Gonorrhoe: Neue Leitlinie zur Antibiose und eventuell wieder meldepflichtig

Ute Eppinger | 15. Januar 2013

Autoren und Interessenskonflikte

Die Diagnose Tripper ist allenfalls mit Attributen wie peinlich, lästig und unangenehm assoziiert, aber dank Antibiotika gilt diese Geschlechtskrankheit als beherrschbar und nicht gefährlich. Zur Entwarnung mag auch beigetragen haben, dass zur Jahrtausendwende die Meldepflicht für Gonorrhoe abgeschafft wurde. Doch wer so denkt, irrt: Weltweit ist die Gonorrhoe wieder auf dem Vormarsch. Außerdem häufen sich die Fälle, in denen Antibiotika wirkungslos bleiben, denn es handelt sich mehr und mehr um Erregerstämme, die gegen Breitband-Antibiotika wie Cephalosporine unempfindlich sind. Ältere Antibiotika wie Penicilline oder Tetracycline können gegen die Erreger schon lange nichts mehr ausrichten, doch auch Chinolone und Makrolide haben an Wirkung eingebüßt.

Hinzu kommt: Selbst die modernsten Medikamente gegen Gonorrhoe sind schon seit dem vorigen Jahrtausend auf dem Markt und rasche Hilfe in Form von Alternativsubstanzen ist nicht in Sicht. Noch trüber sind die Aussichten auf einen Impfstoff. Zwar gibt es weltweit ein paar Dutzend Forscher, die einen Impfstoff gegen Gonorrhoe zu entwickeln versuchen. Bislang ist aber noch kein einziger Ansatz über das Tierversuchsstadium hinausgekommen; als zu trickreich, zu wandelbar erweisen sich die Erreger.

Weltweit alarmierende Situation

Die Situation wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als alarmierend eingestuft. Im Juni 2012 reagierte sie deshalb mit einem Global Action Plan zur Bekämpfung der Gonorrhoe. „Antibiotika-Resistenzen können töten”, warnte unlängst deshalb Dr. Manjula Lusti-Narasimhan vom Department of Reproductive Health and Research der WHO [1]. Lusti-Narasimhan weiter: „Wenn Gonokokken unheilbar werden, sind die Folgen für die Gesundheit äußert schwerwiegend“. Mit weltweit 25 Millionen Erkrankungsfällen pro Jahr stellt die Gonorrhoe heute die vierthäufigste sexuell übertragbare Erkrankung dar [2]. Innerhalb der EU liegt die jährliche Gonorrhoe-Inzidenz bei mehr als 5 Erkrankungen je 100.000 Einwohner [3].

Auslöser ist das Bakterium Neisseria gonorrhoeae. Es befällt die Schleimhäute der Geschlechtsorgane und der Harnwege, manchmal auch Darm, Rachen und Augenbindehaut. Unbehandelt breitet sich die Entzündung bei Frauen auf Gebärmutter, Eileiter und Bauchfell und bei Männern von der Harnröhre auf Nebenhoden und Prostata aus. Ohne Therapie kann die Infektion leicht auf andere Organe übergreifen. Durch die Wunden im Genitalbereich erhöht sich zudem das Risiko für eine HIV-Übertragung.

Resistenzen sind ein globales Problem

Ausgehend vom Südostasiatischen Raum (WHO West Pacific Region) ist eine globale Verbreitung der Resistenzen nachweisbar. Zur Überwachung der Resistenz-Entwicklung bestehen überwiegend von der WHO und den US-amerikanischen Center for Disease Control (CDC) koordinierte Surveillance-Programme. Dabei zeigte sich in den letzten Jahren eine weltweite Ausbreitung der Chinolon-Resistenzen, regional gefolgt von einem Anstieg der minimalen Hemmkonzentrationen gegen Azithromycin sowie neuerdings auch gegen Cephalosporine der 3. Generation. Für Schottland, Irland, England/Wales, Italien und Argentinien wiesen Isolate teilweise hochresistente Gonokokken gegen Azithromycin auf.

