Transplantation von Darmbakterien verhindert die Entwicklung von Typ-1-Diabetes bei NOD-Mäusen

Michael Simm | 28. Januar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Neue Erkenntnisse darüber, wie die Zusammensetzung der Darmflora das Risiko für bestimmte Autoimmunerkrankungen beeinflussen könnte, liefern Transplantationsexperimente mit non-obese diabetic (NOD)-Mäusen, dem wichtigsten Tiermodell für die Entstehung von Typ-1-Diabetes.

An den Untersuchungen unter Leitung von Prof. Dr. Jayne Danska vom Hospital für Sick Children in Toronto waren auch Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig beteiligt. Sie haben den Stoffwechsel der Tiere anhand von Plasmaproben untersucht und eindeutige Zusammenhänge zwischen der Art der Darmbewohner, dem Sexualhormon Testosteron und dem Risiko für Typ-1-Diabetes festgestellt.

Die Ergebnisse könnten erhellen, warum Frauen häufiger als Männer an Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose und Rheumatoider Arthritis erkranken, verlautbarte das Magazin Science, wo die Arbeit am 17. Januar 2013 online publiziert wurde.

Dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren die Anfälligkeit gegenüber Autoimmunerkrankungen beeinflussen, ist zwar gut dokumentiert. Welche spezifischen Umweltfaktoren eine Rolle spielen, sei aber nicht gut verstanden, erläuterte Danska den Hintergrund der Studie.

Regulieren Darmbakterien die Testosteronproduktion und/oder -nutzung?

Als Modell wählte man die NOD-Maus, einen Inzuchtstamm, der mit hoher Wahrscheinlichkeit einen insulinpflichtigen Typ-1-Diabetes entwickelt, dessen Ätiologie der beim Menschen ähnelt. Allerdings werden bei der NOD-Maus anders als beim Menschen geschlechtstypische Unterschiede in der Inzidenz von Diabetes beobachtet: Die Weibchen erkranken etwa dreimal häufiger als die Männchen. Bei keimfrei aufgezogenen Tieren ohne Bakterien im Darm, erkranken dagegen beide Geschlechter gleich häufig.

Es konnte gezeigt werden, dass männliche, nicht keimfrei gehaltene Tiere – Männchen mit intaktem intestinalem Mikrobiom – erhöhte Testosteron-Konzentrationen aufwiesen, die offensichtlich protektiv wirken. Der Beweis lag vor, nachdem den keimfreien Weibchen die männliche Mikrobiota implantiert worden war und beide Geschlechter eine gleichermaßen reduzierte Erkrankungshäufigkeit auswiesen, wie vorher nur die nicht keimfreien Männchen. Das legt nahe, dass die Kolonisierung mit kommensalen Mikroben die Produktion und/oder Nutzung von Testosteron reguliert.

Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) hat daraufhin Dr. Ulrike E. Rolle-Kampczyk Metabolomuntersuchungen aus Serumproben der Tiere durchgeführt: 183 verschiedene endogen gebildete Stoffwechselprodukte unterschiedlicher Stoffklassen wurden massenspektrometrisch quantifiziert – mit dem Ergebnis, dass sich die männlichen und weiblichen Tiere mit intakter Mikrobiota durch ein verändertes Metabolitenspektrum in der Gruppe der Glycerophoshpolipide und Sphingomyeline unterscheiden lassen. Das war bei den keimfrei gehaltenen Tieren nicht mehr möglich.

„Das lässt darauf schließen, dass die Kolonisierung mit kommensalen Mikroben den Stoffwechsel sehr weitreichend beeinflusst. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, weitere Zusammenhänge zur geschlechtsspezifischen Krankheitsentstehung zu finden“, so Rolle-Kampczyk im Gespräch mit Medscape Deutschland.

Geschlechtsspezifische Unterschiede werden mit dem Alter immer größer

Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien haben die Wissenschaftler um Danska ebenfalls erfasst; sie konnten darstellen, wie zwischen einem Alter von 3 Wochen über die Pubertät (6 Wochen) bis ins Erwachsenenalter (14 Wochen) die geschlechtsspezifischen Unterschiede immer größer wurden.

Unter den mittels sequenzierter 16S-RNA identifizierten Mikroben waren Vertreter der Gattungen Roseburia, Coprococcus 1 und Bilophilia bei den ausgewachsenen Männchen etwa 2- bis 3mal häufiger. Parabacteroides fanden sich hingegen signifikant häufiger bei den Weibchen.

In weiteren Transplantationsexperimenten, bei denen Darminhalte per Magensonde übertragen wurden, veränderte sich nicht nur das intestinale Mikrobiom – vor allem Peptococcus wurde dezimiert; Weibchen, die auf diesem Wege das männliche Mikrobiom erhalten hatten, zeigten anschließend ein deutlich niedrigeres Risiko für Typ-1-Diabetes: Statt 85% erkrankten nur 25%. Den protektiven Effekt konnten die Wissenschaftler wieder zunichte machen, indem sie die Aktivität von Testosteron mit Implantaten des Androgenrezeptor-Antagonisten Flutamid blockierten.

Das immunologisch relevante Geschehen spielt sich in der Darmschleimhaut ab

„Unsere Ergebnisse weisen auf mögliche Strategien für den Einsatz normaler Darmbakterien hin, um das Fortschreiten eines Insulin-abhängigen Diabetes bei Kindern mit hohem genetischen Risiko zu blockieren“, schreibt Studienleiterin Danska. In Zukunft werde es vermutlich einfacher werden, Neugeborene und Kinder zu identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Autoimmunerkrankung entwickeln. Deshalb sei es sinnvoll, die Möglichkeit zu erkunden, derartige Leiden durch gezielte Eingriffe in das Besiedelungsmuster der Mikrobiota zu verzögern oder zu verhindern.

Zurückhaltender äußert sich Prof. Dr. Martin von Bergen, Sprecher der Abteilung Metabolomik am UFZ, die sowohl an den Experimenten als auch der Datenanalyse beteiligt war, und Leiter der Abteilung Proteomik. „Die Versuche werfen zwar ein Licht auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Zusammensetzung der Darmflora, dem Testosteron-Stoffwechsel und Mechanismen der Autoimmunität, allerdings stehen wir hier noch ganz am Anfang“, betont von Bergen im Gespräch mit Medscape Deutschland. Obwohl man signifikante Änderungen bei zahlreichen Bakterienspezies und Metaboliten gefunden habe, sei dies noch keine ausreichende Grundlage für mögliche Therapieversuche.

Etwa 1.000 verschiedene Bakterienarten finden sich im Darm des Menschen, 200 bis 300 regelmäßig. Erste Erfolge, die in jüngster Zeit mit Fäkaltransplantationen erzielt wurden, zeigten laut von Bergen zwar, dass eine Verdrängung schädlicher Darmbewohner prinzipiell möglich sei, „das immunologisch relevante Geschehen spielt sich jedoch hauptsächlich in der Darmschleimhaut ab – und die müssen wir uns sehr viel genauer anschauen.“

Zugleich erinnert der Wissenschaftler an einen Ausspruch von Max Planck: „Der Anwendung muss das Erkennen vorausgehen.“

Referenzen

Referenzen

    Markle JGM, et al: Science (online) 17. Januar 2013
    http://dx.doi.org/10.1126/science.1233521

Autoren und Interessenskonflikte

Michael Simm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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