Urin liefert Stammzellen für Hirnzellen

Ute Eppinger | 21. Dezember 2012

Autoren und Interessenskonflikte

Stammzellen sind Alleskönner. Sie sind so wandlungsfähig, dass sie zu allen Körperzelltypen ausreifen können. Eines Tages könnten sie Patienten als Ersatzteillager für geschädigtes Gewebe dienen. Für Alzheimer, Parkinson, Diabetes oder Rückenmarksverletzungen stünden revolutionäre Therapien zur Verfügung.

Doch um derart pluripotente Stammzellen zu gewinnen, muss man Embryonen zerstören. Das sind entweder so genannte „überzählige“ Embryonen, die nach künstlichen Befruchtungen eines Paares nicht mehr „verwendet“ werden, oder es handelt sich um abgetriebene Embyonen. Vor kurzem erst hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Methoden zum Einsatz embryonaler Stammzellen nur dann patentiert werden können, wenn dafür keine menschlichen Embryonen getötet werden müssen. Damit hatte der BHG dem Antrag des Bonner Stammzellforschers Dr. Oliver Brüstle in Teilen entsprochen [1].

Induzierte pluripotente Stammzellen nur bedingt praxistauglich

Theoretisch könnten induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) das Problem lösen und damit den Einsatz embryonaler Stammzellen überflüssig machen. Forscher sind in der Lage, iPS aus Körperzellen eines Patienten herzustellen, indem sie die Zellen im Labor in das frühe Embryonal-Stadium, den Zustand der Pluripotenz also, zurückversetzen. Meist nutzt man dazu Haut- oder Blutzellen. Doch der Umwandlungsprozess ist fehleranfällig und verändert das Erbgut der Zellen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für genetische Aberrationen und damit z.B. das Krebs-Risiko. Wie 3 Forscherteams in Nature en détail nachgewiesen hatten, steht die Praxistauglichkeit von iPS-Zellen noch sehr in den Sternen – zu hoch und vor allem zu unberechenbar ist das Risiko ihres Einsatzes [2].

Zwei Fliegen mit einer Klappe?

Ist nun den chinesischen Forschern um Dr. Dianquing Pei vom Institut für Biomedizin und Gesundheit in Guangzhou ein wichtiger Schritt hin zu einer praktikableren Lösung gelungen? Pei und sein Team nutzen Urin als Rohstoff zur iPS-Zellgewinnung und wandten eine neue Methode an, die sie jetzt in Nature Methods vorstellten [3]. Damit ließe sich einmal das ethische Dilemma der Verwendung embryonaler Stammzellen umgehen und zum anderen vielleicht auch die Unberechenbarkeit der iPS verringern.

Schon vor einem Jahr war es den Forschern gelungen, Nierenzellen aus dem Urin in iPS-Zellen umzuwandeln. Problematisch war aber, dass die Wissenschaftler Retroviren – zu denen auch das HI-Virus zählt – dazu verwenden mussten, um die erforderlichen Gene für die Umwandlung in die Zellen einzuschleusen [4]. Ein solcher Eingriff verändert das Erbgut der iPS – mit unabsehbaren Folgen.

Neue Methode birgt weniger Risiken

Für ihre aktuelle Studie behandelten die Forscher nun die aus dem Urin gewonnenen Zellen mit winzigen Stücken eines DNA-Bakteriums. Diese Methode veränderte den Zustand der Zellen zwar auch, beeinträchtigte deren Erbgut aber nicht dauerhaft. Dann übertrugen die Wissenschaftler die Zellen im Labor auf ein Wachstumsmedium. Innerhalb von 12 Tagen entwickelten sich die Zellen zu Nervenzellen.

Die so entstandenen Zellen transplantierten die Forscher in die Gehirne neugeborener Ratten. Nach 4 Wochen hatten die Zellen die Form und die molekularen Eigenschaften von Neuronen übernommen, ohne Tumore zu bilden. Die Tatsache, dass keine Tumore entstanden, werten Pei und sein Team als wichtigen Indikator dafür, dass die Risiken insgesamt deutlich geringer sind als bei den bislang verwendeten Umwandlungsverfahren.

Weiterer Beitrag in Richtung Anwendbarkeit?

„Es ist spannend, dass man so völlig ohne invasive Maßnahmen praktisch von jedem Menschen iPS generieren kann“, wertet Dr. Michael Heke, Sekretär der Deutschen Gesellschaft für Stammzellforschung (DSZ), den Ansatz der chinesischen Wissenschaftler, Zellmaterial aus Urin zu gewinnen. „Die ansonsten zumeist verwendeten Fibroblasten werden aus Hautbiopsien gewonnen, was z.B. bei Hautkrankungen oder schwersten Verbrennungen nicht möglich wäre“, erklärt Heke. Die von den chinesischen Stammzellforschern verwendeten Vektoren griffen nicht integrierend ins iPS Genom ein: „Damit  ist auch auf diesem Gebiet der Herstellung ein weiterer Beitrag in Richtung Anwendbarkeit gelungen“, freut sich Heke. Pei und seine Kollegen haben hierfür das Patent inne, das derzeit von einer österreichischen Firma kommerzialisiert wird.

Als „gute und solide gemachte Arbeit“ wertet auch Prof. Dr. med. Albrecht Müller, Leiter des Instituts für Medizinische Strahlenkunde und Zellforschung (MSZ) an der Universität Würzburg, die aktuelle Studie von Pei. „Das Interessante ist die Quelle, die Gewinnung der Zellen aus dem Urin“, so Müller. Ob die reprogrammierten Zellen dann aber auch wirklich nicht kanzerogen wirken, da ist Müller vorsichtiger, eine Testphase von 4 Wochen reiche dazu nicht aus: „Da müsste man länger warten und Sicherheitsstudien machen“, erklärt der Stammzell-Experte. Insgesamt sei die Studie durchaus interessant, aber nichts wirklich Neues. „Von der praktischen Anwendung der iPS sind wir immer noch ziemlich weit weg“.

Pei und seine Kollegen planen in ihrem nächsten Projekt, aus dem Urin von Alzheimer- und Parkinson-Patienten Zellen zu isolieren, um zu untersuchen, inwiefern diese möglicherweise zur „Wiederherstellung“ angegriffener Neuronen dienen könnten.

Referenzen

Referenzen

  1. [1] Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH)
    zum Urteil des X. Zivilsenats vom 27.11 2012 – X ZR 58/07-
    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2012&Sort=3&nr=62339&pos=1&anz=198
  2. [2] Samer MH, et al: Nature.2011;471:58-62
    http://dx.doi.org/10.1038/nature09871
  3. [3] Lihui W, et al: Nature Methods (online) 9. Dezember 2012
    http://dx.doi.org/10.1038/nmeth.2283
  4. [4] Zhou T, et al: JASN. 2011;22(7):1221-1228
    http://dx.doi.org/10.1681/ASN.2011010106

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