Patienten, deren Hypertonie mit einer Kombination von 2 blutdrucksenkenden Substanzen behandelt wird, sollten bei Grippe-ähnlichen Symptomen nicht gleich unbedacht ein NSAR erhalten. Zumindest die lang wirkenden Substanzen aus der Klasse der nicht-steroidalen Antiphlogistika/Antirheumatika (NSAR) stehen im Verdacht, in einem solchen Fall innerhalb der ersten 30 Tage nach Therapiebeginn einen akuten Nierenschaden zu begünstigen.
Unter der Dreifachtherapie mit 2 verschiedenen Blutdrucksenkern wie einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptorblocker sowie einem NSAR ist das Risiko für ein akutes Nierenversagen erhöht. Auf dieses bisher kaum beachtete, akute Gefahr für die Nieren weisen Francesco Lapi, Samy Suissa und ihre Kollegen von der McGill University in Montreal, Kanada, in einer Publikation im britischen Ärzteblatt British Medical Journal hin. Die Erkenntnisse stammen von Patienten, die unter einer antihypertensiven Behandlung einen akuten Nierenschaden erlitten.
Die Daten kommen aus der Allgemeinarztpraxis
In einer britischen Kohorte von 487.372 antihypertensiv behandelten Patienten aus dem „Clinical Practice Research Datalink (CPRD)“, früher bekannt als „General Practice Research Database“, wurden während 5,9 Jahren 2.215 Fälle (0,45%) von akutem Nierenversagen dokumentiert. Dabei ergaben sich zunächst bei Patienten, die nur eine duale Therapie aus einem einzigen Antihypertensivum (Diuretikum, ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Blocker) plus ein NSAR bekamen, keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für akute Nierenprobleme. Kam indes ein weiterer Blutdrucksenker hinzu, erwies sich das als problematisch: Bei einer Tripeltherapie mit 2 verschiedenen Antihypertensiva plus einem NSAR war das Risiko für ein akut aufgetretenem Nierenproblem um 31% erhöht.
Wie hoch ist das Nierenrisiko bei einzelnen Substanzen?
Im Rahmen einer sekundären Analyse untersuchten die Forscher, ob das gewählte NSAR oder das gewählte Antihypertensivum in Verbindung mit einem aktuen Nierenereignis stand. Dabei zeigte sich, dass das Risiko besonders erhöht war, wenn NSAR mit einer langen Halbwertzeit von mehr als 12 Stunden genutzt wurden. Vertreter der langwirksamen NSAR (z. B. Meloxicam, Piroxicam, Naproxen) stellten mit einer Risikoerhöhung von 77% eine deutlich ungünstigere Wahl dar als Vertreter mit kürzerer Halbwertzeit von weniger als 12 Stunden (z.B. Acemetacin, Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin oder ASS), die das Risiko um 29% erhöhten.
Die Wissenschaftler fanden ebenfalls heraus, dass es einen statistisch signifikanten Zusammenhang mit den ersten 30 Tagen nach Therapiebeginn gibt. In diesem frühen Zeitraum nach Behandlungsbeginn betrug das Risiko mehr als 82%. Dauerte die Tripletherapie bereits mehr als 90 Tage an, war kein Risikounterschied mehr festzustellen. Als Antihypertensiva wurden im Studienzeitraum zwischen Januar 1997 und Dezember 2008 Diuretika, ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker, ferner ebenfalls Alphablocker, Betablocker und Kalziumantagonisten genutzt – zum Teil wegen Indikationen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz oder koronare Herzkrankheit.
Gegenläufige Mechanismen verschlechtern die Situation der Niere
Als mögliche Erklärung für die Ursache der schädlichen Wirkung diskutierten die Forscher die folgende Hypothese: Wird ein Diuretikum mit einem NSAR kombiniert, kommt es durch das Diuretikum zu einer drastischen Hypovolämie. In Kombination mit dem vasokonstriktiven Effekt der NSAR entsteht eine Exazerbation von vorbestehenden Nierenschäden.
Erhielten die Patienten allein einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensin-Rezeptorblocker ohne ein Diuretikum als Kombinationspartner, ist der afferente vasokonstriktive Stimulus, der von den NSAR ausgeht, womöglich noch zu schwach, um über die ausschließliche Hemmung der Prostazyklin-Synthese der NSAR – in Anwesenheit von extrazellulärer Flüssigkeit und normalem renalen Blutfluss – einen Nierenschaden auszulösen.
Anders verhält es sich bei der Tripletherapie: Hier wird durch Diuretikum und NSAR der Influx in den Glomerulus so stark verringert, dass aufgrund der zusätzlichen Blockade des ACE-Systems keine Kompensation möglich ist, was dann den Nierenschaden begünstigt oder auslöst.
Wie sollte vorgegangen werden?
Die Forscher folgern aus ihrer Erhebung, dass Antihypertensiva zwar kardiovaskuläre Erkrankungen verhindern, dass sie aber offenbar pharmakologisch mit NSAR in Konkurrenz stehen. Werden NSAR zur Behandlung von chronisch kranken Patienten mit Arthrose oder bei akuten, Grippe-ähnlichen Symptomen benötigt, erhöht sich das Risiko für den Nierenschaden. Die Wissenschaftler schlagen zur Vermeidung bei gefährdeten Patienten mit Nierenschädigungen vor, den Therapieverlauf in den ersten Tagen sorgfältig zu verfolgen.
Zudem sollte bei der Wahl des NSAR oder der Frage „ACE-Hemmer plus Diuretikum?“ der Ausgangssituation des Patienten Aufmerksamkeit geschenkt werden, wobei kurzfristig wirksame Substanzen zu bevorzugen seien. Der Nephrologe Prof. Dr. med. Jürgen Floege von der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen teilt Medscape Deutschland mit, dass diese Erkenntnisse der kanadischen Meta-Analyse für ihn nicht überraschend sind: „Es handelt sich nicht um unerwartete Befunde“.
Auch für den Pharmakologen Prof. Dr. Kay Brune aus Erlangen, Spezialist in Fragen der Therapie mit NSAR, ist das keine Neuigkeit. Brune hatte vor einiger Zeit bereits darauf hingewiesen, dass kein klassisches NSAR länger als 3 Monate in Studien getestet worden ist, so dass die Frage von Späteffekten bei dieser Substanzgruppe erst gar nicht gestellt worden ist.
In aller Regel sei eine NSAR-Therapie mit einer Blutdruckerhöhung bei den Patienten verbunden, weshalb NSAR ohnehin nicht die richtige Ergänzungsmaßnahme für Hypertonie-Patienten sind. In der Vergangenheit hatte sich Brune auch häufiger für „Drug holidays“ bei längerfristig behandelten NSAR-Patienten ausgesprochen – dies aber vor allem mit Blick auf deren unerwünschte kardiovaskuläre und unerwünschte gastrointestinale Wirkungen.