Das Osteoporose-Medikament Strontiumranelat wirkt auch bei Kniegelenksarthrose

Alice Goodman | 30. November 2012

Autoren und Interessenskonflikte

WASHINGTON (DC) - Strontiumranelat könnte sich als Alternative zur Operation bei Kniegelenksarthrose erweisen. Die Substanz wurde bisher zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt und beugte in einer großangelegten, internationalen Studie mit mehr als 1.600 Patienten mit Kniegelenksarthrose (Gonarthrose; GA) auch Schädigungen der Knochenstruktur vor. Tagesdosen von 1 oder 2 g Strontiumranelat hatten im Vergleich zu Placebo positive Auswirkungen. Die Ergebnisse der sogenannten SEKOIA-Studie (Strontium Ranelate in Knee Osteoarthritis) wurden beim diesjährigen Treffen des American College of Rheumatology (ACR) vorgestellt [1, 2, 3].

Die Forscher berichteten, dass diese positiven Effekte auf die Knochenstruktur auch zur Folge hatten,  dass im Krankheitsverlauf seltener Knieoperationen notwendig wurden. Dosen von 2g pro Tag wirkten außerdem schmerzlindernd und verbesserten signifikant die Symptome.

"Unsere Studie legt nahe, dass der Einsatz von Strontiumranelat die Zahl der sonst erforderlichen Knieoperationen senken könnte. Klinische Verbesserungen traten nach 18 Monaten auf, und mit zunehmender Behandlungsdauer war die medikamentöse Therapie im Vergleich zu Placebo immer erfolgreicher", berichtete der leitende Autor Dr. Jean-Yves Reginster von der Université de Liège in Belgien.

Strontiumranelat stimuliert die Knochenbildung und mindert die Resorption von Knochensubstanz. Die Substanz enthält zwei stabile Strontiumatome, die nicht radioaktiv sind und statt Kalziumatomen in den Knochen eingebaut werden. Dadurch sollen die den Knochen abbauenden Osteoklasten gehemmt werden. Das Medikament ist in über 100 Ländern lizenziert und zum einen für die Behandlung postmenopausaler Osteoporose bei Frauen und zum anderen auch für die Osteoporosetherapie bei Männern zugelassen. In den USA ist es indes nicht zugelassen, wird aber off-label gegen Osteoporose eingesetzt.

Der Gelenkspalt wird radiologisch nachweisbar verkleinert

SEKOIA war eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie, die über 3 Jahre an 98 Zentren in 18 Ländern durchgeführt wurde. Insgesamt 1.683 Patienten mit einer – nach den Kriterien des American College of Rheumatology – leichten bis mittleren GA wurden randomisiert für die Einnahme von 1 oder 2 g Strontiumranelat pro Tag oder Placebo eingeteilt.

Als primärer Endpunkt der Behandlung wurde die radiologisch nachweisbare Minderung des medialen Gelenkspaltes im Zielgelenk festgelegt. Die Gelenkspaltminderung musste durch zwei unabhängige Prüfärzte anhand von Röntgenbildern evaluiert werden.  

Die Probanden in den verschiedenen Gruppen hatten eine vergleichbare demographische Zusammensetzung und ähnliche Krankheitsmerkmale. Laut Reginster entsprachen die Patienten den typischerweise aufgenommenen Teilnehmern in klinischen Studien zu GA: Sie waren vorwiegend weiblich mit einem durchschnittlichen Body-Mass-Index von 30 kg/m2. Zwei Drittel von ihnen hatten eine leichte GA und ein Drittel eine mittelgradige. Die Dropout-Rate lag mit 42% auf einem ähnlich Niveau wie bei anderen placebokontrollierten GA-Studien.

In Bezug auf den primären Endpunkt wurde in beiden Interventionsgruppen eine signifikante Gelenkspaltminderung gegenüber der Placebogruppe beobachtet, wobei die Ergebnisse sich kaum zwischen den Gruppen mit Gaben von 1 g pro Tag oder 2 g pro Tag unterschieden (p = 0,0018 für beide Vergleiche mit Placebo).

Ein radiologisch nachweisbarer Knorpelverlust von 5 mm oder mehr konnte mit beiden Dosierungen des aktiven Medikaments in 3 Jahren im Vergleich zu Placebo reduziert werden; dieser Grenzwert wurde in der 1-g-Gruppe gegenüber Placebo um 34 % reduziert (p = 0,049) und um 44 % in der 2-g-Gruppe (P = 0,008).

"Patienten, bei denen der radiologisch nachweisbare Knorpelverlust 5 mm oder mehr beträgt, haben eine 5-fach höhere Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 10 Jahren operiert zu werden", erläuterte Reginster.

