Plagiate, Datenfälschungen, Studienmanipulationen – auch im vergangenen Jahr wurden wieder einige Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens aufgedeckt. Darunter sind nicht nur prominente Politiker, sondern auch prominente Mediziner: zuletzt etwa der inzwischen emeritierte Kardiologe und Stammzellforscher Prof. Dr. Bodo Eckehard Strauer, gegen den die Universität Düsseldorf wegen Datenfälschung und möglicher Körperverletzung ermittelt [1]. Man hat den Eindruck, solches Vergehen von Wissenschaftlern wird häufiger. Oder wird es heutzutage nur häufiger aufgedeckt, wird genauer kontrolliert und nachgeforscht? Was kann getan werden, um wissenschaftliches Fehlverhalten zu verhindern oder wenigstens einzudämmen?
Ermittlungen gegen Düsseldorfer Stammzellforscher
Der aktuelle Fall ist ein besonders brisanter. Strauer war weltweit der erste, der einen Herzinfarktpatienten mit Stammzellen aus dessen eigenem Knochenmark behandelt hatte. 2001 ging die Nachricht um die Welt, dass die Therapie ein voller Erfolg gewesen sei, die Infarktgröße sich um fast 35% verringert und sich die Herzleistung gebessert habe. Schnell wurden weitere Patienten behandelt – offenbar ebenfalls mit Erfolg. Strauer galt als Pionier der adulten Stammzelltherapie und wurde gefeiert [2, 3]. Doch inzwischen gibt es Hinweise, dass er nicht sauber wissenschaftlich gearbeitet hat. Die Universität Düsseldorf ermittelt nun gegen den ehemaligen Chef ihrer Kardiologie-Abteilung wegen des Verdachts, Eingriffe an mehreren hundert Patienten vorgenommen zu haben, obwohl es keine Studien gab, die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie untermauerten. Er soll die Patienten auch nicht aufgeklärt haben und könnte sich deshalb der Körperverletzung strafbar gemacht haben. Und schließlich soll er seine Studienergebnisse geschönt, also Daten gefälscht haben. Nähere Einzelheiten hat die Uni aufgrund des laufenden Verfahrens bisher nicht mitgeteilt. Strauer selbst weist diese Vorwürfe als „absurd“ zurück, wie er Medien über seinen Anwalt wissen ließ.
Schon wieder ist also ein Prominenter wegen möglicher Manipulationen im Visier der Ermittler. Man kann sich inzwischen des Eindrucks nicht erwehren, solches Fehlverhalten würde häufiger. Was könnte dahinter stecken? Arbeiten unsere Wissenschaftler heute schlampiger als früher, sind sie womöglich eitler oder ehrgeiziger geworden, ist der Druck zu hoch? Oder wird heutzutage nur strenger kontrolliert und werden so Fälschungen eher aufgedeckt? Das sei sehr schwierig zu sagen, so der Ombudsman für die Wissenschaft, Prof. Dr. Wolfgang Löwer von der Universität Bonn, im Gespräch mit Medscape Deutschland. Der Zahl nach gebe es tatsächlich eine Zunahme an wissenschaftlichem Fehlverhalten, darunter übrigens eine „große Fallzahl aus der Medizin“. Aber: „Es gibt wohl keine proportionale Zunahme.“
Zunehmender Druck schafft mehr Anreize nachzuhelfen
Die absolute Zahl an Fehlverhalten habe sich also wirklich erhöht, nicht jedoch die prozentuale. „Denn“, so erklärte der Jurist: „das System ist in der Breite gewachsen. Ganze Forschungsmärkte sind hinzugekommen, etwa China, Indien oder Brasilien.“ Deshalb gebe es auch in Deutschland eine viel größere Zahl an Wissenschaftlern als noch vor einigen Jahrzehnten. Das habe auch zu einer steigenden Konkurrenzlage geführt. Wissenschaftler stünden unter immer größerem internationalen Druck. „Deshalb sind die Anreize, dass man Ergebnissen nachhilft, gewachsen“, so Löwers Erfahrung, und er fügte hinzu: „Moralisch ist das natürlich keine Entschuldigung.“
Es stimme, dass heute stärker kontrolliert werde. Manche Menschen haben es sich geradezu auf die Fahnen geschrieben, Plagiate und anderes Fehlverhalten aufzudecken. „Manische Verfolger“, nennt Löwer sie. Doch er nimmt sie ernst: „Wenn die was finden, dann haben wir Anhaltspunkte für eine Untersuchung.“ Auch anonymen Hinweisen gehen er und sein Team nach. „Warum jemand angezeigt wird, hat uns nicht zu interessieren; ob was dran ist, hat uns zu interessieren“, sagte er lakonisch.
