Aus einer großen retrospektiven Studie geht hervor, dass sich mehr als 40% aller postoperativen Komplikationen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus manifestieren. Die Studie wurde in der Novemberausgabe der Archives of Surgery veröffentlicht.
Hauptautorin Dr. Hadiza Kazaure von der Abteilung für Allgemeine Chirurgie, Stanford University, Palo Alto, Kalifornien, USA und ihre Mitarbeiter weisen darauf hin, dass überhöhte Kosten im Gesundheitswesen, wie sie das Gesetz Patient Protection and Affordable Care Act im Fokus hat, durch erhebliche Rehospitalisierungsraten bedingt sind. Anfang nächsten Jahres werden Krankenhäuser über Kürzungen der Medicare-Rückerstattungen sogar finanziell zur Rechenschaft gezogen werden, sofern die Wiedereinlieferungen ein kritisches Maß überschreiten. Die Autoren der Studie machen deutlich, dass im Hinblick auf diese Entwicklung einer sorgfältigen Nachsorge zusammen mit anderen Vorsichtsmaßnahmen große Bedeutung zukommt, um die Behandlungsergebnisse stationär operierter Patienten zu verbessern.
Die Autoren schreiben: „Unserer Kenntnis zufolge, wurde in den USA eine so umfassende Analyse über Art und Ausmaß von Komplikationen (nach der Entlassung) und differenziert nach chirurgischen Verfahren bei stationär operierten Patienten bisher nicht durchgeführt.“
Kazaure und ihre Mitarbeiter haben retrospektiv umfangreiche Datensätze aus 250 Krankenhäusern analysiert. Die Kliniken hatten zuvor an einer Qualitätssicherungsmaßnahme, dem American College of Surgeons National Surgical Quality Improvement Program, teilgenommen. Die Autoren griffen über die elektronischen Patientendaten auf insgesamt 551.510 Fälle aus der Allgemeinchirurgie zurück. Die Eingriffe waren zwischen 2005 und 2010 erfolgt. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 54,6 Jahre.
Die einzelnen chirurgischen Verfahren wurden in 21 Kategorien unterteilt, um die Daten besser auswerten und zuordnen zu können. Zu den Ergebnisparametern zählten die Komplikationsrate nach stationärer Entlassung, die Notwendigkeit von Zweiteingriffen sowie die Mortalitätsrate.
Kritischer Zeitraum nach der Entlassung
Bei 16,7% der Patienten traten Komplikationen auf, 41,5% von diesen manifestierten sich nach dem stationären Aufenthalt.
„Die Studie offenbart, dass insbesondere die ersten zwei Wochen im Anschluss an die Entlassung besonders kritisch sind“ heißt es in der Publikation. Innerhalb der Patientengruppe, die nach der Entlassung Komplikationen entwickelten, manifestierten sich 75% davon innerhalb der ersten 14 Tage.
Von den einzelnen Verfahren waren Proktektomien (14,5%), enterale Fistelsanierungen (12,6%) und Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse (11,4%) mit der höchsten poststationären Komplikationsrate vergesellschaftet. Der höchste Anteil aller Komplikationen nach der Entlassung entfiel auf Patienten nach folgenden Eingriffen: Brustoperationen (78,7%), Adipositaschirurgie (69,4%) und Bauchhernienoperationen (62,0%).
Die Autoren analysierten die Eingriffe überdies in ihrer Gesamtheit und kommen zu dem Ergebnis, dass lokale Komplikationen, Infektionen und sowie thrombembolische Ereignisse am häufigsten berichtet wurden. Es erstaunt hierbei nicht, dass Patienten, bei denen bereits in der Klinik Komplikationen auftraten, auch nach der Entlassung die häufigsten Probleme hatten.
Nachstationäre Komplikationen führten gegenüber Patienten, die davon verschont blieben, innerhalb eines Monats nach Eingriff häufiger zu Reoperationen (17,9% vs 4,6%; p<0,001) und Todesfällen (6,9% vs 2,0%; p<0,001).
Die Autoren formulieren ihr Fazit so: „Nach Bereinigung um mehr als 20 Risikofaktoren mittels multivariater Analyse standen die Art des Eingriffs, krankenhausspezifische (verlängerte Operationszeit, stationär aufgetretene Komplikationen) und patientenspezifische Faktoren (schlechter körperlicher Zustand) unabhängig voneinander mit dem Auftreten von (poststationären) Komplikationen in Zusammenhang.”
Konsequenzen der Studie
Dr. Desmond Winter von der Abteilung für Chirurgie des Institute for Clinical Outcomes Research and Education, St. Vincent's University Hospital, Dublin, Irland, wurde um eine kritische Bewertung gebeten und er schreibt: „Jeder Chirurg wird den Artikel von Kazaure und ihren Kollegen mit Interesse lesen, da Komplikationsraten die statistische Größe sind, an der unsere Arbeit gemessen wird und Krankenversicherer dies künftig als Qualitätsmaßstab mit finanziellen Konsequenzen bestrafen werden.“
„Ungeachtet dessen“, fügt er hinzu „sollten Versicherer wie Chirurgen sich daran erinnern, wem sie moralische Verantwortung für professionelle Sorgfalt schulden. Es sollten nicht so sehr finanzielle Sanktionen im Vordergrund stehen, sondern die Achtung der Patientenbedürfnisse. Lassen Sie uns in der Chirurgie weitere Fortschritte machen, indem Forschungsvorhaben wie diese finanziert werden, weil man sich davon Einsparungen seitens der Versicherer erwartet, und zwar dergestalt, dass wir uns gemeinsam und für eine zuverlässigere chirurgische Behandlung einsetzen.“

Auf Nachfrage von Medscape Deutschland möchte der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) in Berlin, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer, den kritischen Akzent anders setzen: „Zunächst können wir für deutsche Verhältnisse nicht bestätigen, dass ein so hoher Anteil – nämlich die in der Studie genannten 40 Prozent – aller postoperativen Komplikationen auf die Phase nach der Entlassung fallen soll. Das spiegelt gewiss nicht die hiesige Realität wieder. Auch die viel zitierte „blutige Entlassung“ gibt es in dieser Form sicher nicht für die in dieser Studie analysierten großen bauchchirurgischen Eingriffe“.
Worauf es Meyer indes besonders ankommt, ist der Aspekt der engen Kooperation mit jenen niedergelassenen Ärzten, die für die Nachsorge eines operierten Patienten nach der Entlassung zuständig sind: „Es ist absolut entscheidend, den nachbetreuenden Arzt mit ins Boot zu holen. Immer dann, wenn es um kritische Fälle ging, haben wir beispielsweise an der eigenen Klinik den zuständigen Kollegen draußen telefonisch informiert mit der Bitte, ad hoc zu reagieren, wenn bestimmte Laborparameter, der körperliche Befund oder andere Zeichen auf Komplikationen hindeuteten“. Denn die falsche Schlussfolgerung aus der aktuellen Studie wäre der utopische Versuch, jegliche postoperative Komplikation vermeiden zu wollen, betont der Generalsekretär der DGCH: „Postoperative Komplikationen werden nie völlig vermeidbar sein. Entscheidend ist es, sie rechtzeitig zu erkennen und sie entsprechend zu behandeln“.
Dieser Artikel wurde von Dr. Immo Fiebrig aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.