Leise rieselt die Lebenszeit: Weihnachtsschmaus lässt schneller altern

Julia Rommelfanger | 27. Dezember 2012

Autoren und Interessenskonflikte

So unterschiedlich die Menschen verschiedener Kulturen dieser Tage auch feiern: Zum fröhlichen Weihnachtsfest gehört in den meisten Familien ein richtiger Festschmaus, die Völlerei zieht sich nicht selten über mehrere Tage hin. Wer das neueste Feature des bekannten Statistikers Prof. Dr. David Spiegelhalter, University of Cambridge, UK, zu den längerfristigen Konsequenzen ausgedehnter Festivitäten liest, wird Sekt, Sauerbraten und Spekulatius womöglich nur noch verhalten genießen können. Jeder Tag, so Spiegelhalter, an dem man Lastern wie Trinken, fettigem Essen, Rauchen oder Fernsehen frönt, kann wertvolle Stunden Lebenszeit kosten.

Seine Ausführungen zu den verlorenen „Mikroleben“ und Altersgeschwindigkeit sind gerade rechtzeitig als „Weihnachtsartikel“ am 17. Dezember 2012 in der Online-Ausgabe des British Medical Journal erschienen.

Spiegelhalters Anliegen war es, die Risiken chronischer Laster transparenter und – in guter britischer Tradition der Wissensvermittlung - für alle verständlich darzustellen. Dazu empfiehlt er statt der oft in epidemiologischen Studien zitierten Hazard Ratios oder Mortalitätsraten die Begriffe „schneller oder langsamer altern“ sowie das Konzept der „Mikroleben“, die durch verschiedene Verhaltensweisen gewonnen oder verloren werden. Ein Mikroleben entspricht einer halben Stunde Lebenserwartung, da diese Zeitspanne etwa einem Millionstel der verbleibenden Lebenszeit eines 35-Jährigen entspricht.

Nun hat der Star-Statistiker anhand von Populationsstudien für jede „schlechte“ oder „gute“ Gewohnheit, die Männer oder Frauen ihr Leben lang behalten – rauchen, trinken, rotes Fleisch essen, aber auch Bewegung und Verzehr von Gemüse – einer bestimmten Anzahl von Mikroleben zugeordnet, die durch dieses Verhalten gewonnen wird oder verloren geht. Ein Mikroleben kann beispielsweise verloren gehen durch 2 Zigaretten, 5 Kilogramm Übergewicht, einem zweiten oder dritten alkoholischen Getränk am Tag, 2 Stunden Fernsehen oder dem Verzehr eines Hamburgers. Gewinnen kann man die 30 Minuten Lebenszeit, indem man höchstens ein Glas Bier oder Wein am Tag trinkt, frisches Obst und Gemüse isst, Statine einnimmt oder Sport treibt.

Leben auf der Überholspur

Wer sich also dem süßen Lasterleben hingibt, raucht, regelmäßig mehrere Gläser Bier oder Wein trinkt, sich ungesund ernährt und wenig bewegt, lebt quasi auf der lebenszeitlichen Überholspur und altert schneller als derjenige, der viel Müsli, Obst und Spinat isst – und sich zudem noch dreimal die Woche 20 Minuten lang auf dem Heimtrainer quält. „Lebensqualität wird (in diesem Konzept) nicht bedacht“, gibt Spiegelhalter zu. Es bleibt im Rahmen dieser Bewertung eben offen, ob etwa das überzählige Glas Wein, die vielen Zigaretten oder das häufige Ausruhen auf der Couch die Lebenszeit wert war, die man dadurch verliert. „Also wird Verhalten nur hinsichtlich der Jahre bewertet, um die sich ein Leben verlängert, nicht aber hinsichtlich der Lebensqualität, die man gewinnt.“

Führt man sich Spielgelhalters Konzept genauer zu Gemüte, haben nicht nur Raucher und Übergewichtige, sondern auch russische Männer und Frauen und Männer im Allgemeinen wenig Grund, sich während der Festtage zuzuprosten – denn ihre Lebenszeit rieselt nur so dahin. Der britische Mathematiker hat nämlich ebenfalls demografische Faktoren wir Geschlecht oder Herkunft in seine Kalkulationen einbezogen und in Mikroleben, die gewonnen oder verloren werden, umgerechnet. Frauen gewinnen gegenüber Männern 4 Mikroleben pro Tag, Schweden gegenüber Russen sogar 21.

„Der Ausdruck der Alterungsgeschwindigkeit und der Begriff Mikroleben ist eher für den allgemeinen und weniger für den wissenschaftlichen Gebrauch gedacht“, schreibt Spiegelhalter. Jedoch können die Begriffe auch für Fachleute im Gesundheitswesen nützlich sein, etwa, um Langzeiteffekte und zukünftige Ereignisse bereits im ‚Hier und Heute‘ zu thematisieren. Am Ende seines Features weist er darauf hin, dass Bewertungsstudien notwendig seien, um jede Auswirkung eines bestimmten Verhaltens genau zu quantifizieren. „Allerdings braucht man nicht wirklich eine Studie, um zu schlussfolgern, dass die Leute den Gedanken ans schnellere Altern nicht mögen“, merkt er an.

Das bedeutet also für die kommenden Schlemmertage: Wer Zeit gewinnen statt verlieren will, entwirft das Weihnachtsprogramm eben neu. Es ist noch nicht zu spät, die Pläne entsprechend abzuändern – frisches Apfelmus wird statt Bratäpfeln, Salat mit Putenbrust statt gefülltem Truthahn und Dinkelstangen statt Christstollen serviert – und die Verwandtschaft wird kurzerhand zum Frühsport statt zum Brunchen gebeten. Einen letzten Ausweg für die, die so nicht feiern können, bieten die guten Vorsätze für das neue Jahr, die soeben verlorenen Mikroleben wieder dazuzugewinnen.

Referenzen

Referenzen

    Spiegelhalter D. BMJ (online). 17. Dezember 2012. http://dx.doi.org/10.1136/bmj.e8223

Autoren und Interessenskonflikte

Julia Rommelfanger
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