Kürzlich publizierte Daten des überregionalen Überwachungsprogramms EURO-GASP (European gonococcal antimicrobial surveillance program) ergaben eine durchschnittliche Resistenz gegen Ciprofloxacin von 63% und gegen Azithromycin von 13% [4]. Die Gründe für die rasche Resistenzentwicklung sind vielfältig: Neben inadäquatem Antibiotika-Einsatz zählen dazu, dass Antibiotika in manchen Ländern frei verkäuflich sind, niedrige Dosen besonders von Ciprofloxacin bei Urogenitalinfekten sowie die unzureichende Datenerfassung im Hinblick auf die Resistenzlage.

Verminderte Empfindlichkeit gegen Ceftriaxon und Cefixim

In einem noch unveröffentlichten Vorab-Auszug wird in den neuen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit (DSTIG) – sie sollen bis Mai 2013 fertig gestellt sein - von verminderter Empfindlichkeit gegen Ceftriaxon in Japan berichtet. Zusätzlich lagen Resistenzen gegen Penicilline, Tetracycline und Chinolone vor. Auch in Spanien, Frankreich und Slovenien wurden inzwischen erste Fälle von Ceftriaxon-resistenter Gonorrhoe nachgewiesen.

Eurosurveillance berichtete im Oktober 2011 von einem Cefixim-resistenten Gonokokken-Stamm aus Österreich [5]. Der betroffene Mann erhielt nach Diagnosestellung bei einem Urologen 400 mg Cefixim oral für 7 Tage und präsentierte sich am Tag 8 mit persistierenden Symptomen. Er bekam daraufhin die gleiche Therapie für weitere 14 Tage – auch dann zeigte er immer noch Symptome. Angesteckt hatte sich der Mann in Deutschland.

Kaum epidemiologische Daten für Deutschland

Die Einschätzung der Situation in Deutschland fällt aufgrund der fehlenden Meldepflicht nicht leicht. In der inzwischen beendeten STD-Sentinel-Studie des Robert-Koch-Instituts nahm die Gonorrhoe einen Anteil von 3,3 bis 4,5% positiver Diagnosen der hierauf untersuchten Patienten ein. Allerdings kann dies nicht als repräsentativ für die Bevölkerung angesehen werden [6].

In Sachsen, wo nach der sächsischen IfSG Meldeverordnung Gonorrhoe und Chlamydien meldepflichtig sind, wurde in den letzten Jahren eine deutliche Steigerung der gemeldeten Gonokokken-Infektionen beobachtet: Von 6,8 Infektionen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2003 stieg die Inzidenz auf 14,3 Infektionen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2010 [7].

Multiresistente Stämme auch in Deutschland

„Zur Resistenzsituation der Gonokokken in Deutschland können derzeit nur begrenzte Aussagen getroffen werden“, bestätigt Susanne Glasmacher, die Pressesprecherin des Robert Koch-Institutes (RKI) in Berlin, gegenüber Medscape Deutschland. Um der unbefriedigenden Situation etwas entgegen zu setzen, sammeln das Konsiliarlabor für Gonokokken und die Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) des Robert Koch-Institutes Daten. Seit 2009 analysiert das Konsiliarlabor pro Jahr 100 – 150 Gonokokken-Isolate.

„Im ersten Halbjahr 2012 waren dort 70% aller getesteten Stämme gegen Ciprofloxacin resistent. 2011 registrierte das Labor bei 12% aller Stämme eine verminderte Sensibilität gegen Cephalosporine“, berichtet Glasmacher. Dies betreffe zu 10% Cefixim und 6% Ceftriaxon. 4% der Isolate zeigten eine verminderte Sensibilität gegenüber beiden Cephalosporinen. Und in 100% dieser Fälle bestand eine begleitende Resistenz gegen Ciprofloxacin. „Die aus dem Konsiliarlabor gewonnenen Daten werden an das europäische Projekt Euro-GASP weiter geleitet“, erklärt Glasmacher.