Wissenschaftsgremium als Reaktion auf Datenfälschungsaffäre
Auch wenn Wissenschaftler und ihre Ergebnisse heute vielleicht kritischer als früher begutachtet werden, ganz verhindern lässt sich wissenschaftliches Fehlverhalten wohl nie, meint Löwer. Das sieht auch Prof. Dr. Günter Layer, Direktor des Zentralinstituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Klinikums Ludwigshafen, so. Aber man kann versuchen, solches Verhalten einzudämmen, indem es so gut wie unmöglich gemacht wird, Forschungsergebnisse zu manipulieren.
Am Klinikum Ludwigshafen hat man damit bereits Erfahrung. Denn hier wurde entsprechend reagiert auf die Affäre um den ehemaligen Chefarzt, den Anästhesisten Dr. Joachim Boldt, der in seinen Studien über Plasmaexpander wissenschaftliche Daten gefälscht hat, wie eine unabhängige Expertenkommission 2012 bestätigt hat [4]. Nachdem erste Vorwürfe bekannt wurden, trennte sich das Klinikum bereits 2010 von Boldt. Und vor gut einem Jahr wurde ein „Gremium für die Wissenschaft“ eingerichtet, deren Sprecher Layer ist.
Beispiel Ludwigshafen: Wissenschaftliche Arbeit professioneller, transparenter, aber auch aufwändiger
Aufgabe des Gremiums ist, Datenfälschungen und ähnlichem Fehlverhalten vorzubeugen. Dazu sei in erster Linie wichtig, „ein Mehr-Augen-Prinzip über den gesamten Prozess klinischer Forschung zu garantieren“, so Layer zu Medscape Deutschland. Und er schilderte die entsprechenden Richtlinien: „Forschende Kollegen sollen sich zu (interdisziplinären) Arbeitsgruppen zusammenschließen. In den Arbeitsgruppen sollen Aufgaben der Leitung, Aufsicht, Konfliktregelung und Qualitätssicherung personal getrennt zugewiesen und wahrgenommen werden. Sämtliche Forschungsprojekte sind unabhängig von ihrer Finanzierung hausintern und bei der zuständigen Ethikkommission anzumelden. Zur Beratung wissenschaftlicher Projekte und der wissenschaftlich Tätigen, zur Beratung der Forschungsinstitution und im Bedarfsfall zur Überprüfung von Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens sollte ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium in der forschenden Institution eingeführt werden.“
Seit einem Jahr werden diese umfassenden Richtlinien am Klinikum Ludwigshafen immer weiter konkretisiert und für die tägliche Forschungsarbeit angepasst. Layer zieht eine positive Zwischenbilanz: „Die Arbeit ist professioneller und transparenter als zuvor, aber auf jeden Fall auch deutlich aufwändiger und mit neuer Bürokratie belastet.“ Die Auswirkungen auf die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, die Frequenz von Studien oder die Wertigkeit von Publikationen können allerdings noch nicht beurteilt werden, dazu sei es noch zu früh. Trotz des Aufwandes und der weiteren Bürokratisierung empfiehlt der Radiologe die Ludwigshafener Vorgehensweise und Richtlinien auch anderen Kliniken und wissenschaftlichen Einrichtungen.
Fälschungen dürfen sich nicht lohnen!
Auch Löwer hält ein ganzes Paket an Maßnahmen für nötig, um wissenschaftliches Fehlverhalten zu erschweren. Für ihn das Wichtigste vor allem in der medizinischen Forschung ist, „die dysfunktionalen Anreize, die es im System gibt, herauszunehmen“. Es dürfe sich einfach nicht mehr lohnen, Daten zu fälschen oder Studien zu manipulieren. Der plakative Spruch „Publikation ist wichtiger als die Wahrheit“ berge zu viel Wahrheit, meint Löwer. „Denn vor allem in der Medizin gibt es diese Leidenschaft des Zählens, der Publikationsdruck ist enorm hoch.“ Hier gelte es, umzudenken und Mediziner nicht nur nach der Zahl ihrer Publikationen zu beurteilen, wenn zum Beispiel die Stelle eines Klinikchefs zu besetzen ist. Außerdem: „Das Teilen von Publikationen ist wertvoller als geschlossene Publikationen.“ Dann müssten die Regeln für wissenschaftliches Arbeiten gelehrt und „von gestandenen Professoren“ vorgelebt werden. Der Ombudsman für die Wissenschaft ist aber zuversichtlich: „Wenn das alles zusammenkommt, dann meine ich, könnte es klappen.“
Es ist an der Zeit, dass sich etwas tut. „Die Wissenschaft weiß ganz genau, wenn das Fehlverhalten nicht auf ein nicht zu vermeidendes Maß zurückgedämmt wird, droht ein hoher Reputationsverlust“, davon ist Löwer überzeugt. Es gehe schließlich um ethisch Grundsätzliches: „Das ist eine vitale Frage für uns: Wissenschaft soll ja etwas produzieren, was wahr ist“, betonte Löwer. Und er fügt hinzu: „Fälschen ist keine Wissenschaft!”