Höhere Dosierung wirkt auch schmerzlindernd

Nach dem WOMAC (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis)-Index und dem WOMAC-Schmerz-Score konnten signifikante Verbesserungen nur mit einer Dosis von 2 g Strontiumranelat pro Tag erzielt werden. Der Hauptautor wies darauf hin, dass dies auch die zugelassene Dosierung bei der Behandlung von Osteoporose sei, und führte aus: "Bei der Einnahme von 2 g Strontiumranelat pro Tag zeigte sich auf allen Subskalen von WOMAC ein signifikanter Nutzen." Nach mehr als 10 Jahren Therapieerfahrung bei Osteoporose ist das Sicherheitsprofil von Strontiumranelat gut bekannt. Die einzige Kontraindikation sei die tiefe Venenthrombose, hieß es dazu.

Dr. Kathryn Dao, Direktorin der Clinical Rheumatology am Baylor Research Institute in Dallas, Texas, hob die Bedeutung dieser Ergebnisse damit hervor, dass "uns nur sehr eingeschränkte Therapiemöglichkeiten für Kniegelenksarthrose zur Verfügung stehen." Bevor Strontiumranelat als Behandlungsoption für Kniegelenksarthrose eingeführt wird, sind ihrer Ansicht nach weitere Studien notwendig.

"Strontiumranelat scheint ein gutes Nebenwirkungsprofil zu haben, das sich von dem der Analgetika und der nichtsteroidalen Antirheumatika, die sonst in der Behandlung der Kniegelenksarthrose eingesetzt werden, unterscheidet", merkte sie zum Nutzen des Medikaments an.

Sie erklärte weiter, dass das Medikament in den USA mangels Daten zu Knochenbrüchen nicht für die Behandlung von Osteoporose zugelassen sei, in einigen Zentren aber off-label eingesetzt würde. In Europa ist Strontiumranelat zugelassen für die "Behandlung der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen zur Reduktion des Risikos von Wirbelsäulen- und Hüftfrakturen" sowie zur "Behandlung der Osteoporose bei erwachsenen Männern mit erhöhtem Frakturrisiko"[4].

Das Urteil der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zum Nebenwirkungsprofil von Stontiumranelat fällt indessen kritischer aus. Langzeitrisiken wie Osteomalazie oder pathologische Frakturen seien noch nicht abschließend beurteilbar, heißt es in einer gemeinsamen Veröffentlichung mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung [5]. Dort wird ebenfalls darauf aufmerksam gemacht, dass unter der Behandlung höhere Inzidenzen von thrombembolischen Komplikationen und eine Zunahme neurologischer Störungen, darunter Krampfanfälle, Bewusstseins- und Gedächtnisstörungen, im Vergleich zu Placebo beobachtet worden seien.

Im April hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Rote-Hand-Brief zu neuen Kontraindikationen und Warnhinweise herausgegeben [6].  Demzufolge darf die Substanz nicht eingesetzt werden bei akuten venösen Thrombembolien oder solchen in der Vorgeschichte, einschließlich tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien. Neu ist ebenfalls, dass immobilisierte Patienten kein Strontiumranelat erhalten sollten. Nicht zuletzt wird auch – aufgrund von Berichten über schwerwiegende Hautreaktionen von medizinischem Fachpersonal – das Risiko für Überempfindlichkeitsreaktionen in dem Schreiben des BfArM thematisiert.

Dieser Artikel wurde von Andrea Thode aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

Referenzen

Referenzen

  1. ACR 2012. Abstract 1596. Vorgestellt am 12. November 2012.
  2. http://www.acrannualmeeting.org/
  3. http://www.medscape.com/viewcollection/32674
  4. Servier Deutschland GmbH. Fachinformation Protelos, Stand Oktober 2012.
  5. Dokument zum Download aus Wirkstoff Aktuell 2009/1: Strontiumranelat (Protelos®) http://AIS.KBV.DE
  6. Rote-Hand-Brief zu Protelos® (Strontiumranelat): Neue Kontraindikationen (04.04.2012) http://www.bfarm.de/DE/Pharmakovigilianz/risikoinfo/2012/rhb-protelos.html

Autoren und Interessenskonflikte

Alice Goodman
Es liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

Dr. Reginster: Finanzielle Beziehungen zu Servier, dem Hersteller von Strontiumranelat, sowie zu Novartis, Negma, Lilly, Wyeth, Amgen, GlaxoSmithKline, Roche, Merckle, Nycomed, NPS, Theramex, UCB, Merck Sharp and Dohme, Rottapharm, IBSA, Genevrier, Teijin, Teva, Ebewee Pharma, Zodiac, Analis, Novo-Nordisk und Bristol-Myers Squibb.

Dr. Dao: Forschungsmittel von Celgene, UCB, Amgen; Mitgliedschaft im National Advisory Board für UCB; Sprecherin für Lilly.

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