstoff erhalten hatten, eingeladen, ihr Kind mit 12 Monaten zur Auffrischungsimpfung zu bringen. Diese 1.555 Kinder wurden wiederum randomisiert zwei Armen zugeteilt: Eine Gruppe (n=766) erhielt den 4MenB-Auffrischungsshot zusammen mit der nun fälligen Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMRV mit Priorix-Tetra®). Die andere (n=789) bekam lediglich die Auffrischung mit 4MenB, die MMRV-Impfung wurde diesen Kindern dann einen Monat später verabreicht.

Nur 3 Fälle von Fieberkrämpfen konnten in zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung mit 4CMenB + Routine-Impfung beobachtet werden. Alle anderen Fälle traten in Zusammenhang mit Infektionen oder bei neurologischer Vorbelastung auf.
Die vierte Boosterimpfung ließ den damals erkennbar abnehmenden Titer wieder ansteigen, so dass 95-100% der Kinder wieder ausreichend hohe Antikörpertiter aufwiesen; dabei war es gleichgültig, ob sie allein die Boosterdosis für 4MenB erhalten hatten oder diese gleichzeitig mit der Routine-Impfung mit MMRV verabreicht bekamen.

Der Anfang vom Ende der Meningokokken-B-Meningitiden?

Prof. Andrew J. Pollard und sein Mitarbeiter Dr. Matthew D. Snape von der Oxford Vaccine Group der Universität von Oxford (UK) bewerten die Verfügbarkeit eines MenB-Impfstoffes als großen Fortschritt [2]. Sie weisen gleichzeitig darauf hin, dass die Bevölkerung insgesamt nur profitiert, wenn die Vakzine in den Routineimpfplan integriert werde. Ob und wie eine Herdenimmunität zu erreichen sei, sei noch unklar. Daher sei die Bewertung der Kosten-Nutzen-Effektivität derzeit schwierig.

Aufgrund von Hochrechnungen – die aber hauptsächlich auf den Analysen des Impfstoffherstellers beruhen – könnte der neue Impfstoff in 5 europäischen Ländern 77,5% der virulenten MenB Stämme abdecken. Träfe das zu, könnte man tatsächlich künftig Meningokokken-Erkrankungen effektiv kontrollieren.
Um die Nebenwirkung Fieber zu kontrollieren und die Compliance der Eltern zu erhalten, empfehlen Snape und Pollard die prophylaktische Gabe von Paracetamol. Dem Fieber und Fieberkrämpfen sollte besondere Aufmerksamkeit gelten. Außerdem gelte es, die Kawasaki Krankheit als mögliche Impffolge im Auge zu behalten, da während der klinischen Prüfung 3 gesicherte Fälle aufgetreten waren. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der 4MenB-Impfung konnte aber nicht sicher festgestellt werden.

Erstmals Impfung gegen MenB verfügbar

Bislang gab es keine Möglichkeit, gegen Meningokokken der Serogruppe B (MenB) zu impfen. Dieser Subtyp ist für den Großteil der Meningokokken-Erkrankungen (70-75%) in Deutschland verantwortlich, die sich meist als Sepsis oder Meningitis manifestieren [3]. Die Meningokokken-Meningitis ist die häufigste bakterielle Form der Meningitiden.

Im Jahr 2011 erkrankten laut Robert Koch-Institut (RKI) 370 Menschen an Meningokokken, 30 starben nachweislich daran. Eine Meningokokken-Meningitisist in Deutschland in absoluten Zahlen beziffert zwar selten, kann jedoch innerhalb von 24-48 Stunden zum Tod führen. Selbst bei früher Diagnose und adäquater Behandlung endet die Meningitis für etwa 10% der Patienten tödlich. Bei 10–20% der Überlebenden kommt es zu Hirnschäden, Hörverlust oder einer Lernbehinderung [4]. Am häufigsten erkranken Kinder im Alter unter 5 Jahren, mit Erkrankungsgipfeln im Säuglingsalter sowie unter Jugendlichen [5]. Die Sepsis ist seltener, ihre Folgen noch schwerwiegender.  Etwa 10% der Bevölkerung tragen B-Meningokokken im Nasen-Rachen-Raum und sind dabei symptomfrei.

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI), Prof. Dr. Klaus Cichutek, bekräftigt vor diesem Hintergrund: „Es ist wichtig, dass wir nun auch in der Lage sind, gegen Meningokokken B zu impfen, um diese Krankheit immer weiter zurück zu drängen." Das PEI hatte als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel die klinischen Prüfungen für 4MenB im Vorfeld genehmigen müssen und auch am Studiendesign mitgewirkt.

"Es wird möglicherweise kritisiert werden, dass für diesen Impfstoff keine Wirksamkeits-Studien stattgefunden haben. Der Grund dafür ist, dass in keinem Land der Welt die Inzidenz für diese Erkrankung so hoch ist, dass dies möglich gewesen wäre", begründet Cichutek das Vorgehen der Studienleiter.

Referenzen

Referenzen

  1. Vesikari T, et al: The Lancet (online) 14. Januar 2013; 
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(12)61961-8
  2. Snape MD, et al: The Lancet (online) 14. Januar 2013;
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(12)62194-1 
  3. Nationales Referenzzentrum für Meningokokken am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg:
    http://www.meningococcus.uni-wuerzburg.de/startseite/informationen_fuer_eltern/
  4. WHO-Factsheet zu Meningokokken
    http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs141/en/
  5. EpidemiologischesBulletin, 13. August 2012 / Nr. 32
    http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2012/Ausgaben/32_12.pdf?__blob=publicationFile

Autoren und Interessenskonflikte

Jasmin Andresh
Autorin ist freie Medizinjournalistin. Sie schreibt u.a. Patienteninformationen für Webseiten von Novartis Oncology.

E. Ypma, I. Kohl, D. Toneatto, P. Dull und A. Kimura sind Vollzeitangestellte des Herstellers Novartis Vaccines and Diagnostics, die anderen Autoren haben für die Durchführung der Studie Gelder von Novartis Vaccines and Diagnostics erhalten.

MD Snape und AJ Pollard: Studienleiter in von Novartis Vaccines and Diagnostics gesponserten klinischen Prüfungen. Sie haben keine persönlichen Honorare von Novartis erhalten.

Universität Oxford: Reisekosten für Konferenzbesuche von Matthew Snape erhalten, außerdem für den Besuch von Advisory Board Meetings und Symposien. Zudem erhielt sie uneingeschränkte Forschungszuwendungen für Konferenzen und Symposien, die Matthew Snape organisierte.

K. Cichutek
Es liegen keine Interessenskonflikte vor.

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