Die Ärzteschaft in den Vereinigten Staaten ist gespalten, wenn es um das routinemäßige Bluthochdruck-Screening bei Kindern und Jugendlichen geht. Die einschlägigen Empfehlungen sind widersprüchlich und wurden in 2 Publikationen am 8. Januar 2013 im JAMA Pediatrics online veröffentlicht [1,2].
Im Übersichtsartikel des Autors Dr. Arnaud Chiolero (IUMSP, Institut für Sozialmedizin und Prävention, Lausanne, Schweiz) und seinen Mitarbeitern wird behauptet: „Es gibt keinerlei zwingende Gründe, die für ein allgemeines Blutdruck-Screening bei gesunden Kindern sprechen.“
In dem begleitenden Leitartikel halten die Pädiater Dr. Stephen R Daniels und Samuel S Gidding (University of Colorado School of Medicine, Aurora, National Heart, Lung, and Blood Institute und die American Academy of Pediatrics in den USA) jedoch dagegen: Sie würden routinemäßige Blutdruckmessungen bei Kindern ab einem Alter von 3 Jahren empfehlen.
Was bedeutet „Hypertonie im Kindesalter”?
Obwohl das NHLBI und auch andere, europäische Institutionen, z. B. die Europäische Gesellschaft für Hypertonie, ein generelles Screening empfehlen, geben Chiolero und seine Kollegen Folgendes zu bedenken: „Keine Studie hat bisher Nutzen und Risiken eines Blutdruck-Screenings bei Kindern experimentell evaluiert.“ Sie schlussfolgerten daher: „Wir benötigen Studien, die das absolute Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen in Zusammenhang mit erhöhtem Blutdruck in der Kindheit untersuchen. Auch bedarf es einer Vereinfachung des Screening-Verfahrens sowie der Langzeitevaluierung einer bereits in der Kindheit beginnenden, blutdrucksenkenden Behandlung.”
Daniels und Gidding erkennen an, dass einige dieser angesprochenen Kritikpunkte bedacht werden müssen. „Die Definition einer Hypertonie sollte bei Kindern differenzierter erfolgen und ihre Vorteile sollten angemessen gegenüber den unerwünschten Wirkungen abgewogen werden“, heißt es.
Blutdruck im Rahmen der U-Untersuchungen und bei Verdacht messen
Die gegenwärtig verwendeten Kriterien, mit deren Hilfe ein erhöhter Blutdruck im Kindesalter definiert wird, seien tatsächlich kompliziert, geben US-amerikanische Pädiater zu bedenken. Derzeit werden darin Alter, Geschlecht und Körpergröße sowie verschiedene diagnostische Grenzwerte berücksichtigt. Bevor man darüber diskutiere, ob man den Blutdruck bei Kindern regelmäßig messen sollte oder nicht, müsste erst eine verlässliche Definition her.
Diese Bedenken teilen auch deutsche Experten. „Die Definition von arterieller Hypertonie im Kindesalter ist schwieriger als im Erwachsenenalter und bezieht sich auf Perzentilenkurven für den Blutdruck im Kindesalter“, hieß es auf Anfrage von Medscape Deutschland bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Berlin. Allerdings, so lautet die Empfehlung von Prof. Dr. med. Norbert Wagner, dem Präsidenten der DGKJ, ist dennoch „eine Blutdruckmessung sinnvoll, etwa im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen“.
Chiolero und seine Kollegen haben jedoch auch Vorbehalte wegen der potenziellen Risiken eines Blutdruck-Screenings, etwa, wenn dadurch Angst erzeugt würde, z. B. durch Pathologisierung. Die Pädiater sehen hingegen keinerlei wissenschaftliche Evidenz für ein solches Risiko.
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Rascher, Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum in Erlangen, hält die international gültige Empfehlung, dass bei jeder klinischen Untersuchung bei Kindern ab dem Alter von 3 Jahren der Blutdruck gemessen werden sollte, durchaus für sinnvoll [3]. Leider würde das in der Praxis nicht umgesetzt. Wichtig sei auch die Verlaufskontrolle, denn: „Bei der ersten Blutdruckmessung werden häufig zu hohe Werte gemessen, die dann doch normal sind“.
Rascher verweist auch darauf, dass es klare Indikationen zur Blutdruckmessung schon bei Kindern unter 3 Jahren gebe, etwa Herzfehler oder Nierenkrankheiten. Außerdem müsse man bei Kindern dann, wenn es Symptome oder Risikofaktoren für eine Hypertonie gebe, den Blutdruck ebenfalls regelmäßig messen. Dazu zählen Kopfschmerzen ebenso wie ein Hochdruck der Eltern.
Bei 6% der Jungen und 1,4% der Mädchen im Alter liegt der Blutdruck bei einer ersten Messung über 140/90 mmHg [4]. Rascher hält eine falsche Zurückhaltung für nicht angebracht: „Den Blutdruck aus Angst nicht zu messen, ist sicher falsch. Es ist richtig, den Blutdruck zu messen, auch um die Kinder an diese wichtige Untersuchungsmethode zu gewöhnen“. Nur sollte man nicht aus einer einzigen Messung bereits den Verdacht auf eine Hypertonie äußern, sondern das Ergebnis kontrollieren. Bei Schulkindern kann eine Hypertonie mit Hilfe einer 24-Stunden-Blutdruckmessung gesichert werden.
Dieser Artikel wurde von Dr. Immo Fiebrig aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.