Der Effekt des Geburtsmonats auf das Risiko für Multiple Sklerose (MS) ist schon länger bekannt, nun kommt ein aktueller Literaturreview zu dem Schluss, dass dieser Effekt signifikant von der geographischen Lage des Geburtsortes abhängt.
Als eine Hypothese für den Monatseffekt wird die Vitamin-D-Versorgung der Mutter in der Schwangerschaft diskutiert. In Gegenden, die mehr als 52 Breitengrade vom Äquator entfernt liegen, erreicht zwischen den Monaten Oktober und März nicht ausreichend UV-Licht der entscheidenden Wellenlängen (290-315 nm) die Haut, um dem Körper in den Wintermonaten die Bildung von ausreichend Vitamin D zu ermöglichen.
Dr. Sreeram Ramagopalan von der Queen Mary University of London und seine Kollegen verglichen kontrollierte Studien mit insgesamt 151.978 MS-Patienten, um den Einfluss der geographischen Breite auf den Geburtsmonatseffekt und damit das MS-Risiko zu untersuchen.
Wie erwartet, bestätigte die Auswertung aller eingeschlossenen Studien einen signifikanten Effekt des Geburtsmonats auf das spätere MS-Risiko des Kindes: Aprilkinder hatten das höchste MS-Risiko, Oktober- und Novemberkinder das niedrigste.
UV-Variation im Jahresverlauf beeinflusst Geburtsmonatseffekt
Um dieselben Datensätze nicht doppelt zu werten, wurden in einer weiteren, konservativen Analyse Studien mit überlappenden Patientenkollektiven ausgeschlossen. Hierbei ging viel Signifikanz verloren und nur noch eine Geburt im November hatte Auswirkungen auf das MS-Risiko des Kindes. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass viele der in dieser Analyse ausgeschlossenen Studien in weiter vom Äquator entfernten Breiten durchgeführt worden waren. Folglich war die UV-Variation, der die in diesen Studien untersuchten Kohorten ausgesetzt waren, im Jahresverlauf signifikant reduziert.
Eine geographisch konservative Analyse von Studien aus Gegenden, die mehr als 52 Breitengrade vom Äquator entfernt liegen, betonte den Effekt der UV-Variation im Jahresverlauf: Das MS-Risiko war in den Geburtsmonaten April, Mai und Juni erhöht, im Oktober und November verringert.
Um möglichst zuverlässige Daten zu erhalten, führten die Autoren schließlich noch eine Analyse durch, die sowohl hinsichtlich der Patientenpopulationen als auch geographisch konservativ war: „Dies ist wahrscheinlich die zutreffendste Analyse, da sie weder doppelte Datensätze noch Studien mit geringer UV-Variation im Jahresverlauf enthielt“, betonte Ramagopalan im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Diese konservative Analyse verringerte die Anzahl der MS-Patienten auf 78.488 und ergab ein erhöhtes MS-Risiko für April und Mai sowie ein niedrigeres Risiko für Oktober und November.
„Der signifikante Zusammenhang zwischen geographischer Breite und MS-Risiko betont die breitenspezifische Natur des Geburtsmonatseffekts, wobei die Daten darauf hindeuten, dass der Monatseffekt vor allem in Regionen oberhalb des 52. Breitengrad eine Rolle zu spielen scheint“, so Ramagopalan.
„Die wenigen zur Verfügung stehenden Studien von der südlichen Halbkugel konnten wir in unsere Analyse nicht aufnehmen, da sie die Daten nicht nach Monat sondern nur nach Jahreszeit aufschlüsselten“, berichtete Ramagopalan. Dies sollte bei der Bewertung der Ergebnisse bedacht werden. Das Fehlen solcher Studien ist eine signifikante Einschränkung, denn ein Beweis für die Umkehrung des Geburtsmonatseffekts auf der südlichen Halbkugel würde die Validität des Zusammenhangs bestärken.
Ist es wirklich das Vitamin D?
Dass die Stärke des Geburtsmonatseffekts vom Breitengrad abhängt, spricht für eine pränatale immunmodulatorische Wirkung der UV-Exposition und damit des mütterlichen Vitamin-D-Spiegels – ein endgültiger Beweis ist das aber nicht: „Ob es wirklich das Vitamin D ist, das den Unterschied macht, bleibt weiter eine Hypothese“, betonte Prof. Dr. med. Andrew Chan von der Ruhr-Universität Bochum gegenüber Medscape Deutschland. „In einigen Arbeiten wird zum Beispiel dem UV-Licht selbst eine vom Vitamin D unabhängige immunmodulatorische Wirkung zugewiesen. Der Zusammenhang zwischen Vitamin D und MS-Risiko ist eine heiße Spur, aber die Beweise reichen noch nicht aus, um beispielsweise eine Empfehlung zur Vitamin-D-Supplementation während der Schwangerschaft in MS-Leitlinien aufzunehmen“, sagte der Neurologe.
Während Ramagopalan und seine Ko-Autoren in ihren Ergebnissen „ein weiteres Argument für frühzeitige Präventionsstudien mit Vitamin-D-Supplementierung“ sehen, reicht Chan die aktuelle Datenlage dafür noch nicht aus. Es seien noch zu viele Fragen offen, betonte er, insbesondere da es hinsichtlich MS-Risiko und Vitamin D offenbar nicht nur eine vulnerable Phase gibt: „Auf der einen Seite scheint für den Embryo die Vitamin-D-Versorgung der Mutter eine Rolle zu spielen, doch in eigenen Untersuchungen haben wir entdeckt, dass auch der Vitamin-D-Spiegel in den 2 Jahren vor Ausbruch der Erkrankung von großer Bedeutung ist“, berichtete er.
Sein Fazit: „Die bisher zur Verfügung stehenden Daten ergeben eine sehr plausible Hypothese und liefern uns viele Handlungsstränge, an denen wir möglicherweise anpacken können, doch der endgültige Beweis, dass wir mit einer Vitamin-D-Supplementierung – in welcher Phase auch immer – einen positiven Effekt bezüglich des Risikos, später an einer MS zu erkranken, erreichen können, steht noch aus.“