Eine Ceftriaxon-Resistenz wurde in Deutschland vom Konsiliarlabor bisher nicht gefunden. Sollte in der Praxis Therapieversagen auftreten, bittet das RKI um Information und Zusendung des Isolats an das Konsiliarlabor. Die ARS erfasst Routinedaten zu Resistenztestungen von 25 Laboren und wurde bereits fündig: „2011 war von 103 getesteten Isolaten eines resistent gegen Ceftriaxon“, so Glasmacher weiter. „Insgesamt 68% der 135 auf Ciprofloxacin getesteten Isolate waren dagegen resistent. Eins von 70 Isolaten war intermediär resistent gegen Azithromycin.“

Neue DSTIG-Leitlinie: Hoch und kombiniert dosieren

„Die Resistenzraten bei Gonorrhoe steigen erheblich an“, bestätigt Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit an der Ruhr-Universität Bochum und Präsident der DSTIG im Gespräch mit Medscape Deutschland. Er stuft als dramatische Entwicklung ein, dass sich Resistenzen gegen die 3. Generation der Cephalosporine zeigten. Bezogen auf das intravenös zu verabreichende Ceftriaxon seien es zwar relativ wenig Fälle, doch seit 2011 ist eine deutliche Steigerung der minimalen Hemmkonzentration zu beobachten.

„Unsere neue Leitlinie wird proaktiv sein“, erklärt Brockmeyer, denn: „Abwartendes Handeln bei der Gonorrhoe-Therapie ist gänzlich verkehrt, deshalb sagen wir: Man muss hoch und kombiniert dosieren“. Entsprechend wird die neue Leitlinie die einmalige Kombination von 1 g Ceftriaxon und 1,5 g Azithromyzin empfehlen. „Das klingt nach sehr viel, aber entscheidend ist: Es ist eine einmalige Gabe und die Nebenwirkungen sind gering “, erklärt Brockmeyer. „Mit dieser Therapie sind wir erstmal auf der sicheren Seite“. Aufgrund der Situation in anderen Ländern seien zukünftige Probleme hinsichtlich Resistenzbildung natürlich nicht ausgeschlossen.

Zögerlichkeit verbiete sich schon deshalb, wenn man sich anschaue, wie schnell eine Resistenzbildung vonstatten gehen könne, erklärt Brockmeyer und nennt das Beispiel Chinolone: „Anfang der 90er Jahre gab es nur einzelne Fälle, dann wenige Jahre später lag die Resistenzrate bei über 30%.“

„Wir nehmen sexuell übertragbare Erkrankungen nicht wirklich ernst“

 
Wir nehmen sexuell übertragbare Erkrankungen nicht wirklich ernst, sie galten ja als quasi ausgerottet“
 

„Das Problem ist: Wir nehmen sexuell übertragbare Erkrankungen nicht wirklich ernst, sie galten ja als quasi ausgerottet“, macht Brockmeyer deutlich. Dabei nehmen nicht nur Gonokkoken-, sondern auch Syphilis - und Clamydien-Infektionen seit Jahren zu. Brockmeyer geht von 4.600 Syphilis-Fällen, 15.000 bis 20.000 Gonorrhoe-Fällen und 80.000 Fällen von Chlamydien in Deutschland pro Jahr aus. „Bei den Chlamydien steigen die minimalen Hemmkonzentrationen für einige Antibiotika ebenfalls an. Das ist ein Hinweis in Richtung Resistenz“. Und gäbe es bei den Chlamydien eine ähnliche Resistenzbildung wie bei Gonorrhoe, „dann wird es ernst “, so Brockmeyer, der ein anonymes Meldesystem für Gonorrhoe und Chlamydien für unumgänglich hält: „Wir müssen wissen, wie viele Fälle es gibt und welche Resistenzen vorliegen.“ Das RKI befindet sich weiterhin im Gespräch mit dem Bundesministerium für Gesundheit. Es geht um die Ausweitung der Meldepflicht für Gonorrhoe. „Ob, und falls ja, wann oder wie die Meldepflicht (wieder) eingeführt werden soll – das ist noch nicht bekannt“, erklärt Susanne Glasmacher.

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